© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/98 12. Juni 1998

 
 
Beredte Sprachlosigkeit
von Peter Krause

Es hatte etwas Traurig-Belustigendes, was sich in der vorigen Woche im Auditorium maximum der Freien Universität Berlin zutrug. Freitag nachmittag, die Hörsäle sind kaum gefüllt, auf den Wiesen tummelt sich Studentenvolk. Im "AudiMax" aber klingt es unverzagt: "Die antiautoritäre Revolte an der FU: Die neue Universität – der neue Staat – die neue Gesellschaft." Zum Podium gehört die Crème des alten SDS: Schrecker, Labonté-Roset, Krippendorf, Rabehl, auch Horst Mahler. Doch die Linke scheint mittlerweile ziemlich hedonistisch gesinnt; der große Saal füllt sich allenfalls zu einem Viertel. Denen da oben wird die Sache vor dem müden Publikum gleichwohl nicht peinlich: man wolle die Hegemonie über die Analyse der 68er-Bewegung wiedergewinnen. Dann läuft alles wie erwartet: Schon in der Vorstellungsrunde kommen die Honoratioren über den zweiten Redner nicht hinaus, mit dem dritten beginnen die unendlichen Monologe. Dem Autor dieser Zeilen geht alsbald die Puste aus; auch ein mäßig distinguierter Antifa-Kämpfer, der ein Flugblatt verteilt, in dem gegen Horst Mahlers und Bernd Rabehls positive Auseinandersetzung mit dem Begriff der Nation gewettert wird, können ihn nicht halten…

Es ist möglich, daß die sogenannten 68er gesellschaftlich gar nicht so wichtig waren, sondern nur Kristallisationspunkte eines beschleunigten Modernisierungsprozesses. Es mag andererseits zutreffen, daß diese Generation tatsächlich viele Schlüsselpositionen in Bildung, Medien, Politik besetzt. Wie auch immer, es ist ein (psychologisches) Rätsel, wie eine derart verblasene Schwatzhaftigkeit, ein belangloser Dogmatismus die öffentliche Meinung prägen konnte. Die Analysen waren selten über die eigene gutbürgerliche Befindlichkeit hinausgekommen. Was hat die alte (und die neue) Linke dem Radikalliberalismus, der Herrschaft des technischen Denkens und der globalen Normativität des ökonomischen Faktums noch entgegenzusetzen? Das Schlimme aber ist, daß es einem intellektuellen Konservatismus im Prinzip nicht besser ergeht: die theoretische Defensive vereint "Linke" wie "Rechte". Im Bürgerkrieg des ausgehenden Jahrhunderts verlaufen die Fronten wenig einsehbar. Während die 68er sich darin gefallen, immer wieder Leichen im Keller aufzutauen, haben die Konservativen die polemische Besinnungslosigkeit und Verkrampfung und Entleerung des Kritikbegriffs ihrer Übergegner übernommen: es gibt kaum Bemühen um Begriffe, es gibt keine Erkenntnis der Begriffe, es gibt also kein Scheitern der Begriffe. Jedes alternative Denken aber lebt aus der Erkenntnis ex negativo, aus der permanenten Aufklärung einer dogmatisch werdenden Aufklärung. Kein größerer Gegensatz zum unironisch-verbissenen Denkstil der 68er ließe sich denken.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen