© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/98 12. Juni 1998

 
 
Islam: Der Generalsekretär von Milli Görus, Mehmet Erbakan, in Berlin
Polygamie inbegriffen
von Gerhard Quast

Warum sollte ein Mann nicht drei Frauen haben? Wenn er sie ernähren kann und keine benachteiligt, ist das in Ordnung." Ungläubige Blicke des Gegenüber: "Das kann doch nicht Ihr Ernst sein?"

"Wenn eine Frau das nicht will, dann kann sie das selbstverständlich in einem Ehevertrag festlegen. Dann muß der Mann sie vorher fragen, bevor er sich eine zweite Frau nimmt."

"Oder sie kann sich scheiden lassen", ergänzt ihre Mitstreiterin. Ob sie sich denn selbst vorstellen können, "nicht die einzige Frau zu sein", werden sie gefragt. Die drei jungen Frauen im Alter zwischen 16 und 20 Jahren schauen sich etwas verunsichert an.

"Jedenfalls kann ein Muslim nach dem Koran bis zu vier Frauen heiraten", versucht eine der drei verschleierten Türkinnen das Gespräch zu beenden und verteilt Informationsblätter der saudi-arabischen World Assembly of Muslim Youth (WAMY).

Wir schreiben das Jahr 1998. Ort der Begebenheit: Technische Universität Berlin. Seit einer Woche läuft hier im Hörsaal 104 des Hauptgebäudes die "5. Islam-Woche". Mit einem Potpourri aus Vorlesungen, religiöser Unterweisung, Diavortrag und folkloristischen Einlagen soll ein Beitrag "zur Aufklärung, zum Dialog und zur Einladung zum Islam in dieser Gesellschaft" geleistet werden.

Präsentiert wird dieser Islam ganz aus islamischer Sicht. Veranstalter ist die Islamische Studentenvereinigung (ISV). Unterstützung erhielten die Organisatoren neben anderen vom Deutschsprachigen Muslimkreis (DMK), der Muslimischen Jugend (MJ) und der Islamischen Hochschulgruppe (IHG).

Warum ausgerechnet Mehmet Erbakan an diesem Abend zum Thema "Islam, der Weg des Friedens" sprechen darf, wird der Pressesprecher von einer sichtlich empörten taz-Journalistin gefragt, die immer wieder glaubt betonen zu müssen, daß Erbakan und "seine Partei" im Verfassungsschutz stünden und "äußerst gefährlich" seien. Der Verfassungsschutzbericht sei für ihn "kein Maßstab", so der Angegriffene, dort werde "alles mögliche als verfassungsfeindlich bezeichnet". Ihm gehe es einzig um die Inhalte, für die Erbakan stehe und an diesen hätte er "nichts auszusetzen". Sie solle sich erst einmal den Vortrag anhören und dann urteilen.

Während der extra aus Köln eingeflogene Milli Görüs-Generalsekretär still in seinem Koran blättert, füllt sich langsam der Saal. Das Interesse ist groß, etwa 600 Zuhörer, meist Türken, nehmen auf den Rängen Platz. Geprägt wird das Auditorium von den Frauen: Wo auch immer man hinschaut, lange bis zum Boden reichende Kleider, die Haare vollständig bedeckt. Nur eine ältere Dame, die flotten Schrittes nach vorne stürmt, fällt vollkommen aus dem Rahmen. Nach einer längeren Koran-Rezitation wird ihr das Wort erteilt. Die ältere Dame entpuppt sich als Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John. Ihr Grußwort endet mit den Worten: "Der Islam ist nun auch in Deutschland zuhause und wird mit Ihrer Hilfe bald nicht nur in Hinterhöfen praktiziert werden. Wir wollen Ihnen dabei helfen."

Auch Erbakans "Friedensbotschaft" soll gewiß versöhnlich stimmen: Sein analytisch ausgefeiltes Referat gleicht eher einer Seminararbeit denn einer Kampfansage an die deutsche Gesellschaft. Er distanziert sich von jeder Art der Gewaltanwendung, feiert das Rechtsstaatsprinzip als ein muslimisches, verurteilt Terrorismus als kriminelle Handlung und charakterisiert den Islam als "antirassistisch und nationalistisch". Für Schlapphüte also wenig Erbauliches. Und doch geht seine Diagnose sehr weit: "Europa braucht ein Rezept, um befriedet zu werden. Europa braucht ein Rezept wie den Islam." Und seinen aufmerksamen Zuhörern gibt er am Ende Hoffnung mit auf den Weg: "Wir haben die Fähigkeit, die Tagesordnung zu bestimmen, wir Muslime müssen also nicht nur reagieren, sondern agieren."


 
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