© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/98 19. Juni 1998

 
 
Streit um Rohstoffe: Militärisches Patt zwischen Äthiopien und Eritrea
Krieg am Horn von Afrika
von Alexander Beermann

Nach den anfangs heftigen, zwischenzeitlich allerdings abgeklungenen Kämpfen zwischen den Streitkräften Äthiopiens und Eri-treas fragen sich die Experten, ob das "Horn von Afrika" nun ebenso von massiven Gewaltausbrüchen heimgesucht wird, wie dies bereits im Westen und im Zentrum des Kontinents der Fall ist. Zwischen den ehemaligen Verbündeten in Addis Abeba und Asmara, die 1991 das marxistische Mengistu-Regime gemeinsam zu Fall gebracht hatten und die sich danach auf die Unabhängigkeit Eritreas einigten, besteht nach wie vor Krieg – auch wenn dieser bislang nicht ausdrücklich erklärt worden ist.

Sporadische Luftangriffe und zum Teil sehr blutige Bodenkämpfe brachten in der ersten Junihälfte keine klare Entscheidung für eine der beiden Seiten. Diese Pattsituation ist es vor allen Dingen, die die Bereitschaft, doch noch zu einer friedlichen Lösung zu kommen, zuletzt stark erhöht hat. Ursachen des im Mai an der auf die einstige Kolonialmacht Italien zurückgehenden Grenzlinie ausgebrochenen Konflikts sind der Disput um mehrere rohstoffreiche Gebiete, auf die Eritrea Anspruch erhebt, sowie ein schon länger schwelender Handelskrieg, der sich in jüngster Zeit zugespitzt hat. Als problematisch erweist sich die Tatsache, daß die rund tausend Kilometer lange Grenze zwischen beiden Staaten nie klar definiert worden ist. Als dritte Konfliktpartei ist außerdem die vom Sudan unterstützte, sezessionistische Afar-Volksgruppe ins Kalkül zu ziehen, die sich in den östlichen Gebieten Eritreas wie Äthiopiens gegen die jetzige Herrschaft auflehnt. Das Verhältnis Eritreas zum Sudan ist ohnehin gespannt: Gegenseitig wirft man sich die Förderung der Rebellengruppen im jeweils anderen Land vor.

Strategisch ist Eritrea gegenüber Äthiopien insofern im Vorteil, als es die geopolitisch wichtigen Häfen Assab und Massawa am Roten Meer in Besitz hält, wodurch die äthiopische Versorgung ganz von dem mittlerweile völlig überlasteten Hafen im benachbarten Dschibuti abhängig ist. Äthiopien verfügt über keinen eigenen Zugang zum Meer, und eine Bitte um Öllieferungen an die Adresse Kenias wurde abgewiesen.

Diese Nachteile in der Auseinandersetzung mit Eritrea werden jedoch weitgehend ausgeglichen durch das größere militärische Potential Äthiopiens: Den 200 bis 300 eritreischen Panzern vom Typ T-55 stehen zwischen 350 und 400 Panzer der gleichen Bauart gegenüber, und die äthiopische Berufsarmee zählt 120.000 Mann, während sich der nördliche Nachbar nur auf ein 40.000 Mann-Heer stützen kann. Beide Seiten können ihre Truppenstärke allerdings durch Milizen und Bürgerwehren um das Dreifache erhöhen. Die Luftwaffe Äthiopiens ist der Eritreas weit überlegen, doch der Zustand der Kampfflugzeuge ist auf beiden Seiten dermaßen schlecht, daß diese nur begrenzt Einfluß auf das Kriegsgeschehen nehmen können. Militärfachleute sehen ähnliche Beschränkungen auch in bezug auf die Panzerkräfte und sind sich weitgehend darüber einig, daß der Krieg – im Falle einer weiteren Eskalation – letztendlich durch die infanteristischen Potentiale entschieden wird.

Den Vereinigten Staaten, Israel und Italien kommt dieser Konflikt am "Horn von Afrika" mehr als nur ungelegen. Italien hat in seiner Ex-Kolonie den vergangenen Jahren eine wichtige wirtschaftliche und auch militärische Rolle gespielt. So stattete Rom die eri-treische Luftwaffe mit Schulungsflugzeugen aus. Die USA lieferten noch 1997 für sieben Millionen Dollars Kriegsmaterial an Äthiopien sowie für vier Millionen Dollars an Eritrea. Für diesen August waren gemeinsame amerikanisch-äthiopische Militärmanöver in der Region geplant. Die Israelis pflegen besonders enge Beziehungen mit Eritrea und sehen in der aktuellen Auseinandersetzung eigene Interessen in Gefahr.

Alle drei Staaten haben vor diesem Hintergrund die streitenden Parteien wiederholt zur "Zurückhaltung" aufgerufen. Auch eine Reihe afrikanischer Staatschefs, von denen einige in der eigenen Region noch größere Probleme haben als die Mächtigen in Addis Abeba und Asmara, haben sich für Vermittlerdienste angeboten. – An der Tatsache, daß der Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea die Dauerdebatte über die Unsinnigkeit der kolonialen Grenzziehungen weiter angeheizt hat, können sie damit allerdings nichts mehr ändern. Und auch die schätzungsweise 120.000 Menschen, die aus dem Grenzgebiet ins äthiopische Hinterland geflüchtet sind, dürften dem Frieden noch nicht so recht trauen.


 
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