© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/98 19. Juni 1998

 
 
Japan: Die zweitgrößte Weltwirtschaftsmacht steckt in der Krise
Nippons tiefer Fall
von Ronald Gläser

Die Asien-Krise ist neu aufgelebt und hat eine neue Qualität erreicht. Kaum waren die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Indonesien überwunden, ist aus der kleinen Grippe eine ausgewiesene Krankheit erwachsen, wie man an den dortigen Börsenindizes unschwer ablesen kann. Allein am vergangenen Montag büßten die Indizes der Börsen in Hongkong und in Seoul knapp fünf Prozent ein: Der Hang-Seng-Index, in dem Hongkongs Blue Chips gelistet sind, hat mittlerweile seinen Tiefststand vom vergangenen Herbst unterschritten. Folgenschwerer aber ist, daß jetzt auch Japan von einer nachhaltigen Rezession betroffen ist. Das ist nicht nur an den Börsenkursen ablesbar, sondern auch an der aktuellen Selbstmordstatistik: In der zweitgrößten Weltwirtschaftsmacht wurden im vergangenen Jahr 24.391 Selbsttötungen registriert. Die Zahl der Selbstmorde wegen finanzieller Probleme und wirtschaftlicher Sorgen hat sich gegenüber dem Jahr 1990 verdreifacht.

Das Bruttoinlandsprodukt Nippons ist um 0,7 Prozent zurückgegangen. Der wirtschaftliche Niedergang der Fernost-Region hat damit eine neue Qualität bekommen, weil Japan – verglichen mit den Tigerstaaten – eine wirkliche Wirtschaftsmacht darstellt. Seit 1990 die Spekulationsblase im Immobiliensektor Japans zerplatzt ist, ist dort eine Deflationsspirale in Gang gesetzt worden, das heißt, daß die Preise immer weiter sinken. Dagegen reagiert die Notenbank mit sinkenden Zinsen (so wie sie auf Inflation mit steigenden Zinsen reagiert). Japanische Staatsanleihen bringen den Anlegern derzeit noch eine Verzinsung von etwa eineinhalb Prozent. Dennoch führen diese Niedrigstzinsen nicht dazu, daß die Binnenwirtschaft in Schwung kommt. Nur der Export läuft moderat, ist aber durch die permanente Abwertung der Abnehmerländer in Fernost latent gefährdet. Für die Aktienmärkte heißt die Deflation, daß die Kurse weiter fallen. Von seinem Hoch bei 38.000 Punkten ist der Nikkei-Index auf mittlerweile 14.000 Punkte gefallen, Tendenz weiter fallend. Für Anleger ist also am Kabutocho nicht viel zu holen. Das Kapital fließt ab, sucht bessere Anlagemöglichkeiten in Europa und Amerika. Das führt natürlich zu einer Abwertung des Yen vor allem gegenüber dem Dollar: Stand der Yen in den neunziger Jahren zeitweise gegenüber dem US-Dollar noch bei 80, so müssen jetzt schon sagenhafte 146 Yen für einen US-Dollar gezahlt werden. Und kein G-7-Gipfel konnte mit seinen Beschwörungen dem Niedergang des Yen Einhalt gebieten.

Das Kapital fließt nun in die USA und nach Europa, wo die Aktien- und Rentenmärkte immer neue Allzeithochs markieren. Auch in Deutschland haben die Zinsen einen Tiefpunkt erreicht. Außerdem wirkt sich hier positiv aus, daß die angeschlagenen Unternehmen in Fernost weniger produzieren und daher weniger Rohstoffe nachfragen. So wird an den Terminmärkten ein Barrel Öl mit niedrigen 11,70 Dollar gehandelt, binnen eines Monats ist der Preis um 30 Prozent gesunken. Ein fester Dollar, sinkende Rohstoffpreise, niedrige Zinsen: alles Symptome der Krise in Fern-Ost, alles Ursachen für den Aufschwung bei uns. Im globalen Zeitalter, wo die Milliarden auf den Finanzmärkten per Knopfdruck verschoben werden können, bringen die Anleger, die Fondsbetreiber und die Banken ihr Geld in den sicheren Hafen – zur Zeit sind das die USA und "Euroland". Dennoch drohen auch unserer Wirtschaft Gefahren durch die Entwicklung in Ost-Asien. So leiden einige europäische und viele US-Unternehmen jetzt schon unter dem Rückgang ihrer Exporte in diese Region. Der Computerhersteller 3M hat gerade eine Gewinnwarnung abgegeben, hat angekündigt, wegen der Asienkrise zehn Prozent weniger zu verdienen. Und langfristig steigt natürlich mit einem starken Dollar die Wettbewerbsfähigkeit der Asiaten gegenüber den Amerikanern. Diese Auswirkungen werden wir erst in mehreren Monaten zu spüren bekommen. Schlimmer sind die faulen Kredite an Unternehmen, die unter Umständen Konkurs anmelden werden. Deutsche Bank, Commerzbank und Dresdner Bank haben Hunderte von Milliarden im Fernen Osten investiert.

Die Japaner haben es durchaus in der Hand, ihre Währung zu verteidigen. Sie besitzen in großem Umfang US-amerikanische Staatsanleihen. Verkauften sie diese, um das Geld in japanische Aktien zu investieren, so stiege der Yen und der Aktienmarkt Nippons. Statt dessen schaufeln sie aber ihr Geld in die USA. Der japanische Premierminister hat unlängst angekündigt, Japan sei entschlossen, keine weltweite Depression auszulösen. Ob der fromme Wunsch ausreicht, wird sich am Dollar-Yen-Verhältnis der kommenden Monate ablesen lassen.


 
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