© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/98 26. Juni 1998

 
 
Demonstration: Spontane Aktion vor sowjetischem Denkmal
Vom Sofa auf die Straße
von Manuel Ochsenreiter

Leicht irritiert schaut der Polizist drein, der vor dem sowjetischen Ehrenmal an der Straße des 17. Juni im Berliner Bezirk Tiergarten steht. In der Nacht vom 20. zum 21. Juni kommen plötzlich etwa 15 Gestalten mit Fackeln, einer Fahne und einer auf eine Stange gepflanzten Rotarmisten-Offiziersmütze auf das Siegesdenkmal zu und begehen eine kleine, 15minütige Gedenkveranstaltung für die Opfer des 17. Juni und gegen das sowjetische Ehrenmal.

Es handelt sich um eine spontane Aktion des Vorsitzenden der Münsterländer Republikaner, Reinhard Rupsch, der mit Freunden aus dem Münsterland und Berlin die Idee zu dieser Aktion am demonstrationsreichen 20. Juni hatte. Grund: An diesem Sonnabend demonstriert alles, was eine eigene Fahne hat. Der DGB hält eine Veranstaltung vor dem Brandenburger Tor und einen Sternmarsch zum Alexanderplatz ab, wobei der Demonstrationszug aufgrund des Fahnenmeers eher einer PDS-Demo gleicht. Und die Berliner CDU hält eine Mahnwache vor dem Brandenburger Tor mit einem Spruchband gegen Radikalismus ("Aufpassen Deutschland").

Die NPD marschiert derweil durch Marzahn und Hellersdorf. "Wir können doch diesen Tag nicht völlig den Radikalen und den Etablierten überlassen!" antwortet Rupsch entschieden auf die Frage, weshalb er sich mit Freunden am Mittag ins Auto setzt, um nach Berlin zu fahren. Der 48jährige Familienvater von vier Kindern ist kein Unbekannter in seiner Partei, wenn es um phantasievolle oder spontane Aktionen geht. So trägt er im Wahlkampf schon mal seinen selbst gedichteten REP-Rap vor oder beschallt die Delegierten des Landesparteitags mit Techno-Klängen.

Zu der Aktion am Ehrenmal kommen aber nicht nur die Münsterländer Republikaner, sondern auch Parteilose, Anhänger vom Bund Freier Bürger und sogar Mitglieder der Jungen Union. In Anlehnung an Friedrich Schillers "Wilhelm Tell" vergleicht Rupsch in seiner Ansprache das monumentale Denkmal unweit des Brandenburger Tors mit dem berühmten Gesslerhut. Bei Schiller ist das der auf eine Stange gesteckte Hut des herrschsüchtigen Landvogts Gessler, der die Schweizer Bürger zwingt, sich vor der Kopfbedeckung zu verneigen. "Was bewirken Gesslerhüte? Sie sind der Mächtigen billige Prüfsteine für den Gehorsam ihrer Knechte, sind der Stachel im Fleisch derer, die sich nach Freiheit sehnen. Aufrechter Gang und Gesslerhüte vertragen sich gegenseitig nicht", erklärt Rupsch. Symbolisch wird eine sowjetische Offiziersmütze verbrannt. Ein Akt, der bei den sich inzwischen versammelten Passanten heftige Diskussionen auslöst. "Dieses Denkmal ist militaristisch, stalinistisch, imperialistisch, brutal, gnadenlos!" ruft Rupsch dem bronzenen Rotarmisten auf dem Denkmal entgegen.

Mittlerweile haben sich auch Polizisten eingefunden, werden von einigen Passanten zum Eingreifen aufgefordert. Doch keine Chance – nachdem die Demonstranten unter der schwarz-rot-goldenen Fahne das Deutschlandlied anstimmen, wollen die Polizisten doch erst noch abwarten. Zu guter Letzt kommen vier Mannschaftswagen angefahren und kesseln die Demonstranten ein, führen Ausweiskontrollen durch, verhalten sich aber sehr konziliant, ab und an wird auch über die Aktion geschmunzelt, und ein Beamter meint leise, nachdem er sich von einem Kollegen den Hergang erklären ließ: "Ist doch cool." Unter den Passanten gehen die entflammten Diskussionen weiter, werden Argumente für und wider das Denkmal ausgetauscht. "Es war toll!" meint Rupsch, der die Aktion auch als Signal an die eigene Partei sehen möchte. "Man muß nicht immer alles totdiskutieren, bevor man was macht. Gerade die demokratischen Rechten sollten sich viel mehr aus ihren liebgewonnenen Sofas auf die Straße zu Aktionen begeben und das Feld nicht den Radikalen überlassen."


 
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