© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/98 26. Juni 1998

 
 
Debatte(III): Die Rechte und ihr Politikbegriff
Gemeinsame Werte
von Werner Olles

Wenn die Rechte anfängt, sich selbst zu analysieren, wird es ernst. Dabei ist die Sache eigentlich doch ganz einfach. "Rechts" ist Ordnung, Schönheit und Ästhetik, "links" Chaos und Kult des Häßlichen. Weil aber die Rechte längst nicht mehr weiß, was die Linke tut – und umgekehrt –, ist es in der Tat höchste Zeit sich darüber Gedanken zu machen, was rechts ist. Jenseits diffuser Organisationszusammenhänge und Runder Tische, an denen von skurrilen Bündnissen geträumt wird, denen eine sogenannte Neue Rechte dann den theoretischen Segen zu geben hätte, ist und bleibt eine Rechte, die etwas auf sich hält, primär der Feind aller egalitären Massengesellschaften, der leidenschaftliche Gegner spießbürgerlicher Moral und Kultur, behauptet ihre Abneigung gegenüber dem Jargon von Börsenmaklern und ihre Sympathie mit Utopien, die auf "das Ganze" zielen. Nur so wird sich die Rechte vor dogmatischer Erstarrung schützen können.

An eine Utopie zu glauben, bedeutet nicht zwangsläufig, Illusionen aufzusitzen. Um 1760 erklärte Voltaire, daß es im zivilisierten Europa nie wieder Folter und Bücherverbrennungen geben werde. Der katholische Konservative Joseph de Maistre prophezeite ihm bald darauf, daß das Europa des zwanzigsten Jahrhunderts im Blut ertrinken werde. Man werde Lager zum systematischen Abschlachten von Menschen errichten. Dieser Rechte glaubte weder an den linearen Fortschritt noch ließ er sich von Illusionen beeindrucken.

Noch wichtiger für die Rechte aber dürfte der Italiener Antonio Gramsci sein, kommunistischer Vordenker und Vertreter der Theorie der "kulturellen Hegemonie". Er verwies darauf, daß im politischen Kampf nicht die Methoden der Herrschenden nachzuäffen seien, sonst gerate man fast zwangsläufig in einen Hinterhalt. Die parteipolitische Rechte in Deutschland hat dies bis heute nicht einmal ansatzweise zur Kenntnis genommen. Besessen von parlamentarischen Erfolgen und der Bündnistreue, glaubt sie unverdrossen an die große Geste der Verständigung und des immerwährenden Ausgleichs, an den zivilen Minimalkonsens einer protestantisch geprägten Heuchel-Kultur, die noch die anbiederndsten Arien demokratischer Selbstkorrektur in Richtung der Sitzordnung im Bundestag als Attacke auf das bewährte System der "Naherholungszone mit regelmäßig geleertem Papierkorb" (Günter Maschke) denunziert.

Natürlich wird die Rechte eines Tages eine starke Partei benötigen. Aber diese Partei muß und wird in der politisch-ideologischen Auseinandersetzung entstehen und nicht als Abfallprodukt gutgemeinter Ideen von Funktionären, die als hauptberufliche Vermittler in deutschen Landen unterwegs sind und kaum noch zum Verschnaufen kommen.

Dabei weiß die deutsche Rechte bis heute nicht, worin ihre Substanz besteht. Sie hat bis heute nicht geklärt, wie in einer anonymen, pluralistischen Gesellschaft überhaupt ein Wir-Gefühl entstehen kann, welche moralphilosophischen und sozialpolitischen Ansätze für die kulturellen Besonderheiten einer überschaubaren und auf gemeinsame Werte verpflichteten Gemeinschaft notwendig sind, was sie der Traditionsvergessenheit der Frankfurter Schule im Sinne von Hegels anspruchsvollem Gedanken der substantiellen Sittlichkeit entgegenzusetzen hätte, welchen Lebenssinn sie den Menschen vermitteln müßte.

Die Rechte kritisiert zwar die Aufklärung, unterschätzt aber den Pluralismus der Moderne und dessen geschichts- und kulturunabhängige Begründung der Moral. In ihrer Kritik am Liberalismus und der vielfältigen Globalisierung hätte sie statt dessen für ein Gegengewicht zu plädieren, das sich für die gewachsenen Lebensformen kleinerer Gesellschaftseinheiten und für die in ihnen gestifteten Bindungen einsetzt. Anstatt von einem "ungebundenen Selbst" auszugehen, sollte die Rechte für die Gemeinsamkeiten der Geschichte und für politische Hoffnungen stehen, ohne die eine Gesellschaft ihre moralischen, religiösen, kulturellen und nationalen Ressourcen nicht erneuern kann. Gegenüber den Uniformierungstendenzen eines Weltstaates hat sie skeptisch zu bleiben und den Unterschied zwischen einem Kern universalistischer Moral und ihrer kulturspezifischen Ausprägung begrifflich zu bestimmen. Schließlich sollte die Rechte ihre Überschätzung des Gewichts der Gemeinschaft im Verhältnis zum einzelnen Menschen genau überdenken, ohne dabei in Margaret Thatchers Verdikt "So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht, es gibt nur Individuen!" zu verfallen.

Schließlich darf sich die Rechte nicht im Namen eines entwürdigenden Medienspektakels und einer angeblichen Fortschrittsspirale auf das System der Konsumspiele einlassen. In der Tragik der Utopien und den Hoffnungen, die sich aus dem Widerstand gegen das Bestehende ergeben, ist die Zeit erst zu verstehen. Wenn die Rechte dies begreift – und einiges spricht dafür –, erkennt sie sehr schnell ihre Grenzen und lernt, dem "demokratisch gesenkten Daumen der Pluralität" (Hans Jürgen Syberberg) ihr eigenes Verständnis von organischer Demokratie entgegenzustellen.


 
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