© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/98 03. Juli 1998

 
 
Pankraz, die Jungen Zahmen und die verlassenen Korridore

Soviel Goldgräberstimmung wie im Augenblick war noch nie in Bonn. Ein maroder Vorruheständler, gelernter Mathematiker, dem Pankraz manchmal beim Waldlauf begegnet, erzählte ihm vergnügt grinsend: "Nach der Wahl krieg ich ‘nen Fünftausendmark-Job bei der SPD, Müntefering hat schon zugestimmt." In den SPD-Geschäftsstellen stapeln sich waschkörbeweise die Bewerbungsschreiben. Verdiente Alt-Kämpen erinnern an ihr Noch-Vorhandensein und erwarten Berücksichtigung. Bisher unbekannte, aus dem Nichts auftauchende Politstrategen machen Vorschläge, wie der von Gerhard Schröder verkündete "Korridor der Verläßlichkeit" zwischen Innovation und Solidarität gebahnt werden könne, und bringen sich selbst ins Gespräch.

Parallel dazu herrscht bei der CDU Hektik der Schadensbegrenzung. Zahllose Posten und Pöstchen scheinen durch den bevorstehenden Regierungswechsel gefährdet, und ihre Inhaber mahnen Ausgleich oder Auffangnetz an. Für jede Planstelle bei den Parteistiftungen gibt es mindestens hundert Aspiranten. Andere wollen bis zur Wahl schnell noch verbeamtet werden und lassen schrille Notsignale steigen. Aber es gibt auch Spaßvögel, die Wetten abschließen: Wer muß demnächst welches Zimmer räumen? Wer bleibt an Bord und mit welcher Ausstattung?

Überraschend wenige im Presseklub und an anderen Kreuzungspunkten erwarten eine rotgrüne Koalition. Es besteht, glaubt Pankraz zu spüren, ein gewisser Druck aus "einflußreichen Kreisen" für die Bildung einer "großen" Koalition, mit Schröder als Kanzler und Volker Rühe als Vizekanzler.

Schäuble, so die übereinstimmende Einschätzung, ist bereits ein "Yesterday-Mann". Allzu oft habe er sich vom Kanzler kleinmachen lassen, allzu oft sei er von primären Entscheidungen "zu spät" unterrichtet worden, allzu viele Blabla-Interviews habe er gegeben. Sein "neues Buch" sei eine einzige Katastrophe, ein wirres Sowohl-Als-Auch. Er müsse froh sein, wenn er weiter Fraktionsvorsitzender bleiben könne, mit Lafontaine als Widerpart und Mit-Strippenzieher.

 

Faktisch niemand in der SPD oder bei den Grünen wünscht einen Zerfall der CDU, wie er in Italien der Democrazia Christiana widerfahren ist oder wie er sich in Frankreich für die dortige "bürgerliche Rechte" anbahnt. Wer in Bonn statt dessen von "Zerfall" spricht, und zwar sogar im Ton der Hoffnung, das sind einige Leute von der Jungen Union, die sich ironischerweise "Die jungen Zahmen" nennen, um sich von den sogenannten "Jungen Wilden" in der Partei abzugrenzen, welche ihrerseits alle schon über vierzig sind und deren Wildheit sich darin erschöpft, daß sie einmal im Monat mit Joschka Fischer oder anderen Grünen zum Italiener Pizzaessen (bzw. Mineralwassertrinken) gehen.

"Wir haben zu viel bloße Knet- und Schiebemasse in der Fraktion", meinte (natürlich hinter vorgehaltener Hand) einer von den Jungen Zahmen, "das muß alles erst einmal weg, damit wir wieder frische Luft tanken können". Doch ob er selber noch zum Frische-Luft-Tanken kommt, das bezweifelt er inzwischen. Er nickte nur traurig, als ihm Pankraz von seinen Erlebnissen in Thüringen und Sachsen berichtete, wo die CDU immer öfter als "die jüngste Splitterpartei" apostrophiert wird, weil sie in den Umfragen noch hinter der PDS liegt und demnächst wohl auch von der DVU oder von der NPD überrundet wird.

Das Abschmieren der CDU im Osten ist ein "echtes Phänomen", erklärbar nur aus der tiefen Enttäuschung, die diese Partei allen ein bißchen konservativ und vaterländisch denkenden Wählern bereitet hat. Zweimal haben sie Kohl gewählt, denn sie dachten, daß sie damit am sichersten irgendwie nach Hause kämen, nicht zuletzt heim zur D-Mark. Und nun merken sie, daß sie lediglich in eine Art Disneyland hineingeraten sind, angefüllt mit Entrepreneurs, die einen nicht weniger abstoßenden Funktionärsslang sprechen als die Entrepreneurs von einst und einem gleich wieder ein komisches Aluminiumgeld offerieren, von dem man nicht weiß, wieviel es wert ist und ob man ihm überhaupt trauen kann.

 

Ob Schröder das revidieren wird? Kann er es? Will er es? Niemand weiß etwas genaues. Aber kurioserweise ist es dieses Nichtwissen um den Kanzlerkandidaten der SPD, das ihm zur Zeit zugute kommt, in Ost und West.

Schröder ist eine Blackbox, in die man alle möglichen Hoffnungen, Erwartungen und Änderungswünsche hineininvestieren kann. Er als einziger erzeugt jenes prickelnde Gefühl, wie man es bei der Bedienung gewisser Jux-Automaten empfindet und wie es ja zu jedem zünftigen Wahlkampf dazugehört. Ein Männchen raucht Zigarre – und niemand weiß, was passiert, wenn man seinen Groschen hineingesteckt hat, ob einem aromatischer Havanna-Duft entgegenwölkt oder ob die Zigarre mit lautem Knall und unter meckerndem Hohngelächter aus dem Automaten zerspringt.

Die Vorstellung des Schattenkabinetts kürzlich hat allerdings viele Erwartungen schon arg gedämpft. Die altgewohnten Bonner Routinegesichter starrten einen da an, die Masken der "Basis", die entschlossen scheint, im Falle des Falles ihren abgestandenen Stiefel durchzuziehen und den Kanzler in spe einem imperativen Mandat zu unterwerfen.

Mag sein, der mathematische Vorruheständler aus dem Kottenforst kriegt seinen Fünftausend-Mark-Job trotzdem. Mag auch sein, daß manch anderer Seiteneinsteiger eine Bonanza findet und das Leben plötzlich und für eine Weile für ganz großartig hält. Aber der Sinn eines Machtwechsels, einer neuen Politik, erschöpft sich in solchem "Elitenwechsel" nicht.

Ein Korridor der Verläßlichkeit entsteht nicht dadurch, daß sich einige Funktionäre auf ihre Futtertröge verlassen können. Im Gegenteil, manchmal wird allgemeine politische Verlassenheit gerade dadurch geheilt, daß einige die Korridore verlassen müssen.


 
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