© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/98 03. Juli 1998

 
 
Abrißpläne: Die Zukunft der Frankfurter Matthäuskirche ist weiterhin ungewiß
Einnahmen in Millionenhöhe
von Werner Olles

Auch auf der jüngsten Gemeindeversammlung hat der Kirchenvorstand der Frankfurter Matthäusgemeinde noch keine Entscheidung darüber getroffen, ob er für oder gegen den Verkauf des Gemeindegrundstücks plädieren wird. Auch ein möglicher Abriß der Kirche ist im Gespräch, seit der Evangelische Regionalverband der Matthäusgemeinde vorgeschlagen hatte ihre Kirche aufzugeben.

Der Regionalverband unterhält in der Stadt etwa 500 Gebäude, für die jährlich zwischen 12 bis 15 Millionen Mark aufgebracht werden müssen. Da die Landeskirche in Darmstadt ihre finanzielle Unterstützung um die Hälfte gekürzt hat und durch verstärkte Kirchenaustritte die Einnahmen sinken, denkt der Regionalverband daran einige Kirchen zu verkaufen. Er argumentiert, daß es heute in Frankfurt am Main nur noch 150.000 evangelische Christen gibt, während es vor dreißig Jahren noch 460.000 waren.

Vom Verkauf der an der Friedrich-Ebert-Anlage nahe Hauptbahnhof und Messegelände gelegenen Matthäuskirche verspricht sich der in finanziellen Schwierigkeiten steckende Verband Einnahmen in Millionenhöhe. Eine Investorengemeinschaft interessiert sich für das etwa 4.000 Quadratmeter große Grundstück Sie möchte auch das Gelände des ehemaligen Polizeipräsidiums direkt neben der Kirche erwerben und neubebauen. Helga Trösken, als Pröpstin das geistige Oberhaupt der Frankfurter Protestanten, würde den "Schuppen" – wie sie sich auszudrücken pflegt – am liebsten abreißen lassen. Ihren Vorschlag, den Neubau in ein Ensemble von Hochhäuser zu integrieren, hält der FAZ-Architekturkritiker Dieter Bartetzko für "bequem und dümmlich". Für ihn ist es wichtig, daß bei der Matthäuskirche auch der "Architektur-Gedanke der 50er Jahre" klar definiert ist. Für den Erhalt der Matthäuskirche hat sich inzwischen auch das Frankfurter Forum für Stadtentwicklung ausgesprochen. Es warnt vor einer "negativen städtebaulichen Entwicklung", die sich beim Abriß der Kirche und dem Neubau eines Hochhauses zwangsläufig ergeben würde. Das Forum fordert den Regionalverband auf, die Kirche bestehen zu lassen und die Infrastruktur und Wohnbebauung in diesem Viertel zu fördern.Es prangert die "Aufgabe christlicher Ideale" zugunsten einer "rein marktorientierten Haltung" und die damit verbundene "soziale Kälte" an. Man dürfe sich nicht wundern, wenn immer mehr Menschen der Kirche den Rücken kehrten.

In einem Gespräch mit dieser Zeitung erklärte Pfarrer Thomas Hessel von der Matthäuskirche, daß der Kirchenvorstand für den Erhalt des Standortes sei, der Regionalverband als Besitzer der Kirche und Verwalter der Kirchensteuermittel den Vorstand jedoch unter Druck setze. Auch die Vorstandsvorsitzende Heidrun Peterka meinte, daß der Verband der Gemeinde "elegant den schwarzen Peter zugeschoben" habe. Der Entscheidungsprozeß über den Verkauf oder Abriß der Matthäuskirche sei jedenfalls noch nicht abgeschlossen. Einer Verlagerung des Gemeindekindergartens in den sogenannten "Pferdestall" im Frankfurter Westend wolle man jedoch keinesfalls zustimmen. Auch die seelsorgerische und soziale Arbeit mit Randgruppen wie Obdachlosen sei an den jetzigen Standort gebunden.

Während der Regionalverband jeden Gedanken an mögliche Spekulationsvorhaben weit von sich weist, sieht man dies in der Gemeinde allerdings ganz anders. Die Erbitterung über das seltsame Verfahren ist dort sehr groß. Spätestens nach den großen Sommerferien wird der Kirchenvorstand seine endgültige Entscheidung über Erhalt, Verkauf oder Abriß zu treffen haben. Bis dahin wird jedoch bei den evangelischen Christen einmal mehr viel Porzellan zerschlagen worden sein!


 
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