© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/98 10. Juli 1998

 
 
Love Parade: Die falsche Frühlingsfeier der Kohl-Ära
Nur die Bravheit in Ekstase
Thorsten Hinz

Da hilft nun alles nichts, die Love Parade wird am 11. Juli durch den Berliner Tiergarten stampfen, mit einer Million Ravern und 50 Paradewagen, Fernseh- und Radiostationen werden pausenlos und live senden – und dafür zahlen. Die zu erwartenden Schäden an Pflanzen und Laternen schätzt man auf 250.000 bis 500.000 Mark, die Gesamtkosten für Reinigung werden auf 200.000 Mark veranschlagt, wozu Berliner Hotels 50.000 Mark beisteuern wollen.

Die Proteste waren in diesem Jahr leiser als früher, die Kritiker wußten um ihre aussichtslose Lage. An der Überzeugungskraft des Mottos "One world, one future", das die Parade als politische Demonstration rechtfertigen soll, kann es nicht gelegen haben. Wenn man sich die Folgen für den Tiergarten vor Augen hält, klingt es eher wie die lustvolle Drohung mit dem globalen Öko-Gau. Stärker wogen da schon die Geschäftsinteressen von Hotels, Einzelhändlern und der Stadt Berlin, die sich Steuermehreinnahmen in Höhe von zehn Millionen Mark erhofft. Auch die Politiker fast aller Parteien versichern die Raver ihrer Sympathie, in der Hoffnung, dadurch ein paar Wählerstimmen zu bekommen, und im Wissen, daß die Parade ihr eigenes Terrain unberührt läßt. So konnten die Organisatoren sich ihrer Sache sicher sein und die Forderung, sich an der Müll- und Fäkalienentsorgung zu beteiligen, kühl lächelnd abwehren. Häufiger als früher fiel dabei das Wort "Geschäft"; über die Gewinne, die die Inhaber des Markentitels "Love Parade" einstreichen, herrscht indes Schweigen. Das stärkste Argument aber war zweifellos dieTeilnehmerzahl, angesichts der Evidenz der Masse erschien eine argumentative Auseinandersetzung um die Streckenführung irreal. Damit kann die Love Parade 1998 schon mal als Sieg des Massentypus’ verbucht werden, "der weder Gründe angeben noch recht haben will, sondern einfach entschlossen ist, seine Meinung aufzuzwingen".

Immer wieder und reichlich leichtfertig wird Ortega y Gassets Essay "Aufstand der Massen", aus dem dieser Satz stammt, für die Love Parade in Anspruch genommen. Kürzlich hat Manuel Ochsenreiter in dieser Zeitung von den "gefährlichen Nischen" der Jugendkultur geschrieben: "Der eigentliche Rückzug ins Private wird dort zur Provokation. Wo die Nische zu klein wird, steht ein Ausbruch bevor", schreibt er, diesmal unter Berufung auf Elias Canettis "Masse und Macht". Die Erwartung, der Anhäufung von Quantitäten müsse geradewegs der qualitative Umschlag folgen, ist allerdings unbegründet. Denn die Massen haben, um bei Canetti zu bleiben, die Eigenschaft, zu zerfallen, wenn sie von ihrer Zahl her gesättigt sind und kein plausibles Fernziel mehr vorhanden ist. Angesichts ihrer Indifferenz, mit der die Wortführer kokettieren und für die das floskelhafte Motto steht, ist unklar, welches Ziel, wieviel Widerstand gegen und Gefahr für das "Establishment" noch bleibt, wenn schon die etablierte Zeit wirbt: "Berlin: Auf zur Love Parade" und das Nobelhotel "Adlon" Betten für die Techno-Fans reserviert.

Hinter derlei raunenden Beschwörungen steht der Glaube an eine vitalistische Kultur, die erstens eine befreite Subjektivität konstituiert und sich zweitens in gesellschaftspolitischen Aktivismus transformieren läßt. Es ist ja unbestritten, daß das Spektakel seinen Teilnehmern den zeitweiligen Ausstieg aus dem Reich der Zwecke ermöglicht. Im bewußtlosen Zustand erfahren sie eine realisierte Freiheit, im wummernden Rhythmus finden Entgrenzung, das Aufgehen in Gemeinschaft und Masse statt, archaisches Erleben ermöglicht Emanzipation vom Alltag. Andererseits gehören dieser Zustand subjektiver Autonomie und die Mittel, die zu seiner Erreichung offeriert werden, längst zum Kalkül der Kulturindustrie, Medien und Werbewirtschaft.

Dabei spielt die Darstellung des Körpers eine große Rolle, die demonstrative Präsenz befreiter Physis und karnevalesker Verkleidungen unterläuft den Rollenzwang in Ausbildung, Beruf, Familie, Gesellschaft. Unterlaufen ihn und perpetuieren ihn doch wieder, denn diese Demonstration ist weder "gefährlich" noch subversiv, noch führt sie zu Konsequenzen, sie ist nur die Bravheit in Ekstase. Der Staat stellt den öffentlichen Raum zur Verfügung, zu Körperkult und Verkleidungen wird ausdrücklich ermuntert, denn sie steigern den Umsatz. Die Parade ist nicht mehr nur Werbeträger, sondern kommerzielles Gesamtkunstwerk, und die Raver sind ihr konstitutiver, loyaler Bestandteil. Alle Selbstbilder sind fingiert, die Frage nach Identität, Substanz, ironischen Verweisen führt ins Leere, es gibt kein "Geheimnis" außerhalb der Freude am Spaß. Wenn dies noch als Vorzug und Beleg ihrer vitalen Qualität herausgestellt wird, erfüllt sich nur, was Ortega als die Negativ-Seite des "Aufstands der Massen" beschrieb – der Triumph des "Inferiorität": "Das ist es, was ich (…) als das Kennzeichen unserer Epoche hinstellte: nicht daß der gewöhnliche Mensch glaubt, er sei außerordentlich und nicht gewöhnlich, sondern daß er das Recht auf Gewöhnlichkeit und die Gewöhnlichkeit als Recht proklamiert und durchsetzt."

Falls Guildo Horn das Gegenstück zu Helmut Kohl ist, ist die Love Parade die Verdoppelung, das Einverstandensein mit der von ihm repräsentierten Epoche, mit der sie ausdrücklich die stupide Gleichgültigkeit gegenüber den natürlichen Ressourcen teilt. Kein Wunder, daß die CDU ihr am lautesten applaudiert. Der brandenburgische CDU-Landesverband, ein politischer Zombie, brachte am 11. Juni im Landtag den Antrag ein, die Love Parade politisch und finanziell zu unterstützen. Auch der Vorschlag, sich mit einem eigenen Wagen zu beteiligen, wurde diskutiert. Von einem "Impact", einem Aufeinanderprallen aufmüpfiger Jugendkultur und Politik kann da wirklich nicht die Rede sein. Im Gegenteil, die Politik erhofft sich von ihrer eigenen Verdoppelung eine – risikolose – Frischzellenkur. Damit ist das Perpetuum mobile perfekt, Politik und etablierte (Jugend-)Kultur sind eins, und über allem lächelt wohlgefällig die Sonne des "großen Geldes". Jenseits davon gibt’s keine Alternativen, keine Ideenvorräte mehr. Was auch immer die ursprüngliche Idee der Love Parade gewesen sein mag, heute läßt sich frei nach Marx konstatieren: Wehe der Idee oder der Alternativkultur, die von der Kulturindustrie ergriffen und in die Massen getragen wird! Die Love Parade ist eine falsche Frühlingsfeier und totale Affirmation des Bestehenden. Doch wenn man bedenkt, wofür sich junge Leute in diesem Jahrhundert schon so alles begeistert haben, ist das nicht einmal unsympathisch. Und die Chance, klüger zu werden, gibt es jeden Tag neu und sogar gratis.


 
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