© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/98 17. Juli 1998

 
 
Wahlkampf: Kohl führt keine Selbstgespräche, und Tiedje leistet ganze Arbeit
Ein letzer heiliger Eid
Hans-Georg Münster

Helmut Kohl ackert wieder. Das alte Schlachtroß trab von Termin zu Termin. Mal jubeln ihm im oberbayerischen Fürstenfeldbruck 5.000 Anhänger zu und skandieren "Helmut, Helmut", mal überrascht er in Bonn 500 Journalisten mit Selbstgefälligkeiten und einer "Ihr-bringt-mich-sowieso-nicht-aus-der-Ruhe-Stimmung". Auf die Frage, ob er schon mit seinem Nachfolger gesprochen habe, fällt Kohl nur ein: "Ich führe keine Selbstgespräche."

Tatsächlich läuft es im Wahlkampf wieder besser für den Kanzler der Einheit und Vater des Euros. Langsam dem Vergessen anheim fallen die Patzer seines neuen Regierungssprechers Otto Hauser, der in barschem Ton die Undankbarkeiten der Bürger in den neuen Ländern beklagt hatte. Auch über das Theoretisieren des Fettnapf-erprobten CSU-Generalsekretärs Bernd Protzner zum Thema Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung beginnt das Gras zu wachsen. Es bleibt ein Problem mit dem Thronfolger Wolfgang Schäuble. Der CDU/CSU-Fraktionschef hatte in einem Interview vor einem Auseinanderbrechen der Union nach einer verlorengegangenen Bundestagswahl gewarnt. Kohl tat das als unwesentlich ab: "Ich kann gar nicht erkennen, daß Schäuble etwas Befremdliches gesagt hat."

Aus Kohls Weltsicht kann auch gar nichts auseinanderbrechen. Der Pfälzer weiß nur zu genau, daß die bayerische Schwester ruhig bleibt, solange deren Vorsitzender Theo Waigel heißt, von dem Spötter in Bonn sagen, er sei Kohls Sekretär für CSU-Angelegenheiten. Die Bayern haben zudem ihre Ausdehnungserfahrungen in den neuen Ländern mit ihrem Ex-Zögling DSU bereits hinter sich. Der Lustgewinn mit der DSU war gering, der Ärger groß. Der Kreuther Trennungsgeist bleibt in der Flasche.

Und was sollte in der CDU auseinanderbrechen? Die Partei ist eine Riege begabter Funktionäre, politisch eng begrenzt auf eine Position der sozialdemokratischen Mitte. Funktionsträger oder Verbände, die wegbrechen könnten, sind praktisch nicht vorhanden. Das von Kohl geschaffene Lehenssystem in der Partei ist ein feudal-mittelalterliches. Eigenständig Denkenden wurden schon die Sprossen aus der Karriereleiter rausgebrochen, ehe sie mit dem Aufstieg beginnen konnten. Und alles, was neben der Union wachsen könnte, wird mit der Faschismus-Keule erschlagen. Noch funktioniert dieses System.

Die eigentliche Gefahr für Kohl liegt darin, daß zu viele von der sozialdemokratisch-nichtstuerischen CDU/CSU-Politik enttäuschte Wähler wegbrechen könnten. Da hat er schon vorgesorgt. Das Wahlprogramm wurde nach der Sachsen-Anhalt-Wahl "rechter" ausgestaltet. Jetzt ist mehr Härte gegen kriminelle Ausländer angesagt, und ungezogene Kinder sollen schneller ins Heim eingewiesen werden.

Das öffentliche Erscheinungsbild verbessert derweil Hans-Hermann Tiedje, Ex-Chefredakteur von Bild und jetzt Kohls Berater für grobe Aktionen. Tiedje weiß, wie die Medienwelt, die meist eine virtuelle ist, funktioniert: Was die Deutsche Presse-Agentur (dpa) nicht als "Zusammenfassung" bis zum Nachmittag berichtet, war kein ernstzunehmendes Ereignis. Und die letzten Aktionen liefen doch prima. Der grüne Benzinpreis-Beschluß, Forderungen nach Flugreisen auf Bezugsschein, Tempo 30 bundesweit und die Gleichsetzung von Bundes- mit Reichswehr waren "Selbstläufer" (Kohl). Die Grünen haben gar nicht bemerkt, wer da die Kampagne gegen sie befördert und versucht, die Öko-Partei unter fünf Prozent zu drücken.

Die Pleiten-, Pech- und Pannenserie von Kohls Widerpart Gerhard Schröder tut ein übriges. Seine Fehlentscheidung, den Unternehmer Jost Stollmann (sieh e Porträt auf Seite 3) als Wirtschaftsminister vorzusehen, wurde nur noch von der dummdreisten Äußerung übertroffen, der Aufschwung gehe allein auf sein, Schröders, Konto. Da merkt auch der letzte unentschlossene Wähler, daß er auf eine Leimrute gelockt werden soll.

Es formt sich ein Bild in deutschen Köpfen: Wirre Grüne wollen uns unsere Lieblingsspielzeuge wegnehmen, und die SPD hat einen unausgereiften, überforderten Kandidaten, der vielleicht auf die bösen Buben der PDS angewiesen sein könnte. Dagegen steht ein Kanzler für das schöne Prinzip "Weiter so!" Der typisch bürgerliche Wähler wird also wieder bei der CDU/CSU sein Kreuzchen machen und den heiligen Eid leisten, diesmal sei es aber wirklich das letzte Mal gewesen. Wie schon so oft.


 
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