© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/98 17. Juli 1998

 
 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Eigentum verpflichtet
Karl Heinzen

Regierungshandeln, das nicht ideologischen Zwängen unterworfen sein möchte, ist naturgemäß pragmatisch orientiert. Auch Privatisierungen dürfen hier keine Ausnahme bilden. Gewiß könnte man es sich leicht machen und vom hohen Roß der verantwortungsfernen Theorie herab darüber lästern, daß die gegenwärtige Bundesregierung keineswegs eine Reduzierung von Staatsaufgaben betrieben, sondern lediglich das sogenannte Tafelsilber verscherbelt habe. Dies zu beklagen, hieße jedoch, das Wesen von Privatisierungen zu verkennen, zumindest von solchen, die machbar sind.

In einer demokratischen Marktgesellschaft kann der Staat zwar den Bürgern Einkommen und Vermögen schmälern. Er kann sie aber nicht auch noch dazu zwingen, sich eine unternehmerische Verantwortung aufzubürden, von der sie nichts haben. Eine freiwillige Übernahme zuvor öffentlicher wirtschaftlicher Aktivität durch Private erfolgt nur dann, wenn die daraus erwarteten Gewinne die zum Erwerb erforderlichen Aufwendungen übersteigen. Der Gewinn des Privaten ist der entgangene Gewinn des Staates. Die öffentliche Hand ist durch die Privatisierung also in jedem Fall geschädigt, sofern sie nicht in einem kürzeren Zeithorizont als die Wirtschaft denkt. Handelt es sich um eine Art hoflich kaschierte Zwangsversteigerung, ist die Veräußerung von staatlichen Unternehmen allerdings so unausweichlich wie legitim. Im Vertrauen auf die wirtschaftspolitische Kompetenz der aktuellen Bonner Koalition muß davon ausgegangen werden, daß genau dies mehr oder weniger der Hintergrund für die Privatisierungen der zurückliegenden Legislaturperioden war.

Das Lamento über die Folgekosten der Post-Privatisierung ist also ökonomisch unangebracht, und zudem ist es menschlich nicht nachvollziehbar: Nutzen wird nur individuell empfunden, niemals "kollektiv". Eine Lösung, von der immerhin einige wenige profitieren und deren Belastung sich nahezu unmerklich auf die ungezählten Schultern einer anonymen Masse von Steuerzahlern verteilt, verdient keine Kritik, möchte man nicht dem Neid Tore und Türen öffnen.

Nicht von der Hand zu weisen ist es aber, daß die angespannte Haushaltslage die Politikspielräume eng macht. Längst vorbei sind die Zeiten des Überflusses, in denen westliche Industrienationen, allen voran Großbritannien und Frankreich, durch die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, also gefährdeten, aber als wichtig erachteten Branchen, einen warmen Entschädigungsregen über die überforderten Anteilseigner ergießen konnten. In den Drohungen, daß ein SPD-Wahlsieg einen Investitionsstop auslösen könnte, mag ein wenig die Hoffnung mitschwingen, Gerhard Schröder ließe sich vielleicht provozieren. Auch eine linke Regierung wird die Wirtschaft aber nicht aus ihrer Verantwortung für den Standort Deutschland entlassen.


 
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