© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/98 24. Juli / 31. Juli 1998

 
Kolumne
Neues Manifest
Von Ulrich Schacht

Da glaubten wir, es endlich überstanden zu haben – das Manifest der Kommunistischen Partei aus dem Jahre 1848, das gerade gefeiert wurde, und manchmal sogar eingedenk seiner gar nicht so feierlichen Folgen für die Menschheit. Da glaubten wir, die Schlußparole jenes wahnhaften Kampftraktats aus der Feder von Marx/Engels – Proletarier aller Länder, vereinigt euch! – sei endgültig im düsteren Archiv des schlechten Gewissens der Menschheit im allgemeinen und der Deutschen im besonderen abgelegt worden. Doch offenbar ist sie unausrottbar, die deutsche Denker- und Henker-Lust, daß am eigenen Wesen die ganze Welt zu genesen habe, und zwar die ganze. Die neueste Latrinen-Parole dieser Art, nicht weniger bedrohlich als ihre proletarisch linksgewirkten und kaiserlich rechtsgewandeten Vorläufer hat soeben der bekannte deutsche Global-Soziologe Ulrich Beck via Zeit in die Zeit posaunt: "Weltbürger aller Länder, vereinigt euch!" Diesmal handelt es sich um die paroleske Quintessenz eines "kosmopolitischen Manifests". Dessen Ziel: die demokratische Welt-Neuordnung "jenseits des Nationalstaats". Wer aber will das außer der westdeutschen Politik-Elite, die nicht begreifen will, daß das nicht geht – selbst wenn es ginge!

Beck, wir wissen es, ist der Neu-Erfinder des Politischen nach dem angebliche Ende alles klassischen Politischen im Jahre 1989, obwohl der ganze anthropologisch grundierte Geschichts-Ramsch mit seinen strömenden Blutflüssen, wachsenden Schädelgebirgen und davon umspülten oder umstellten Kleinbürger-Burgen zwischen Kohlstadt und Kinkelhausen wie gehabt existiert. Zugleich ist Beck, rein editorisch gesehen, der Erfinder eine Zweiten Moderne, die aber mehr oder weniger nur ein Ereignis im Rahmen der "reflexiven Modernisierung" der berühmten edition suhrkamp ist, die mit ihren farbspektralfunkelnden Taschenbüchern das schöngeistige Leben der Republik des westdeutschen Sonderbewußtsein ins Schein-Heilige hineinilluminierte. Bis es am Tag nach dem Mauerfall ins flackernde Stottern kam und fast an den Brocken seiner neomarxistischen Scholastik erstickt wäre. Wäre da nicht Beck und sein manifestöser Forderungskatalog, der den alten Marx paraphrasiert, um neuen Murx zu inspirieren: Die "Idee einer postnationalen Demokratie" bedürfe der "Begründung und Gründung eines neuen politischen Subjekts – nationaler Parteien der Weltbürger". Oder: "Es gibt eine neue Dialektik von globalen und lokalen Fragen – ‘glokale Fragen’". Ach ja? möchte man da fragen und ausrufen: Du lieber Gott, der Mann ist einfach nur epigonal. Ein Schablonist, Synthetiker, Soziologe eben, dem man vielleicht ein paar Monate Papua-Neuguinea verschreiben sollte, damit er dem Geheimnis der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen auf die Spur kommt. Oder vielleicht doch besser einen Astronomiekurs. Das mindert die Gefahren für die beobachteten Objekte.


 
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