© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/98 24. Juli / 31. Juli 1998

 
Bundestagswahl: Die ersten Hürden sind genommen
Jeder wählt sich selbst
von Gerhard Quast

Wer gehofft hat, sich bei der anstehenden Bundestagswahl nicht für das "kleinere Übel" entscheiden zu müssen, sondern einfach nur "die Guten" wählen zu können, sieht sich enttäuscht. Sowohl die "Wählergemeinschaft Die Guten" als auch die Partei "Die Guten" können am 27. September nicht antreten. Der Bundeswahlausschuß bezweifelte bei der Prüfung der eingereichten Unterlagen die Ernsthaftigkeit ihrer Anliegen.

Weniger spannend ging es am vergangenen Freitag hingegen bei der Frage zu, welche Parteien bei der Einreichung ihrer Wahlvorschläge für die Bundestagswahl keine Unterstützungsunterschriften beizubringen haben, weil sie im Bundestag oder in einem der 16 Landtage mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten waren bzw. sind. Neben den Bundestagsparteien CDU, CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und PDS sind dies die im Landtag von Baden-Württemberg mit 14 Abgeordneten sitzenden Republikaner (REP), die Partei "Arbeit für Bremen und Bremerhaven" (AFB), die in der Bremer Bürgerschaft mit zwölf Abgeordneten vertreten ist, sowie die erst im April mit 16 Abgeordneten in den Landtag von Sachsen-Anhalt eingezogene Deutsche Volksunion (DVU).

Zudem wurden im Bundeswahlausschuß insgesamt 34 Vereinigungen als Parteien anerkannt (siehe Kasten). Diese müssen nun für ihre Wahlvorschläge Unterstützungsunterschriften sammeln: Für einen Listenvorschlag müssen Unterschriften von mindestens einem Promill der Wahlberechtigten des Landes, jedoch von höchstens 2.000 Wahlberechtigten, vorgelegt werden. Für einen Kreiswahlvorschlag reichen 200 Unterschriften. Diese Unterstützungsunterschriften mußten bis 23. Juli beim Bundeswahlleiter eingegangen sein. Über deren Zulassung entscheiden die 16 Landeswahlausschüsse am 31. Juli.

Wie eine telefonische Umfrage der jungen freiheit ergeben hat, wird ein Teil der gemeldeten Gruppierungen die erforderlichen Unterschriften nicht erbringen können oder allenfalls mit wenigen Landeslisten oder in einzelnen Wahlkreisen antreten. So wird beispielsweise die Freisoziale Union (FSU) lediglich in jeweils einem Wahlkreis in Schleswig-Holstein, Hamburg und Baden-Württemberg kandidieren. Ebenso beschränkt sich die Deutsche Soziale Union (DSU) "aus organisatorischen Gründen" auf sechs Direktkandidaturen in Sachsen und drei in Thüringen. Während von den regionalistischen Gruppierungen die Bayernpartei (BP) nach Aussagen ihres Landesvorsitzenden Hubert Dorn die Unterschriften "mit Sicherheit" erreichen wird, kann dies bei der bisher kaum in Erscheinung getretenen Europäischen Regional-Partei (EuRePa) bezweifelt werden.

Von den ausgesprochen christlich orientierten Parteien wird die Deutsche Zentrumspartei lediglich in Nordrhein-Westfalen mit einer Landesliste sowie mit Einzelbewerbern in den Wahlkreisen Altmark und Hildesheim antreten. Auch die Christliche Mitte (CM) wird voraussichtlich nur in sechs Bundesländern auf dem Wahlzetttel stehen: in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland. Fast flächendeckend – mit Ausnahme von Berlin, Hamburg und Brandenburg – wird die Partei Bibeltreuer Christen (PBC) antreten. Die Unterschriften sind nach Einschätzung der Geschäftsstelle erbracht.

Um die Stimmen der Öko-Wähler kämpft außer den Bündnisgrünen die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), die gegenüber der jungen freiheit versicherte, bereits für alle 16 Bundesländer die erforderlichen Unterschriften gesammelt zu haben. Weiterhin wird die Tierschutzpartei in 13 Bundesländern um deren Wählergunst buhlen.

Als linke Alternativen zu den Linksparteien im Bundestag bewerben sich in einigen Bundesländern außerdem Politsekten wie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) sowie die Trotzkisten von der Partei für Soziale Gleichheit/Vierte Internationale (PSG).

Nachdem vor einigen Jahren ein Teil der Feministinnen den Grünen den Rücken gekehrt hat, können linke Frauen – zumindest in einigen Ländern – ihr Kreuzchen auch bei der Feministischen Partei machen. Auch um den Mittelstand (Die MittelstandsPartei), die Rentner (Die Grauen) und die Autofahrer (APD) wird fleißig geworben werden. Und selbst das aus den Wendezeiten 1989/90 übriggebliebene Neue Forum kann – wo es auf dem Wahlzettel erscheint – angekreuzt werden.

Einen gewissen Bekanntheitsgrad haben auch die Naturgesetz Partei, die in allen westlichen Bundesländern (außer dem Saarland) antreten wird. Die erforderlichen Unterschriften seien gesammelt, betont ein Sprecher der dem esoterischen Spektrum zuzuordnenden Partei. Auch die obskure Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) von Helga Zepp-LaRouche, die seit vielen Jahren unter wechselnden Namen (EAP, Patrioten für Deutschland) agiert, tritt in der Hälfte aller Länder an und hat nach Auskunft der Geschäftsstelle die Voraussetzungen "weitgehend erfüllt".

Zum ersten Mal dabei ist die Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands (APPD), eine Sponti-Partei, die bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 1997 für großes Presseecho sorgte und in St. Pauli mehrere Prozent einfahren konnte.

Rechts von der Union tummelt sich diesmal gleich ein halbes Dutzend Parteien, so daß es für alle eng werden könnte. Neben der DVU wird bundesweit die NPD um rechte Protestwähler werben. Die erforderlichen Unterschriften seien mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz und Thüringen "ohne Probleme" zusammengekommen. Um den gemäßigt rechten und konservativen Wähler kämpfen bundesweit die Republikaner und der Bund Freier Bürger (BFB). Letzterer hat die Unterschriften bereits zusammen. Lediglich in Sachsen-Anhalt "dürfte es knapp werden", so ein Sprecher. Ein Unsicherheitsfaktor besonders für den BFB ist die "Initiative Pro D-Mark" des Euro-Kritikers Bolko Hoffmann, die ebenfalls im Rennen bleibt.

Schließlich tritt noch der Theaterregisseur Christoph Schlingensief mit seiner medienwirksam vermarkteten "Chance 2000" an. Sein Wahlkampfmotto: "Jeder wählt sich selbst".


 
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