© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/98 24. Juli / 31. Juli 1998

 
Parteien: DVU und NPD erkennen die politische Bedeutung der sozialen Frage
Die linke Kritik von Rechts
von Oliver Geldszus

Beflügelt von dem erstaunlichen Wahlerfolg der Deutschen Volksunion (DVU) in Sachsen-Anhalt und mit Blick auf die Bundestagswahl am 27. September rechnen sich die Parteien der radikalen Rechten in Deutschland zunehmend Chancen aus, das Schattendasein zu verlassen und sich im politischen Alltag zu etablieren. Eine ungeahnte Bewegung und Dynamik ist zu verzeichnen. Im Mittelpunkt steht dabei zunächst die DVU. So schätzt der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Alfred Mechtersheimer, an der Deutschen Volksunion nicht nur die "Revitalisierung des Nationalen", sondern auch den Kampf gegen das "soziale Unrecht".

Auffällig ist im Zusammenhang der Wahlkampfvorbereitung einiger Rechtsparteien, daß sie wie nie zuvor der sozialen Frage Rang und Bedeutung zumessen. Hatten sie sich früher in der Regel auf nationale Parolen, Ausländerproblematik und innere Sicherheit als grobe Leitlinien beschränkt, so ist nun das Soziale in den Mittelpunkt gerückt und verbindet sich scheinbar automatisch mit dem Nationalen. Für diesen neuen Blickwinkel sind hauptsächlich die neuen Länder mit ihrer hohen Arbeitslosenquote verantwortlich; bereits im sachsen-anhaltinischen Wahlkampf hatte sich der Münchner Verleger und DVU-Chef Gerhard Frey bei der Bevölkerung als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit vorgestellt. Die Relevanz des Sozialen ist hier ungleich größer als in Westdeutschland, wo noch immer von den wirtschaftlichen Standortvorteilen der alten Bundesrepublik gezehrt werden kann, während in Mitteldeutschland nach dem Zusammenbruch des maroden Systems ein gewaltiger Strukturwandel für eine höhere soziale Sensibilität sorgt. Hatte im Westen jahrzehntelang die Linke die soziale Frage besetzt, so findet hier nur noch die PDS Gehör, was der Rechten die Gelegenheit bietet, erfolgreich in dieses Gebiet vorzustoßen und das Terrain zu besetzen, auf dem die Wahlkämpfe entschieden werden.

Neben der Bundestagswahl konzentrieren sich die Vorbereitungen daher vor allem auf die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, die zeitgleich stattfinden wird. Beim Urnengang in Bayern zwei Wochen zuvor will die DVU erst gar nicht antreten. Die instabile politische Lage im Nordosten und die hohe Arbeitslosenquote läßt Magdeburger Wahlergebnisse erwarten.

Mit von der Partie wird diesmal verstärkt auch die NPD sein, die in den neuen Ländern vor allem bei Jugendlichen starken Zulauf hat. Sie hebt sich von der DVU durch eine straffe Organisation, programmatische Gewichtung und intellektuellen Führungsanspruch ab; im Vergleich zur Frey-Truppe wirkt sie fast wie eine Kaderpartei. Die Forderungen der NPD gehen über den Kampf gegen Sozialabbau und Arbeitslosigkeit hinaus: "Sozialismus ist machbar!" lautet die Schlagzeile des Parteiorgans Deutsche Stimme.

Bekenntnis zum "nationalen Sozialismus"

Dahinter verbergen sich keineswegs plumpe Anbiederungsversuche an larmoyante Mitteldeutsche, die der DDR hinterhertrauern, oder an potentielle PDS-Wähler, vielmehr solle es um einen neuen nationalen Sozialismus gehen, der das Volk in einer Gemeinschaft zusammenschweiße. Im NPD-Parteiprogramm heißt es dazu: "Aus sozialer Gerechtigkeit wächst die nationale Volksgemeinschaft." Das deutsche Finanzkapital habe "der deutschen Volkswirtschaft zu dienen".

Im Mai-Heft der Staatsbriefe hat der der NPD nahestehende Thor von Waldstein in diesem Kontext vierzehn Thesen zum Kapitalismus veröffentlicht, in dem er "die Wurzel der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen" erkennt. Die Kapitalismuskritik in Deutschland sieht Waldstein durch die Lethargie der einstmals wortgewaltigen "linken Besserwisser" als verwaist an; sie müsse nunmehr mit nationalen Inhalten konnotiert werden. Der Antikapitalismus ist für ihn die conditio sine qua non der neuen Rechten: "Entweder es kommen endlich die ‘linken Leute von rechts’ oder es kommen überhaupt keine Leute von rechts."

NPD-Funktionär Peter Stöckicht sieht für seine Partei mit derartigen Thesen und Ansätzen nicht nur im Osten eine große Zukunft, wenngleich die Bedingungen dort auch ungleich günstiger seien. Stöckicht will vorrangig "von Sturm und Drang beseelte junge Leute" in die NPD integrieren und so allmählich der finanzstarken DVU den Rang ablaufen. Denn die habe "keine Kader", wie er nicht zu Unrecht anmerkt, und bestünde daher nur aus ihrem Finanzier. Mit Kameradschaftsabenden und politischen Schulungen versucht die NPD zunehmend, DVU-Mitglieder abzuwerben. Die Republikaner stellen für beide Parteien im Osten derzeit keine Konkurrenz dar. Bei der Jugend genießt die NPD die größere Akzeptanz, was nicht zuletzt auf die geschickte Verquickung aus nationalem Bewußtsein und sozialistischem Gedankengut zurückgeht.

Den neuen Zulauf, den die NPD genießt, hat sie vor allem ihrer geänderten Parteilinie und Taktik zu verdanken. Nachdem die Partei in den sechziger Jahren Wahlkampferfolge verzeichnen konnte, verlor sie in den achtzigern zunehmend an Bedeutung und büßte Attraktivität für junge Rechte ein. Die Wende kam zunächst mit der Wahl Günther Deckerts zum Vorsitzenden. Der wegen Leugnung des Holocausts zu einer mehrjährigen Haftstrafe Verurteilte mühte sich konsequent und letztlich erfolgreich, das alte Stammtisch-Image abzulegen und eine neue rechte "Kampfpartei" zu formen. Als 1992 die "Nationalistische Front", die "Nationale Offensive" sowie 1995 die Freiheitliche Arbeiterpartei (FAP) verboten wurden, konnte sich die NPD endgültig als Sammelbecken vor allem für orientierungslose Jugendliche etablieren. Seit 1996 steht der Partei der Hauptmann der Reserve und Politologe Udo Voigt vor. Unter der Regie des geschickten Agitators wurde der Kurs zur Kaderpartei mit ideologischem Führungsanspruch verstärkt; ehemaligen Mitgliedern der mittlerweile verbotener Organisationen öffnete er bereitwillig die Tür. So avancierte der frühere Führungsfunktionär der "Nationalistischen Front" Steffen Hupka zum Landeschef in Sachsen-Anhalt. Seine Zielvorstellung ist es, die NPD zur "diszipliniertesten und revolutionärsten Kampforganisation" in Deutschland zu machen. Mit beiden Attributen trifft er den Anspruch seines Parteichefs Voigt, der längst die Attraktivität des Sozialismus erkannt hat. Vor allem auf Veranstaltungen in Mitteldeutschland wettert er gegen das "internationale Großkapital" und formuliert mühelos unter begeistertem Beifall sein Bekenntnis zum "nationalen Sozialismus".

Daß eine Partei wie die NPD die sozialistische Alternative entdeckt und als Zukunftsvision propagiert, ist so neu natürlich nicht, wie es zunächst scheinen mag. Oswald Spengler hatte 1919 den Konservatismus mit dem preußischen sozialistischen Staatsprinzip in seiner Schrift "Preußentum und Sozialismus" versöhnt.

Im selben Jahr nannte Hitler in München Drexlers alte DAP in NSDAP um. Einen "National-Sozialen Verein" hatte der Liberale Friedrich Naumann noch im Kaiserreich gegründet; eine nationalsozialistische Partei existierte seit 1913 bereits in Böhmen. Hitlers Sozialismusbegriff beschränkte sich im Gegensatz zum "linken" norddeutschen Nationalsozialismus um die Strasser-Brüder auf die Idee des Volksstaates, wie er dem Düsseldorfer Industrieklub auf seiner Rede im Januar 1932 erläuterte. Ungleich stärker spielte Joseph Goebbels, der noch 1923 seinem Tagebuch anvertraut hatte: "Ich bin deutscher Kommunist", die sozialistische Karte. Am Grab von Horst Wessel bekannte er: "Wir sind Christussozialisten!" Hitler geriet zum Messias, der das dritte chiliastische Reich gründen sollte, das bereits Moeller van den Bruck prophezeit hatte. Mit dem Sozialismus besetzte die NSDAP in der krisengeschüttelten Weimarer Republik den entscheidenden Begriff, der erst den Massenzulauf und neben anderen Faktoren die Machtübernahme letztlich möglich machte.

Kapitalismus als altes und neues Feindbild

Die radikale Rechte ist somit wieder dabei, einen eigenen Sozialismus zu entwickeln und zu proklamieren. Im Kalten Krieg wurde er mit Marxismus respektive Kommunismus sowie dem Ostblock generell gleichgesetzt und von Konservativen wie Rechten gleichermaßen bekämpft. Rechts stand für Wirtschaftsliberalismus und Antikommunismus. Hier deutet sich eine neue Qualität an; eine Tendenz, deren Ausgang noch offen ist.

Die Relevanz der sozialen Frage im heutigen Deutschland ist unumstritten, und wenn eine Partei wie die NPD den Sozialismus vor den Wahlen propagiert, so ist das zunächst nur ein Indiz für diese Tatsache. Die Frage wird sein, ob ein intellektuelles konservatives Klima entsteht, aus dem heraus neue staatssozialistische Politikansätze – Thomas Mann nannte es während des Ersten Weltkrieges einmal die "deutsche Aufgabe der sozialen Organisation" – hervorgehen können. Hier kündigt sich somit erst der Beginn eines langwierigen Prozesses in den gegenwärtigen Umbruchzeiten an; aber es gärt bereits.


 
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