© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/98 24. Juli / 31. Juli 1998

 
Mit Dünger und Acryl-Pfeife: Hanf im Selbstanbau wird immer günstiger und beliebter
Hobbygärtner statt Dealer
von Jürgen Hatzenbichler / Manuel Ochsenreiter

Bei Holger zu Hause sieht es aus wie im Wald. Der Politik-Student aus Berlin hat an die 20 Blumentöpfe in seinen 23 Quadratmetern und auf seinem kleinen Balkon. "Angefangen hat es in Amsterdam", erzählt er. Dort habe er sich seinen "ersten Samen" gekauft. Seitdem wurde für den passionierten Haschisch-Konsumenten der Heimanbau zu mehr als nur einem Hobby. "Vier verschiedene Sorten habe ich bereits und sogar eine eigene Zucht!" trumpft er auf, während er liebevoll über ein saftig-grünes Hanfblatt streicht. "Bald ist Ernte!" An der Wand hängen "Legalize"-Plakate und Flyer zur "Hanf-Parade" in Berlin. Auf einem Tisch mit einer Che Guevara-Fahne als Tischdecke steht Holgers neueste Errungenschaft: Eine gelbe Leuchtfarben-Acryl-Glaswasserpfeife. "Die beamt einen richtig weg", weiß Holger und offenbart sogleich seine Wunschliste. "Nährstofflösung, Erdmix mit Perlit und ein neues Beleuchtungssystem".

Das Böse kommt nicht immer aus dem Ausland. Und nicht immer ist es ein "dunkelhäutiger" Dealer, der den "Otto Normalverbraucher" zu seinen Rauschmitteln kommen läßt. Das Böse lauert auf dem Balkon. Es kommt aus der Heimat. So manche Pflanze ist ein Rauschmittel. Wer sich dabei auskennen will, findet auch die entsprechende Literatur.

In jedem besser sortierten Kiosk gibt es entsprechende Zeitschriften wie Hanf, grow! oder auch HanfBlatt. Hier kann sich der Laie informieren. Ein Kleinkosument wendet sich zum Beispiel an eine dieser Zeitschriften und weiß zu berichten: "High, ich bin vor kurzem ins Anbauleben eingestiegen und habe mir deswegen eure Zeitschrift gekauft. Meine drei Pflanzen sind inzwischen schon recht gut gewachsen. Ich halte jede in einem eigenen Topf." Der anonyme Leser sorgt sich um sein Gewächs: "Ich habe meine drei immer auf der inneren Fensterbank in Südlage, und sie bei warmem, sonnigen Wetter auf die äußere Fensterbank gestellt. Auch immer regelmäßig gegossen. " Und wenn trotzdem was nicht funktioniert, weiß der Service-Teil Rat.

Was nutzt da der verpflichtende Hinweis im Blatt: "Achtung: Jeder Mißbrauch von Drogen ist gefährlich! Wir wollen niemanden dazu auffordern oder animieren, Drogen zu konsumieren." Derlei Alibi ist nett, aber man weiß, worum es geht: Nicht um den Hanf, aus dem man Leinen oder andere nützliche Stoffe und Cremes machen kann, sondern um die "Rauchware". Eine Seite weiter gibt ein Leser Tips fürs "Grow-ing" und verweist darauf, wie man die Blätter der entsprechenden Pflanzen aussortiert, damit die Rauschwirkung gut kommt. Der Streit um das Gras ist ein Politikum. Die entsprechenden Samen und das Zubehör für Anbau und Rauchen kriegt man freilich fast überall legal. In Deutschland ist der Hanfsamen zwar seit dem 19. Dezember 1997 auf der Liste 1 der "nicht verkehrsfähigen Substanzen", auf die Praxis hat das aber kaum Auswirkungen. Und die Hanf-Lobby versucht sich moralisch mit der Faschismus-Keule abzusichern. "Damit rückt die bundesdeutsche Regierung verdächtig nahe an das Rechtsverständnis im Dritten Reich. Es ist höchste Zeit, sich wieder zu schämen, Deutscher zu sein! Der Schritt zur Bücherverbrennung ist nur noch ein kleiner." verkündet grow! in ihrer aktuellen Ausgabe. Und auch Holger schimpft auf "den Staat, die Bullen und überhaupt". Manchmal ist er aber auch richtig trotzig und "raucht die Tüte in aller Öffentlichkeit". Was daran besonders sein soll, weiß wahrscheinlich niemand außer ihm selber, denn das öffentliche Konsumieren von Haschisch gehört in Berlin zumindest hier und dort zur stupiden Normalität. Und so dürfte auf so manchem Balkon, in so manchem Wohnzimmer eine Kleinplantage stehen, sozusagen für den "Hausgebrauch". Wer ein Händchen für Gärtnerei hat, kriegt die Pflanzen auch hoch und kann dann seinen Eigenanbau rauchen.

Daß der Gesetzgeber praktisch unterlaufen wird, dafür gibt es schon auch die entsprechenden "Hanfläden", wo man kriegt, was man für den Heimanbau braucht. Wem die Kleinproduktion nicht reicht, der kann sich auch mit Bewässerungs- und Beleuchtungsanlagen versorgen, damit alles blüht und gedeiht. Der Dealer wird so aus dem Versorgungskreislauf ausgeschlossen, außer so mancher Heimanbauer wird selbst zum Kleindealer. Freilich sind Cannabisprodukte nicht das einzige, was angebaut wird. Kann man sich über die Stärke und Wirkung von Hanfprodukten vielleicht noch streiten, so gibt es auch noch andere Pflanzen aus dem Garten von Mutter Natur, die ziemlich kräftige psychoaktive Wirkung zeigen.

Was der Volksmund in Süddeutschland und Österreich als "narrische Schwammerln" kennt, nennt sich international "Magic Mushrooms" oder auch "Zauberpilze" und enthält den Wirkstoff Psilocybin, der dem stark halluzinogenen Rauschgift LSD verwandt ist. Dieser Pilz findet sich auf heimischen Almen, er wächst mit Vorliebe in Kuhfladen besonders gut. Viele Mythen und Geschichten ranken sich um die starke Wirkung der Pilze. In alten Kulturen ist der Pilz als Droge bestens bekannt, respektvoll wird er mit Göttern und anderen höheren Wesen verglichen. Wer "falsch" rangeht, läuft Gefahr, für immer einenKnacks weg zu haben.

Jeder kann sich auch dafür um rund 70 Mark ein "Basispaket" zum Pilzezüchten aus den Niederlanden bestellen, das sich selbst mit den Sprüchen: "Einfach billig. Gelingt immer. Einmalige Anschaffung. Pilze züchten bis zum Lebensende." bewirbt. Das kann freilich früher kommen als man denkt. Fragwürdig wird es , wenn in einer der entsprechenden "Fachzeitschriften" der "richtige" Konsum von Fliegenpilzen beschrieben wird. Der Fliegenpilz ist gefährlich. Da warnt selbst grow! in fetten schwarzen Lettern: "Fliegenpilze sind – auch wenn sie legal sind – extrem starke bewußtseinsverändernde Drogen. Sie sind daher kein Spielzeug!" Denn nicht selten springt ein Pilzesser aus dem Fenster – in dem festen Glauben, er könne jetzt fliegen. Dann nimmt die Astralreise ins Universum schon mal ihr plötzliches Ende auf heimischem Asphalt.

Die pflanzenkundliche Literatur erfreut sich überhaupt zunehmend größerer Beliebtheit. Immerhin sind von 5.000 heimischen Pilzarten 80 psychoaktiv, also Rauschmittel. Daneben hat sich eine richtige Kleinindustrie für die entsprechenden Anbauhilfen für Cannabisprodukte entwickelt.

Das alles macht viele Versuche der Exekutiven, den Rauschgiftkonsum einzudämmen, zum blanken Hohn, betreffen diese Maßnahmen vielfach doch nur die ganz schweren Drogen, die aus dem Ausland importiert werden müssen. Ungefährlich sind aber auch die "heimatlichen Drogen" nicht, nur sind sie eben leichter zu beschaffen.


 
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