© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/98 07. August 1998

 
Gespaltenes Gedenken
von Arnulf Schreiber

Am 1. August konnte man, so man es denn wünschte, den 25. Todestag Walter Ulbrichts begehen. Der Vorsitzende der PDS, Lothar Bisky, rühmte den einst mächtigsten Mann der DDR als "deutschen Patrioten". So eine Würdigung wäre auch im politischen Klima der DDR der fünfziger Jahre möglich gewesen, doch Bisky ist Dialektiker genug, sein Lob in eine Relation zu setzen. Einem SED-Mitglied Bisky hätten die Genossen deswegen eine Abkehr von der Parteilinie vorgeworfen; heute relativiert so ein Vergleich die Leistung Ulbrichts geschickt: Dieser Patriot nämlich hätte sich ebenso um die deutsche Einheit bemüht wie sein Gegenspieler Konrad Adenauer – und daß der Rheinländer Wichtigeres im Sinn hatte als die deutsche Einheit, ist bekannt. Der PDS-Bundesvorsitzende schafft es überdies, einerseits der DDR den gebotenen Kotau zu zollen, andererseits mit dem Vergleichspartner Adenauer anzudeuten, irgendwie im bundesdeutschen common sense angekommen zu sein.

Die DDR ist untergegangen, damit auch das Lebenswerk Ulbrichts. Am 13. August wäre sein folgenreichstes Projekt, die Berliner Mauer, 37 Jahre alt geworden. In der Bernauer Straße in Berlin wurde deshalb jetzt eine Gedenkstätte eingeweiht; ein letztes Stück Todesstreifen, ein letztes Stück Mauer wurde konserviert. Man sollte meinen, daß ein solches Mahnmal von einem breiten Konsens getragen wird. Doch weit gefehlt. Eine Kirchengemeinde, auf deren Friedhof erst die Mauer, dann die Gedenkstätte errichtet wurde, fürchtete um die Gräber; Stadtplaner argwöhnen, die Gedenkstätte behindere die Gesamtberliner Verkehrsplanung. Und auch ästhetisch überzeugt das 2,2 Millionen teure, aus Bundesmitteln errichtete Denkmal wenig: Zwei hohe Stahlwände rahmen einen 70 Meter langen Grenzstreifen ein; vom Schrecken der Mauer ist nur noch wenig zu spüren. Die Eröffnung eines Dokumentationszentrums wurde wegen Geldmangels sogar verschoben. Doch der eigentliche Streit war politischer Natur. Weder Berliner CDU noch SPD, die in einer Koalition regieren, wollten die Täter beim Namen nennen, handelten die Sache auf Referentenebene ab, beharrten lange auf der Aufschrift: "Gedenkstätte Berliner Mauer – In Erinnerung an die Teilung der Stadt vom 13. August 1961 bis zum 9. November 1989 und zum Gedenken an die Opfer". Erst nach vehementen Protesten von engagierten Bürgern, erst nach einer Intervention des Bundesinnenministeriums sollen nachträglich die Täter beim Namen genannt werden; die Aufschrift heißt nun: "Zum Gedenken an die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft". Auch Jahre nach ihrem Fall schafft es Ulbrichts Mauer noch, die Gesellschaft zu spalten.


 
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