© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/98 07. August 1998

 
Wirtschaft und Politik: Joachim Schäfer vom Bund der Selbständigen erläutert die Probleme der mittelständischen Unternehmungen
"Ein gesunder Mittelstand ist die Keimzelle der Freiheit"
von Peter Krause

Herr Schäfer, der Mittelstand galt lange als Rückgrat der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands und auch als ein prägendes Element der Gesellschaft. Welche Rolle spielt der Mittelstand heute?

SCHÄFER: Unter dem Begriff Mittelstand verstehe ich mehr als nur eine Formel aus dem Lehrbuch der Ökonomie. Mittelstand ist für mich der Garant für einen leistungsfähigen Wettbewerb; Mittelstandspolitik ist für mich aber auch klassische Gesellschaftspolitik, weil ein erfolgreicher, vor allem selbständiger Mittelstand immer Keimzelle für die Freiheit des Individuums, für freiheitliche Forderungen, für Selbstverantwortung und Selbstverwaltung war und ist. Wer sich in der Welt umschaut, sieht, daß überall dort, wo es einen starken Mittelstand gibt, Radikalismus keinen Nährboden findet. Diktaturen jedweder Natur haben bei einer konsequent mittelständisch ausgerichteten Gesellschaft keine Chance.

Sie schreiben dem Mittelstand also eine stabilisierende Funktion in der Gesellschaft zu?

SCHÄFER: Ja. Staaten, in denen es keinen ausgeprägten Mittelstand gibt, sind für radikale Strömungen besonders anfällig, wie wir dies an der Situation vieler Entwicklungsländer beobachten können. Überall dort, wo in afrikanischen oder in lateinamerikanischen Staaten Großkonzerne dominieren, können Strohmänner dieser Unternehmen oder militärische beziehungsweise gesellschaftliche Revolutionäre vergleichsweise leicht die Macht an sich ziehen. Gäbe es in diesen Staaten eine stärkere mittelständische Struktur, bildete dies ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Ausgleichspotential, das in der Lage wäre, diesen Ländern Extremismen zu ersparen.

Wie steht es um die volkswirtschaftliche Bedeutung des Mittelstandes in Deutschland?

SCHÄFER: Die Dimensionen und die volkswirtschaftliche Bedeutung des selbständigen Mittelstandes für Deutschland lassen sich am besten durch einige Zahlen darstellen. Wir haben in den alten Bundesländern – die Zahlen aus den neuen Ländern schwanken enorm und sollen deshalb bei dieser Betrachtung außen vor gelassen werden – etwas über zwei Millionen Unternehmungen. In dieser Zahl sind Betriebe aus der Land- und Forstwirtschaft nicht enthalten. 88 Prozent jener zwei Millionen Unternehmen haben weniger als zehn Beschäftigte, rund neun Prozent beschäftigen zwischen zehn und fünfzig Mitarbeiter und nur 3.600 Betriebe gehören in die Kategorie der Großunternehmungen, weil sie 500 und mehr Mitarbeiter beschäftigen.

Ein großer Teil der Deutschen arbeitet also in mittelständischen Betrieben.

SCHÄFER: Bei den sogenannten Elefanten der Industrie finden nur rund 35 Prozent aller Arbeitnehmer Arbeit und Brot. Bei den Ausbildungsplätzen wird der beschäftigungspolitische Aspekt einer gesunden mittelständischen Struktur noch deutlicher sichtbar: Knapp 80 Prozent aller Ausbildungsplätze werden im selbständigen Mittelstand bereitgestellt. Diese Zahlen machen aber noch etwas anderes deutlich: Die mittelständische Wirtschaft stellt ein nicht zu unterschätzendes Wählerpotential dar, die Großbetriebe dagegen nur ein Spendenpotential. Das sollte sich die Politik einmal hinter die Ohren schreiben.

Vor dem Hintergrund der dargelegten Zahlen müßte der selbständige Mittelstand doch die besondere Aufmerksamkeit und Schätzung der Politik genießen?

SCHÄFER: Weit gefehlt. Zwar wird immer vor Wahlen der selbständige Mittelstand in seiner Gesamtheit hofiert und als tragende Säule unserer Wirtschaftsordnung gefeiert, wobei bisher in dieses Konzert nur die Traditionsparteien CDU/CSU, SPD und FDP einstimmten. Vom Bündnis 90/Die Grünen sind in letzter Zeit auch werbende Töne zu hören. Grundsätzlich aber paßt der doch in seiner überwiegenden Mehrheit konservativ und wertebewußt orientierte Mittelstand nicht in das ideologische Bild beziehungsweise die Umverteilungsstrategien der Linksparteien. Natürlich gibt es innerhalb der drei Volksparteien durchaus Persönlichkeiten, für die auch außerhalb des Wahlkampfgetöses eine zielgerichtete Mittelstandspolitik mehr als nur eine Worthülse ist. Einige Namen: Hans-Ulrich Klose und Uwe Jens von der SPD, Paul K. Friedhoff und Hermann Otto Solms von der FDP sowie Friedhelm Ost, Ernst Hinsken und Michael Glos von den Unionsparteien. Aber wie gesagt, diese Personen bilden eine Minderheit, weil sie sich den Luxus leisten können, gegen den Strom zu schwimmen und gegen den Strich zu bürsten. Vor allem deshalb, weil hinter ihren Namen auch das Privileg der wirtschaftlichen Unabhängigkeit steht.

Aber letztlich sehen Sie den Mittelstand nicht mehr politisch vertreten?

SCHÄFER: Blicken wir in Kürschners Handbuch des Deutschen Bundestages. Es wäre nicht unzutreffend, wenn es dort im Vorwort frei nach Ephraim Kishons Satire "Der Mann, der immer Zeit hat", hieße: Von den Plagen, mit denen Gott, der Herr, unser Wirtschaftsleben heimsucht, ist die Bürokratie die weitaus schlimmste; die Bürokratie ist nicht etwa ein Versagen der Regierung; Bürokratie ist die Regierung selbst. So sieht in Deutschland beinahe die Realität aus. Beamte und öffentlich Bedienstete als Abgeordnete des Bundestages verfügen fraktionsübergreifend über solide und deutliche Mehrheiten. Verfassungsrechtliche Bestimmungen, nach denen Parlamente die Vertretung des gesamten Volkes sind, wurden und werden zur Karikatur dieser Norm. Allein das Berufsbeamtentum stellt im Deutschen Bundestag 43 Prozent aller Volksvertreter. Weitere 14 Prozent der Abgeordneten waren und sind Arbeiter und Angestellte bei irgendwelchen staatlichen oder halbstaatlichen Behörden beziehungsweise Institutionen…

…und die haben kein Verständnis für die Interessen des Mittelstandes?

SCHÄFER: Unabhängig davon, daß durch diese Zusammensetzung des Parlamentes der Grundsatz der Gewaltenteilung in Frage gestellt wird – weil sich Staatsdiener und Abgeordnete zum Gesetzgeber in eigener Sache emporschwingen –, so kann man von einem unerträglichen Zustand sprechen, wenn der Berufsstand der Bürokraten sich selbst betreffende Gesetze einbringt, verabschiedet und später deren Ausführung überwacht. Kurzum: Wundert es bei einer solchen Zusammensetzung des Parlaments, daß nicht mehr der soziale Rechtsstaat, sondern der rechtlich gesicherte Sozialstaat im Vordergrund der eigenen politischen Bemühungen steht? Wundert es, wenn statt wirtschaftlicher Vernunft das Wort zu reden, Politiker wie Heiner Geißler oder Friedbert Pflüger ihre politische Daseinsberechtigung aus dem Populismus und dem vorauseilenden Gehorsam vor den Medien ableiten?

Nun kann doch eine übermäßige Repräsentanz des öffentlichen Dienstes im Bundestag nicht der einzige Grund dafür sein, daß der Mittelstand so stiefmütterlich behandelt wird.

SCHÄFER: Zunächst: Meine persönliche Wertung beruht auf der Erkenntnis, daß mittelständische Unternehmer die letzte Bastion der konservativen Idee sind. Ein Konservativer ist gefeit gegen Heilslehren jedweder Art; er will das Feuer, aber nicht die Asche bewahren, und Ideologien sind ihm in der Regel fremd. Daher paßt der mittelständische Unternehmer nicht in das Bild unserer heutigen Berufspolitiker, die im Wahlkampf meistbietend ihre Illusionen ausrufen, um Wähler zu fangen. Was sich also heute zwischen Politik und mittelständischem Unternehmertum in allen seinen Facetten abspielt, ist nichts anderes als der alte Kampf zwischen den Alt-68er-Spätmarxomanen und Konservativen. Der Mittelstand steht für Tugenden wie Disziplin, Fleiß, Strebsamkeit, Ehrlichkeit. Und diese Tugenden passen nicht in das Gesellschaftsbild unserer politisch überwiegend linken Schickeria. Das gilt im übrigen auch für die "Herz-Jesu-Sozialisten" innerhalb der CDU. Dies bedeutet im Klartext, daß ein großer Teil des selbständigen Mittelstandes politisch heimatlos geworden ist, weil ihm die sogenannten staatstragenden Parteien nur noch die Nachtwächterrolle für die Erhaltung ihrer eigenen Privilegien zugestehen.

Wie wirkt sich diese sogenannte Mittelstandspolitik in der Praxis aus?

SCHÄFER: Einige Beispiele mögen das verdeutlichen: Statt die exorbitant hohen Lohnzusatzkosten, die in einigen Branchen bereits bei nahezu 100 Prozent des Normallohns liegen, herunterzufahren, um unserem Land die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, wird dem Faktor Lohn noch ein "Wechselbalg" wie die Pflegeversicherung aufgepfropft. Zum besseren Verständnis: Auch die Holländer haben beim Beitragssatz zur Pflegeversicherung einmal bei 1,5 Prozent angefangen. Heute liegt in den Niederlanden die Meßlatte bei rund sieben Prozent. Ein anderes Beispiel: Statt auf Tante Emma wird auf Metro gesetzt. Der mittelständische Einzelhandel ist in seiner Gesamtheit gefährdet. Die großflächigen Verbraucher- und Selbstbedienungsmärkte haben in den letzten Jahrzehnten durch ihre aggressive Verkaufspolitik hunderttausende von kleinen Einzelhändlern in den Ruin getrieben. Im Lebensmitteleinzelhandel verfügen 0,1 Prozent der Betriebe über ein Drittel des Gesamtumsatzes. Statt aus den Fehlern in den alten Bundesländern Lehren zu ziehen, werden in den neuen Bundesländern die zuvor beschriebenen Fehler wiederholt. Gerade mit viel Hoffnung und Idealismus neu gegründet, hat der Exitus bei den kleinen Einzelhandelsgeschäften in vielen Orten schon begonnen, während sich überdimensionale Großmärkte an den Ortsrändern ausbreiten.

Sie fordern einen Schutz des Mittelstandes?

SCHÄFER: Ich fordere seine spürbare Entlastung. Aber statt kleine und mittlere Unternehmen zu entlasten, wenn es um die vom Staat erzwungenen Verwaltungsaufgaben in fremder Sache geht, lassen sich unsere Gesetzes- und Verordnungsproduzenten immer neue Statistiken und Formulare einfallen, um ihre eigene Existenzberechtigung unter Beweis zu stellen. Die Liste der Versäumnisse ließe sich beliebig fortsetzen. Daß ich dies dennoch nicht tue, liegt schlicht und ergreifend daran, daß ich eben nicht den Eindruck erwecken möchte, für den Mittelstand Schutzzäune errichten zu wollen.

Wie erklären Sie sich, daß der Mittelstand in Deutschland heute keine Lobby mehr hat?

SCHÄFER: Deutschland verdankt seinen Aufstieg nach dem Krieg zur drittstärksten Wirtschaftsmacht der Welt nicht seinen Dichtern und Denkern und auch nicht nur seinen Nobelpreisträgern, sondern der Wirtschaftskraft der vorwiegend mittelständisch geprägten Industrie und vor allem der Weitsicht eines Ludwig Erhard. Erhards Formel läßt sich vereinfacht auf folgenden Nenner bringen: Durch Eigennutz zum Gemeinnutz. Heute heißt die Parole: Vom Gemeinsinn zum Gruppenegoismus. Den Startschuß gab Konrad Adenauer, der nicht nur als Außenpolitiker, sondern auch als Sozialreformer in die Geschichte eingehen wollte. Seit der Rentenreform von 1957 wachsen die Sozialausgaben der Bundesrepublik stetig mit dem Ergebnis, daß der Sozialstaat in seiner bestehenden Form mittlerweile unfinanzierbar geworden ist. Auch die Enkel Adenauers wollen dies bis heute nicht wahrhaben – zumindest wenn es um die Konsequenzen geht.

Sie sehen also einen Widerspruch zwischen mittelständischen Interessen und der gegenwärtigen Verfassung des Sozialstaates?

SCHÄFER: Die Parteien haben die Erfahrung gemacht, daß die Übertragung von Lebensrisiken auf den Staat den Bürgern zwar Selbstbestimmung entzieht, den Parteien hingegen massiven Einfluß sichert. Der Fürsorgestaat, in dem wir heute leben, erkennt nicht an, daß nur unternehmerische Freiheit Wohlstand schafft und jeder für sich selbst verantwortlich ist. Daß sich die Hilfe des Staates nur auf die beschränken sollte, die sich noch nicht oder nicht mehr helfen können. Der Fürsorgestaat sieht in dem Bürger lediglich ein Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das wiederum bedeutet, daß das Gesamtinteresse Gruppenegoismen weichen muß, die in einer unglaublichen Klientelpolitik ihren Niederschlag finden. Denken Sie allein an das Beauftragtenunwesen in diesem Land. Man muß nur zu einer Randgruppe gehören und schon gibt es Staatsknete. Wenn wir hier nicht zu einer Neuorientierung kommen, wird es ein böses Erwachen geben.

Wie könnte eine Lösung der Probleme aussehen?

SCHÄFER: Unsere Probleme sind ja kein Zufall und auch nicht das Werk böser Mächte. Sie sind die Konsequenz unseres eigenen Verhaltens. Die Lösung der Probleme liegt darin, daß wir uns auf einen elementaren Grundsatz, der verdrängt wurde und in Vergessenheit geraten ist, wieder besinnen. Dieser Grundsatz heißt, daß zuvor immer erwirtschaftet werden muß, was wir haben und halten wollen, daß uns letztlich nicht mehr zum Ausgeben und Ausleben zur Verfügung steht, als wir verdienen.

Würden Sie das bitte konkretisieren?

SCHÄFER: Den ersten wichtigen und notwendigen Schritt dazu sehe ich in der Entsozialisierung des Lohnes. Nicht nur die Arbeitnehmer, die vom Bruttogehalt nach Abzug der Einkommenssteuer- und Sozialversicherungsbeiträge fast nur noch die Hälfte ausbezahlt bekommen, sondern auch der lohnintensive selbständige Mittelstand ächzt unter der Last der Lohnzusatzkosten. Ich plädiere für eine Grundabsicherung gegen Lebensrisiken. Was darüber hinausgeht, soll dem einzelnen überlassen bleiben, ob und in welchem Umfang er sich zusätzlich versichern möchte. Wer dem mündigen Bürger eine situationsbedingte Entscheidung bei der Kaskoversicherung seines Autos zutraut, der sollte dieses Vertrauen auch in Bereichen der Daseinsvorsorge erbringen. Es kann doch nicht angehen, daß unsere Sozialpolitiker die Bürger wie dumme kuratelbedürftige Menschen behandeln, die ohne führende Hand mit Volldampf in den Untergang rennen. Warum sollen die Menschen in Deutschland dümmer sein als in anderen Staaten, die bereits bewiesen haben, wie man erfolgreich Reformen angeht?

Wären die Probleme des Mittelstandes durch eine Reform des Sozialstaates gelöst?

SCHÄFER: Wir müssen der Geldverschwendung der öffentlichen Hand ein Ende bereiten. Allein was die Rechnungshöfe an Verschwendung und Mißbräuchen unserer Staatsdiener Jahr für Jahr aufbröseln, liegt in einer Größenordnung von rund 60 Milliarden Mark. Ein Betrag, der der jährlichen Nettoneuverschuldung entspricht. Ein Vorschlag: Die Rechnungshöfe müssen bei der Erstellung der jeweiligen Haushalte nicht nur ein Mitspracherecht, sondern gegebenenfalls sogar ein Vetorecht eingeräumt bekommen.

Wie sollte eine angemessene staatliche Förderung des Mittelstandes aussehen?

SCHÄFER: Die staatliche Verwaltung muß sich wieder auf ihre Kernaufgaben besinnen. Dazu reicht es nicht, nur die Lufthansa oder einige große staatliche Betriebe zu privatisieren, sondern die Privatisierung muß auf der kommunalen Ebene erfolgen, weil hier die größten Deregulierungspotentiale liegen. Den Gesetzes- und Verordnungsproduzenten, die in irgendwelchen Amtsblättern den Beistrich durch ein Semikolon ersetzen und dies als eine herausragende intellektuelle Leistung betrachten, gehört das Handwerk gelegt. Wir müssen wieder dahin kommen, daß auch ein Bill Gates in Deutschland die Chance hätte, seine erste Betriebsstätte in einer Garage anzusiedeln. Meine berufliche Erfahrung zeigt, daß sich die Staatsgesellschaft der Unkündbaren zunehmend als Existenzbehinderer, -verhinderer oder gar -vernichter zeigt. Hier etwas positiv zu verändern, wäre klassische Wirtschaftsförderung.

Was muß sich in der Steuerpolitik ändern, um den deutschen Mittelstand zu erhalten oder sogar zu stärken?

SCHÄFER: Wir brauchen dringend eine Steuerstrukturreform, die diesen Namen auch verdient, denn das deutsche Steuersystem zerstört inzwischen den Leistungswillen des Bürgers und schreckt Investoren ab. Es bestraft den Tüchtigen und Vorsorgenden und belohnt statt dessen denjenigen, der sich im Dschungel der Sondertatbestände auskennt. Erfahrungen aus der Vergangenheit, aber auch aus anderen Ländern zeigen, daß geringere Steuersätze nicht unbedingt Steuermindereinnahmen bedeuten, sondern auf Grund der stimulierenden Wirkungen im Endeffekt dem Staat über Vollbeschäftigung mehr Steuern bescheren und die Sozialsysteme entlasten. Wer also die Forderung von Steuersenkungen automatisch mit dem Ruf nach einer Gegenfinanzierung verknüpft, schiebt zudem das zentrale Problem beiseite, nämlich die in Art und Umfang aus dem Ruder gelaufenen Staatsausgaben. Helmut Kohl hat einmal davon gesprochen, daß eine Staatsquote von 50 Prozent mit einer sozialistischen Wirtschaftsordnung gleichzusetzen sei. Ich kann nur sagen, recht hat er, der Kanzler.

Wir sprachen vorhin von der gesellschaftlichen Rolle des Mittelstandes. Dessen Arbeitsethos steht heute nicht mehr hoch im Kurs?

SCHÄFER: Es gibt da tatsächlich ein Problem, das es zu lösen gilt, soll es im Standort Deutschland, soll es in der mittelständischen Wirtschaft wieder aufwärts gehen. Die Verantwortlichen in Schulen und Hochschulen, aber auch in den Medien sollten sich befleißigen, wieder ein Unternehmerbild zu zeichnen, das der Wahrheit und damit der Realität entspricht. Es kann nicht angehen, daß zunehmend auf deutschen Bildschirmen Unternehmer als Nichtstuer, Verschwender, Bösewichte und Straftäter in Szene gesetzt werden. Dabei werden Unternehmer nicht mehr nur grundsätzlich mit Glatze, dickem Bauch und Zigarre dargestellt, sondern vor allem als stinkreiche und skrupellose Zeitgenossen, die dem normalen Durchschnittsbürger im Alltag nicht als Person entgegentreten und deshalb als negative "Märchenfigur" aufgebaut werden können. Daß die Masse der Unternehmer aus dem Mittelstand kommt und nicht nur aus Spekulanten und Playboys besteht, sondern aus arbeitsamen Handwerkern, Einzelhändlern oder Freiberuflern, wird überwiegend nicht deutlich gemacht. Daher ist es kein Wunder, daß sich allmählich dieses grundsätzlich falsche Minderheitsbild eines Unternehmers zum gängigen Klischee entwickelt und von der Bevölkerung durch die ständige Wiederholung auch irgendwann geglaubt und abgenommen wird. So wird publizistisch erreicht, daß aus dem stereotypen Klischeebild ein Vorurteil wird. Hier gegenzusteuern, das habe ich mir besonders zur Aufgabe gemacht.

 

Joachim Schäfer wurde 1946 geboren. Er ist seit zwanzig Jahren Hauptgeschäftsführer des Bundes der Selbständigen, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V.

Er gilt in der Öffentlichkeit als bekennender "Rational-Liberaler" und genießt als Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins "Der Selbständige" eine hohe Reputation in Politik und Wirtschaft. Schäfer verficht eine werteorientierten Gesellschaftspolitik.

Zahlreiche Veröffentlichungen stammen von ihm: u.a. der Sammelband "Droge Subvention" und "Die Diktatur der Bürokraten"; zuletzt gab er den Band "Kurswechsel. Stimme der Mehrheit" im Universitas-Verlag heraus.


 
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