© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/98 07. August 1998

 
Wissenschaft: 50 Jahre Max-Planck-Gesellschaft 1948 bis 1998
Teure Spitzenforschung
von Rüdiger Ruhnau

Weltweit einmalig ist die deutsche Einrichtung der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) als unabhängige gemeinnützige Forschungsorganisation zur Förderung der Wissenschaften, die kürzlich ihr 50jähriges Jubiläum begehen konnte. Tatsächlich ist die Geschichte dieser Institution aber viel älter, denn ihre Gründung 1948 in Göttingen geschah in Fortführung der im Jahre 1911 in Berlin gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG). Wieso die Gründung zweimal erfolgte und warum eine Namensänderung stattfand, hängt mit dem verlorenen Zweiten Weltkrieg zusammen.

Kaiser Wilhelm II., ein tatkräftiger Förderer der Wissenschaft, der unter anderem gegen den heftigen Widerstand der Universitäten die Ranggleichheit der Technischen Hochschulen durchsetzte, war es auch, der die Schaffung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ermöglichte. Das Ansehen einer derartigen Einrichtung basiert einmal auf den wissenschaftlichen Leistungen der Mitarbeiter, zum anderen auf der gesellschaftlichen Stellung ihres Präsidenten: Erster Präsident der KWG – von 1911 bis 1930 – war Adolf von Harnack (1851–1930), Professor der Kirchengeschichte und Generaldirektor der preußischen Staatsbibliothek in Berlin. Harnack, der als Theologe die geistvollsten Reden über die exakten Wissenschaften gehalten hat, schuf mit die materiellen Voraussetzungen, auf denen die Forschungserfolge seiner Mitarbeiter aufbauen konnten. Schon der zweite Mann an der Spitze der KWG – von 1930 bis 1937 und 1945/46 – war ein international herausragender Naturwissenschaftler, der Physiker und Nobelpreisträger Max Planck (1858–1947). Sein berühmtes Strahlungsgesetz schuf die Grundlage für die Quantentheorie. Mit dem Chemiker Carl Bosch (1874–1940), der die großtechnische Ammoniaksynthese entwickelte, übernahm als Generaldirektor des I.G.Farbenkonzerns ein Wirtschaftsführer die Präsidentschaft der KWG (von 1937 bis zu seinem Tod).

Ein deutliches Zeichen für die Qualität der Forschungsleistungen ist die Verleihung von wissenschaftlichen Preisen. Wissenschaftler der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft erhielten in der Zeit von der Gründung bis zum Jahre 1944 fünfzehn Nobelpreise. Für den hohen Standard der Chemie- und Physikforschung während der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts in Deutschland spricht die Zahl von insgesamt 18 Chemie- und 11 Physik-Nobelpreisträgern. Man geht davon aus, daß menschliches hochqualifiziertes Wissen, auch "Humankapital" genannt, zur Hälfte für den Wohlstand eines Landes verantwortlich ist. Künftig wird der Auf- oder Abstieg von Nationen noch stärker vom Humankapital abhängig sein. Es muß also im ureigensten Interesse eines Staates liegen, das Bildungsniveau zu heben.

War es während der Weimarer Republik und auch zu Zeiten des Dritten Reiches problemlos, den traditionsreichen Namen des deutschen Kaisers für die renommierte Forschungsgesellschaft zu verwenden, so änderte sich das nach 1945 unter der alliierten Militärherrschaft. Weil die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft "eine gefährliche Organisation, ausgestattet mit einem beträchtlichen Kriegspotential" gewesen sein soll, so der Interalliierte Kontrollrat, beschloß er, die Gesellschaft aufzulösen. Ein zähes Ringen um den Weiterbestand setzte ein, dem schließlich der "Kalte Krieg" zu Hilfe kam. Die Briten erwiesen sich weitaus klüger als die mit Ressentiments beladenen US-Amerikaner.

In 80 Instituten arbeiten rund 11.000 Mitarbeiter

Otto Hahn, für die Entwicklung der Atomkernspaltung mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, konnte in langwierigen Verhandlungen die Besatzungsoffiziere von den uneigennützigen Forschungsbemühungen der Wissenschaftler überzeugen. Am 26. Februar 1948 gelang die Wiedergründung, nunmehr unter dem Namen Max Plancks. Ebenfalls auf Befehl der Alliierten mußte die Satzung geändert werden, in der über den Zweck geschrieben steht: "…eine Vereinigung freier Forschungsinstitute, die nicht dem Staat und nicht der Wirtschaft angehören. Sie betreiben die wissenschaftliche Forschung in völliger Freiheit und Unabhängigkeit, ohne Bindung an Aufträge, nur dem Gesetz unterworfen".

Unter den Präsidenten der Nachkriegszeit ragt der von 1960 bis 1972 amtierende Biochemiker Adolf Bute-nandt infolge seiner wissenschaftlichen Leistungen und seiner administrativen Fähigkeit heraus. Die Generalverwaltung der MPG nahm ihren Sitz in München und arbeitet derzeit in der Residenz der ehemaligen bayerischen Könige. Heute besteht die Max-Planck-Gesellschaft aus 80 Instituten, in denen rund 11.000 Mitarbeiter beschäftigt sind, darunter 2.730 Wissenschaftler. Die Forschungseinrichtungen sind drei Sektionen zugeordnet: Chemisch-Physikalisch-Technische, Biologisch-Medizinische und die Geisteswissenschaftliche Sektion. Doktoranden und Gastwissenschaftler empfinden es als Auszeichnung, dort mitarbeiten zu dürfen.

In den mitteldeutschen Bundesländern bestehen 17 Max-Planck-Institute (MPI), alles Neugründungen seit 1991. Erfreulicherweise konnte die Gefahr einer Austrocknung der ehemaligen DDR-Forschung verhindert werden, zumindestens im nicht-wirtschaftlichen Bereich. Komplette Arbeitsgruppen wurden entweder an den Universitäten integriert oder fanden in eigenen Instituten Aufnahme. Das 1997 in Leipzig gegründete MPI für Evolutionäre Anthropologie soll interdisziplinär Themen wie Entwicklung der menschlichen Erkenntnis oder die Anthropologie sozialer Systeme bearbeiten. Jena erhielt im selben Jahr ein neuerrichtetes Institutsgebäude der MPG zur Erforschung von Wirtschaftssystemen, und auf dem Campusgelände der Uni Potsdam wird zur Zeit ein Neubau des MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung verwirklicht.

Die Grundlagenforschung im Bereich der Physik, Chemie, Astronomie und Mathematik ist die Basis des technischen Fortschritts; das gilt natürlich gleichermaßen für die angewandte Forschung in den Industrielabors, obwohl dort der Profit im Vordergrund steht. Die Chemiker in der MPG erkunden Dynamik und atomare Details von Photosynthese und Katalyse neben anderen Reaktionsfolgen. Physiker erforschen die Bausteine der Atome, fragen nach der Entstehung von Galaxien sowie der Entwicklung des Universums. Den Biologen geht es um die Evolution selbstorganisierter Systeme als Voraussetzung für die Entstehung des Lebens: Beispielsweise befaßt sich das MPI für Molekulare Genetik in Berlin mit Reaktionsmechanismen der DNS-Replikation und der Proteinbiosynthese. Darüber hinaus kooperieren Wissenschaftler mit Partnern im Ausland. So ist das MPI für Astronomie in Heidelberg an der Planung, dem Bau und der Nutzung eines Weltraumprojektes der ESA beteiligt. Zu den Schwerpunkten der Geisteswissenschaftlichen Sektion gehören die Gesellschaftsforschung, erziehungswissenschaftliche Fragestellungen sowie Untersuchungen auf dem Gebiet des internationalen Sozialrechts.

Etablierte Arbeitsgebiete können geschlossen werden

Daß Spitzenforschung teuer ist, braucht man nicht zu betonen. Für den Haushalt der MPG, knapp zwei Milliarden jährlich, kommt zu 90 Prozent die öffentliche Hand von Bund und Ländern auf. Weitere Einnahmen erbringen die Projektförderung, eigene Lizenzeinkünfte, Beiträge und Spenden. Trotzdem reicht das Geld nicht. Die Neueinrichtung von Instituten in Mitteldeutschland erzwingt die Streichung von 750 Stellen in den alten Bundesländern. Eine andere Sparmöglichkeit sorgt schon jetzt für Unruhe: Man will den Sachmitteletat der Institutsdirektoren häufiger überprüfen, ob dieser mit der gelieferten Leistung in Übereinstimmung steht. Schließlich können Institutsabteilungen auch geschlossen werden, wenn das Forschungsziel erreicht oder das Arbeitsgebiet zwischenzeitlich an einer Universität ausreichend etabliert ist.


 
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