© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/98 07. August 1998

 
Megaout: Nietenbeinkleid und Dauerlaufschuh stecken in ihrer bislang schwersten Krise
Kamphosen statt Jeans
von Ilse Meuter

Am allerschlimmsten wirken sich negative Tatbestände aus, die nicht früh genug erkannt werden. Wie die Erfahrung lehrt, erstarken sie unbemerkt und breiten sich urplötzlich epidemisch aus, sobald die Inkubationszeit vorüber ist. Dann ist Abhilfe kaum mehr möglich und das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

Nicht anders scheint es sich derzeit mit Nietenhosen, T-Shirts und Sportschuhen aus US-Fabrikation zu verhalten. Freilich weiß es noch längst nicht jeder – das macht die Angelegenheit um so brisanter! Es klingt unwahrscheinlich und ist doch so real wie die Menschenrechte oder das Grundgesetz: Die Jeanshose ist tot, das T-Shirt hängt massiv im Seil, und auch den Nike-Tretern geht es nicht besonders.

In Kleinbritannien, das heißt dem, was Tony Blair und seine Vorgänger von der vormaligen Weltmacht Nr.1 übriggelassen haben, weiß man immerhin, wer an der bislang schwersten Krise des global führenden Outfits schuld ist. Es ist Tony Blair, die Inkarnation der nun auch im Land der Lords zur Macht gelangten Dienstbotenschaft. Er steht für all die Millionen anderen Väter, die blaue Denim und weiße Sportlatschen für geil bzw. total cool halten.

Lange haben jüngere Generationen (die unter postmodernen Bedingungen jeweils etwa 5 bis 10 Jahre umfassen) dieses image-schnorrerische Treiben geduldig ertragen. Wenn Papa sich nach Dienstschluß und am Wochenende in die stonewashed No. 501 zwängte und Mama ihren Hausfrauenspeck mit dem neuesten Jogging-Modell von Nike zu kompensieren suchte. Da haben die Teens und Twens nur die Augen verdreht und auf ihren Zimmern stumm gelitten. Nun aber ist Schluß.

In einem tragischen Anfall akuter Volksnähe zeigte sich der englische Demokratenführer den Untertanen seiner Königin in Jeans und T-Shirt. Die Glorious Revolution brach sich abermals Bahn! Premiers Sprößlinge sollen noch versucht haben, das Schlimmste zu verhindern. "Please, Dad, not the darked cord-jeans!" hatten sie gefleht, doch Tony (als Dauergriener heißer Anwärter auf einen Eintrag im Guiness-Rekordbuch) hatte bereits ernst gemacht. Dann posierte das Männeken vor der Presse, es mag ein Jahr seither vergan-gen sein, für ein paar lässige Schnapp-
schüsse.

Die Fotos vom provokant formlosen Großbritannier gingen um die Welt. Zwölf Monate später ist der GAU Fakt. Er läßt sich in Zahlen fassen, denn der Absatz von Jeans fiel um 20 Prozent. T-Shirt und Turnschuh wurden mit in den Abgrund gerissen. Marktleader Nike beklagt einen Jahresverlust von 67,7 Dollar-Mios. Die Gründe liegen auf der Hand: wenn mittlerweile selbst Premierminister Jeans, T-Shirt und Sportstiefel tragen, ist für jüngere Käufer deren Verfallsdatum echt total überschritten. Der Nachwuchs auf der Insel orientiert sich modisch um. Kein Teen mit Selbstachtung betritt die Straße noch mit einer blauen Nietenhose oder gummierten Laufschuhen. Der Wechsel war längst überfällig, denn wir wissen seit langem, daß US-Klamotten nicht kleidsam sind. Der einzige, der darin gut aussah, war James Dean, und der ist vierzig Jahre tot. Der Bierbauch des jungen Anlegers, der Hüftspeck der Lebensversicherungsbegünstigten – sie sind nun mal die natürlichen Feinde der figurbetont geschnittenen Nietenhose. Jeans, T-Shirt und Nikes sind total uncool und megaout. Selbst Grünen-Papst Joschka Fischer versucht heute schon längst nicht mehr, mit Jeans und Turnschuhen zu provozieren. Diese liegen seit geraumer Zeit dort, wo sie hingehören: im Museum. Fischer selbst trägt heute lieber englisches Tuch. Das bundesdeutsche Problem: Wer älter als 20 ist, hat das offenbar noch nicht realisiert. Nach wie vor schwärmen hierzulande ein paar Millionen Torsten Blairs von den Zeiten, da eine Jeans mehr war als bloß eine Hose ("Ho-Ho-Ho-Tschi-Minh!"). Sie mußte, so der Haushaltsvorstand, dunnemals gegen die Anfeindungen des Establishments verteidigt werden. Mutti stimmt ins Heldenlied ein: "Als euer Vati mit seiner Levi’s beim Schulfest erschien, hat der reaktionär-faschistische Direx ihn rausgeschmissen!"

Heute trägt Papi seine helle Wrangler gelegentlich sogar im Büro, meist mit dem Cardin-Blazer kombiniert. Er ist halt immer noch derselbe rebellische Geist. Derzeitigen Teens bringt das gar nichts. Sie haben ihre Jeans schon vor Monaten gegen die echten "Combat" getauscht, turbogeile Militärhosen, unförmig breit und mit dicken Tarnflecken übersät. Das schreit total. Auch die geräumigen sandfarbenen Khaki-Hosen "Karthoum" bringen was. Die werden übrigens von der US-Firma Levi’s fabriziert.


 
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