© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/98 21. August 1998


Erklärung: Zum Austritt aus dem P.E.N.-Deutschland
Wahrheit im Exil
von Ulrich Schacht

Seit der Mai-Jahrestagung des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland, in das ich 1991 gewählt wurde, haben Nachrichtenagenturen die Meldung verbreitet, daß ich – vor dem Hintergrund des auf jener Tagung mehrheitlich angenommenen "Verschmelzungsvertrages" mit dem bisherigen deutschen P.E.N.-Zentrum Ost – den P.E.N.-Club, wie viele andere Kollegen zuvor, demnächst ebenfalls zu verlassen gedenke. Aus persönlichen Gründen (…) komme ich erst heute dazu, diese Meldung in bestimmter Hinsicht zu bestätigen. Ich will sie zugleich präzisieren sowie meinen Schritt begründen. Was die Präzisierung betrifft, so möchte ich Sie dahingehend informieren, daß ich mit sofortiger Wirkung vom P.E.N.-Zentrum Deutschland zum Exil P.E.N.-Club deutschsprachiger Länder übertrete. Dies geschieht zum einen vor allem deshalb, weil ich keinen Sinn darin erkennen kann, die international wichtigste Schriftstellervereinigung nur deshalb zu verlassen, weil es in der nationalen Sektion dafür allerdings mehr als nur einen Grund gibt. (…)Für mich hat nie ein Zweifel darüber bestanden, daß die beiden deutschen P.E.N.-Zentren wiedervereinigt werden müßten. Und zwar mit derselben historisch, politisch und moralisch ausgestattenen Begründungslogik, die zur staatlichen Wiedervereingung Deutschland geführt hat, dessen Teilung für mich zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt war (…)

Es ist in diesem Zusammenhang durchaus auffällig, und also mehr als nur eine Ironie der Geschichte, daß die große Mehrheit der Vereinigungsbefürworter in beiden deutschen P.E.N.-Zentren aber noch bis in die Zeit des historischen Wiedervereinigungsprozesses der Deutschen und ihrer gespaltenen Nation Kritiker oder gar Gegner eben dieses Vorgangs war – nicht zuletzt deshalb, weil sich in ihrer Wahrnehmung der terroristische SED-Staat im Laufe der Entspannnungsjahre zu einer Art deutschem moralischen Piemont aus dem Geist jener mythischen antifaschistischen Grundgesittung gewandelt hatte, die – staatsreal – bloße Propaganda, nie aber handlungsethische Maxime war. In diese ziemlich gewaltige Glaubwürdigkeitslücke paßt aber wiederum exakt die Tatsache, daß der Prozeß der Re-Demokratisierung politisch verwahrloster und ökonomisch verheerter Landesteile dagegen, der auch aus meiner Sicht kritisierbare Aspekte enthält, in zunehmendem Maße als "kapitalistische Show" denunziert wird. (…)

Der "Verschmelzungsvertrag" vom Mai dieses Jahres und seine Annahme sind für mich deshalb zugleich Ausdruck und Ergebnis einer restaurativen Stimmung der daran Beteiligten und Interessierten, deren praktisches Ziel die Wieder-Inkraftsetzung einer politischen "Wahrheit" ist, die sich spätestens mit den Jahren 1989/90 schlicht als ideologische Lebenslüge einer ganzen Generation von deutschen Intellektuellen, in Ost und West, erwiesen hat: die Lebenslüge von der historischen, politischen und moralischen Notwendigkeit der Teilung Deutschlands – inklusive Europas, wenn man an das damit gekoppelte Verständnis für die strategischen Interessen der Sowjetunion denkt, die immer nur die Herrschaftsinteressen einer brutalen Kolonialmacht über die mittel- und osteuropäischen Völker waren (…)

Jedenfalls kann man von Menschen, die Jahre oder gar Jahrzehnte in ideologischen Lebenslügen zugebracht haben und darüber alt oder wenigstens älter und manchmal sogar berühmt geworden sind, offenbar wirklich nicht verlangen, daß sie urplötzlich über jenes Maß an Erkenntniskraft verfügen, das ihnen zuvor nicht gegeben war, vor dem sie Furcht hatten, Scheu, zu dem sie keine familiäre Tradition oder religiöse Bindung hinführen konnte oder das sie irgendwann aus Hochmut oder Schwäche oder Gutmütigkeit, aus selbstverschuldeter Unmündigkeit oder eingebildeter Einsichtsfähigkeit ignorierten oder zu bekämpfen begannen. Ganze Lebensentwürfe, ausgewachsen wie alte Gärten, scheinen auf dem Spiel zu stehen, mentale Himmelreiche tief unter dem Boden schmutziger Realitäten, ewige Selbstgewißheiten, die der Aufklärungsprozeß der Zeit in Museumsstücke zu verwandeln droht.(…)

Das Hauptproblem ist die für mich so peinliche Schwäche, daß es den Mitgliedern der deutschen P.E.N.-Zentren letztlich nicht gelungen ist, die subjektive Glaubwürdigkeit unserer Parallel-Biographien zu erkennen und deshalb zuzulassen, ohne daß daraus dem System der zweiten deutschen Diktatur, dem SED-Staat, noch nach seinem hochverdienten, aber viel zu späten Geschichts-Tod ein objektiver politisch-moralischer Qualifikationsvorteil zuwächst – nach dem durchsichtigen Legitimations-Motto: Aber die gut gemeinte "Deutsche Demokratische Republik" war mehr als nur die böse geratene SED-Diktatur! Weil dies redlicherweise nicht geht, aber wieder und wieder geltend gemacht und angewendet wurde, auch im P.E.N., auch auf bestimmte Ost-Biographien mit MfS-Grundierung – in welcher Reduktionsform und Interpretationsweise auch immer –, darum mußten und müssen wir gehen.


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