© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/98 21. August 1998


Parteien zur Wahl: Auf der Rechten wird um Hegemonie gestritten
Radikaler, sozialer, banaler
Peter Krause

Die Rechte spricht von einem "historischen Augenblick", der auf keinen Fall verschenkt werden dürfe. Um eine Zersplitterung des "patriotischen Lagers" zu verhindern, müßte über persönliche Animositäten hinweggesehen, sollte eine vereinte Rechte zur Bundestagswahl gebildet werden. Es gelte, unbedingt die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. In den meisten Vorhersagen werden BFB, Republikanern, DVU und NPD zusammen mehr als fünf Prozent zugesprochen. Doch von Einheit kann keine Rede sein. Mehr denn je geht es um die Hegemonie. Der Kampf gegeneinander wird mit allen Tricks geführt, seltsamste Bündnisse entstehen: Wenn Rolf Schlierer etwa im Osten spricht, stören Antifa und Junge Nationaldemokraten gemeinsam.

Die Hauptkontrahenten heißen Republikaner und DVU. Eine Vorentscheidung im Machtkampf könnte fallen, wenn die Republikaner am 13. September den Einzug in den Bayerischen Landtag verpassen: Es ist abzusehen, daß die Partei dann jede bundespolitische Bedeutung einbüßen würde. Aber auch wenn ihr der Einzug gelingt, ist fraglich, ob sie die DVU trotz deren Münchner Image im Norden und Osten wird gefährden können. Die relevante Spaltung des rechten Lagers würde dann bis zur Wahl fortdauern. Die Rechts-Wähler werden ihre Stimme aber diesmal weniger denn je verschenken wollen. Wenn überhaupt, wird also diejenige Rechtspartei in den Bundestag einziehen, die kurz zuvor die besten Prognosen erzielt – und deren Zustandekommen unterliegt manchen undurchsichtigen Prozeduren.

Politische Begriffe haben keinen absoluten Wert; sie sind in bezug auf das politische System zu lesen. Viele der heute als radikal rechts eingeordneten Positionen hätten noch vor dreißig, vor zwanzig Jahren als "gut bürgerlich" gegolten. Die Rede vom "Rechtsruck" sagt so eigentlich etwas über den politisch-mentalen Linksschwenk der deutschen Gesellschaft aus. Problematisch ist zudem, daß das Wort "Rechtsruck" eine Bewegung suggeriert, ein geschlossenes rechtes Weltbild, und damit ein eigenartiges, reduziertes und beinahe mythisches Feindbild schafft, das von den vielfältigen realen Gründen für das Wählen rechter Parteien ablenkt. Das stringente Weltbild – und das verbindet die Rechte zunehmend mit der Linken – gibt es nicht: und es wird nicht imaginierbar sein. Es fehlen auf der Rechten über die "Nation" hinausgehende Integrationsbegriffe; die Differenz zwischen ökonomischen und ideologischen Vorstellungen wird nur notdürftig vertuscht. Auch wird eine alte Rechte von einer neuen, vom modernenLiberalismus sowohl abgestoßenen wie geprägten Rechten überlagert, ist die politische und mentale Heterogenität größer denn je. Von Lager kann keine Rede sein – und doch ist die Chance für die Rechte, parlamentarische Kraft zu werden, selten gut.

Verabschiedung von bloßen Ideologemen

Keine der politischen Parteien in Deutschland – ob "links", ob "rechts", ob "Volkspartei" oder "radikal" – vermag noch, ein ideologisch stimmiges Paket anzubieten. Der Wähler muß abwägen: Er bekommt etwa Ökologie nur zusammen mit Abtreibung und linker Phraseologie, ein konservatives Schulsystem nur mit mehr Autobahnen und außenpolitischer Servilität oder liberale Steuerpolitik nur ohne "Lauschangriff", aber mit doppelter Staatsbürgerschaft. Der Wähler muß zunehmend abwägen zwischen seinen wirtschaftlichen und politischen Interessen sowie seinem Instinkt, seinem Habitus. Der Stammwähler, der aus religiöser, sozialer, traditioneller Prägung stets so und nicht anders wählt, büßt an Bedeutung immer mehr ein. Der heutige Wähler muß entscheiden, welche Gründe wichtiger sind, sich für die eine und nicht die andere Partei zu entscheiden, wenngleich ihm einige Punkte bei dieser Partei wichtiger sind. Es scheint nun so zu sein, daß für mehr als fünf Prozent des Wahlvolkes diejenigen einzelnen Gründe in der Summe überwiegen, um auch tatsächlich rechts zu wählen. Aus dem stark rechts disponierten Wählerpotential, das in Deutschland auf bis zu zwanzig Prozent geschätzt wird, könnte so eine parlamentarisch relevante Größe aktivierbar sein.

Auf der Rechten hat sich strategisch etwas getan: Einige Parteien haben erkannt, daß sich nur mit Ideologemen keine Wahlen gewinnen lassen, daß es – gerade in krisenhaften Zeiten – zuerst um die Wirtschaft geht. Mit der nationalen Frage ist keine Politik zu machen, so die Nation bloß als eine geschichtlich verwurzelte kollektive Identität gilt. Anders sieht die Sache aus, wenn die Nation zugleich als Schutzraum einer sozialen Gemeinschaft und ihres Wohlstandes vorgestellt wird, wenn sich nationales und soziales Denken verbinden, wenn plausibel gemacht werden kann, daß Wohlfahrt und soziale Sicherheit nur im Rahmen einer gewachsenen Solidargemeinschaft zu erhalten sind.

Es existiert zwar entgegen allen Behauptungen kein statistischer Zusammenhang zwischen "Rechtsradikalismus" und Arbeitslosigkeit; die "Verelendungstheorie" ist nicht belegbar: "Es gibt ihn einfach nicht, den überall behaupteteten ursächlichen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Rechtsradikalismus", so Wolf Wagner in einer Studie im August-Heft der von der SPD-nahen Ebert-Stiftung herausgegebenen Neuen Gesellschaft. Nun bedeutete das aber keineswegs, daß wirtschaftliche Gründe für politisch extremes Wahlverhalten nebensächlich sind. Es ist eine Sensibilität für die Krise entstanden, für den Zerfall der alten Gesellschaft. Und das Erkennen und provokante In-den-Vordergrund- Stellen der sozialen Frage ist ein wichtiger, vermutlich der entscheidende Pfeiler des Erfolges der Republikaner, mehr noch der DVU, die beide den Einbruch in die Wählerklientel der SPD und der PDS geschafft haben und Nichtwähler zu aktivieren vermochten. Appelliert wird an die "antikapitalistische Sehnsucht". Die Republikaner sind bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg 1996 von 16 Prozent der Arbeiter gewählt worden, das Wahlergebnis lag hier doppelt so hoch wie in der gesamten Bevölkerung; die DVU holte sich in Sachsen-Anhalt 11.000 Stimmen von der PDS.

Ein neuer nationaler Liberalismus ist gescheitert

Modernisierungsverlierer, Modernisierungsskeptiker und Modernisierungsverweigerer wählen "rechts", weil es kein konservatives Lager mehr gibt. Vorerst, solange es nur um die Oppositionsrolle geht, ist nebensächlich für die Entscheidung, ob die jeweilige Partei wirklich nationale und soziale Wirtschaftspolitik machen kann (und will). Die Zahl derjenigen Deutschen wächst, die ein rechtes Korrektiv im Parlament um beinahe jeden Preis wünschen.

Den Spagat zwischen "Strukturkonservatismus" und liberaler Wirtschaftspolitik schafft die CDU nicht mehr. Sie kann den rechten Rand nicht einmal mehr scheinbar besetzen. Sie ist keine CSU. Daß Kohl zu "rechter Politik" in der Lage und willens sei, nimmt ihm kaum noch jemand ab. Schröder wirkt hier stellenweise tabuloser, obgleich er schwerlich rechts punkten wird. Solche SPD-Versuche sind 1996 in Baden-Württemberg und 1997 in Hamburg gescheitert.

Der radikalen Rechten ist der "Einbruch" in die Schicht der sogenannten einfachen Menschen, in das Proletariat gelungen. Das heißt aber umgekehrt, die Strategie, eine Rechte aus einem unzufriedenen Bürgertum zu speisen, ist bis jetzt nicht aufgegangen. Die Reaktivierung des Nationalliberalismus ist ein vorerst gescheitertes Projekt. Das Bürgertum wählt naturgemäß wirtschaftlich orientiert, im Zweifelsfalle den Status quo. Der bloße Negativgrund "Europa" reicht ihm nicht aus, nicht die Union zu wählen. Und sollte der Kanzler den Mittelstand nochmals an sich binden können und zudem das gesamte saturierte, jede Veränderung scheuende, vielleicht auch viertellinke Lager hinter sich versammeln, könnte er es sogar wieder schaffen. Aber es wird knapp werden. Diejenigen, die immer wieder zähneknirschend die Union gewählt haben, um "Schlimmeres" zu verhinden, dürften für die CDU diesmal verloren sein. Aber werden sie den BFB wählen? Von einer solchen Partei verlangt man mehr als bloßen Protest. Solange aber das Wirtschafts- und Beamtenbürgertum seine Interessen nicht national definiert, sind Versuche, einer freiheitlichen, rechtsliberalen, habituell bürgerlichen Kraft zur politischen Relevanz zu verhelfen, ohne Erfolgsaussichten. Die Häme der DVU-Leute über den "Weichspüler- und Kaviar-Patriotismus" Manfred Brunners und Bolko Hoffmanns (so Christian Rogler im Magazin Aula, Heft Juli-August 1998) gewinnt daraus ihre Sicherheit. Die Rechte radikalisiert sich. Die Differenzen im Wirtschaftsdenken von sozialer Rechter und liberaler Rechter sind immens.

Die Partei mit dem größten Willen zur Macht wird den größten Erfolg am Rand haben. Es ist mittlerweile nicht mehr politisch störend, sich antibürgerlich, unfein zu geben. Im Gegenteil. Ein seriöser Stil, wie ihn der Republikaner-Vorsitzende Schlierer pflegt, wirkt in den Augen der entschlossenen, die Gunst der Stunde witternden Rechtswähler volksfern, eher halbrechts, etwas unentschieden. Die DVU gibt sich in dieser Hinsicht "rechter". Und deren Klientel akzeptiert, ja fordert gerade den Bruch mit dem Konsens und dem Konsensdenken überhaupt. Das betrifft in einer Zeit wachsender Demokratiekritik auch die innerparteiliche Demokratie. Die Partei des Verlegers Frey vertritt die vollständige Diskursverweigerung und – paradoxerweise – auch das soziale Engagement offensichtlich glaubwürdig. Auf positive Programmatik oder wirkliche Führungsfiguren kommt es auf der Rechten heute (noch) nicht an. Je negativer die Kritik, je blöder die Sprüche und je drastischer die Verweigerung, um so klarer erscheint eine Partei als Alternative. Für Konzepte reicht, wie bei der DVU, ein A-5-Blatt. Vor allem soll die Zeit des Geredes in Hinterzimmern, der wehrlosen Stigmatisierung vorbei sein. Jede Annahme etablierter Verhaltensmuster wird als Zögerlichkeit ausgelegt.

Die gewohnte Polemik des Establishments, der Vorwurf, die Rechte sei stupide, verfängt, so berechtigt er ist, bei bestimmten Schichten nicht mehr. Der Bruch mit herrschenden Gepflogenheiten und intellektuellen Maßstäben ist Teil des Erfolgs der neuen, sich sozial gebärdenden Rechten. In diesem Sinne steht sie radikal zur politischen Wirklichkeit. Sie hat die Ausgrenzung angenommen. Es sind die einfachen, allzueinfachen Antworten, die vorgetragen und die deshalb jetzt angenommen werden, weil immer weniger soziale Muße bleibt, die Fragen kompliziert zu stellen. Die eigentliche Unübersichtlichkeit der Lage, das Drängende der Situation, die jahrelange Stagnation und der offene wie schleichende Linksdrall der politischen Kultur sowie die sich ungehemmt entfaltende Macht des Ökonomischen sind Gründe für den Ruf nach einer "starken" politischen Führung. Um Kompetenz geht es nicht. Die Rechte verbreitet den schlichten Mythos von der Macht des Politischen und Überschaubaren. Deshalb wird sie gewählt.


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