© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/98 21. August 1998


Lettland: Deutsche stiften eine "Versöhnungs-Kapelle"
Vom Stall zur Kirche
Dieter Stein

Am Flughafen von Riga, der Hauptstadt Lettlands, wird man als Reisender beim Visumantrag noch beinahe so kritisch gemustert wie zu Sowjetzeiten. Westliche Reklame für Autos und Bier entlang der Autobahnen, McDonalds und wenige glitzernde Fassaden in Riga können nicht darüber hinwegtäuschen, daß ein wirtschaftlicher Aufschwung des baltischen Staates nicht in Sicht ist. Jährlich tausende Selbstmorde und hohe Auswanderungszahlen gerade junger Letten weisen auf die Not des Landes hin.

Ohne daß die deutsche Öffentlichkeit sonderlich Notiz davon nimmt, fördert ein kleiner Kreis von Spendern aus dem konservativen Spektrum in Deutschland seit mehreren Jahren soziale Hilfe für Bedürftige an einigen Brennpunkten in Lettland – so in Weisenheimen von Jelgava und in Riga. Über ein Sorgenbüro der Partei "Volksbewegung für Lettland" erhalten mit diesen Spenden täglich Hunderte Hilfesuchender Unterstützung in Naturalien (Kleidung und Lebensmittel).

Dahinter steht Joachim Siegerist. Siegerist war bis 1985 Chefreporter bei Hörzu und Berater von Axel Springer, führte zusammen mit Gerhard Löwenthal von 1980 bis 1985 die umtriebige "Konservative Aktion", aus der später ein Verein "Die Deutschen Konservativen" hervorging, der immer wieder durch öffentlichkeitswirksame Aktionen auf sich aufmerksam macht (zuletzt eine Anzeigenkampagne von Heinrich Lummer gegen eine rot-grüne Bundesregierung). Als vor anderthalb Jahren Joachim Siegerist den Bau einer Soldatenkapelle in Lettland ankündigte und in Deutschland in zahlreichen Rundbriefen hierfür um Spenden warb, gab es manchen, der am Erfolg dieser Aktion zweifelte.

Am vergangenen Samstag wurde nun die "Versöhnungs-Kapelle" für deutsche, lettische und russische Soldaten des Zweiten Weltkrieges in Jaunsvirlauka feierlich eingeweiht. Im Beisein von über zweihundert Letten, Russen und Deutschen segneten drei Priester (ein russisch-orthodoxer Priester, ein lettischer evangelischer Propst und ein katholischer Pfarrer) den unter Hochdruck fertiggestellten Bau. "Die Kommunisten haben nach der Besetzung des Baltikums aus Kirchen Schweineställe gemacht. Wir machen aus Schweineställen wieder Kirchen", erklärte Siegerist. Die Kapelle war auf den Fundamenten und Mauerresten eines Stalls errichtet worden. Das Grundstück stiftete Siegerist aus dem Besitz seiner Familie. Jaunsvirlauka liegt mitten im Gebiet des ehemaligen "Kurlandkessels" in dem 280.000 Soldaten bis zum 10. Mai 1945 aushielten, um die Evakuierung von zwei Millionen deutscher Flüchtlinge aus Ostpreußen zu sichern.

Seit Siegerist 1992 in Lettland seine Halbschwester Rita Jegorova wiederfand, die als einzige der nach Sibirien deportierten Familie überlebt hatte, engagiert er sich in dem baltischen Staat auch politisch. Die von ihm ins Leben gerufene "Volksbewegung für Lettland" erlangte bei den letzten Wahlen 15,6 Prozent und hat bei den am 3. Oktober stattfindenden Wahlen Chancen, stärkste Partei zu werden.

Die "Versöhnungs-Kapelle" will Siegerist als ausdrückliches Signal gegen die Verteufelung der Weltkriegsveteranen verstanden wissen. "Ich kann mir kein besseres moralisches Gegenstück zu dieser miesen Anti-Wehrmachts-ausstellung von Herrn Reemtsma vorstellen", hatte Siegerist in einem seiner Briefe geschrieben. Äußerungen wie "Soldaten sind Mörder" seien in Lettland undenkbar. Obwohl in Lettland 46 Prozent der Einwohner russische Zuwanderer aus der Zeit der Sowjetunion sind, wird der gefallenen Angehörigen der lettischen Waffen-SS und der lettischen Legionäre der Wehrmacht öffentlich gedacht, und die Veteranen können ihre Orden des Zweiten Weltkrieges zeigen, ohne beschimpft zu werden.

Die Einsegnung der Kapelle leitete der katholische Pfarrer Winfried Pietrek. Er betonte den Symbolwert der Kapelle für die Versöhnung zwischen dem lettischen, russischen und deutschen Volk. Während des Gottesdienstes wurde das Gefallenen-Lied "Ich hatt’ einen Kameraden" intoniert. Unter den Zuhörern bei der Einweihung der Kapelle war auch eine Lehrerin, die zusammen mit ihren Schülern einen kleinen Soldatenfriedhof mit Gefallenen des Ersten Weltkrieges wenige Kilometer von der Kapelle entfernt pflegt.

Gestiftet von dem baltendeutschen Pastor Klaus von Aderkas wurde im Glockenturm der Kapelle eine 1793 in Riga von A. Hetzel hergestellte Glocke aufgehängt. Aderkas hatte die Glocke bei einem baltendeutschen Antiquar in Hannover erstanden. Die Glocke leutete, nachdem sie mit Flüchtlingen Lettland verlassen hatte, zu den Hymnen Deutschlands und Lettlands zum Abschied nach dem Gottesdienst nach 53 wieder in ihrer "Heimat".

In die Innenwand der Kapelle sind die Namen von 380 Spendern und Gefallenen eingelassen, darunter auch der Name des ehemaligen NATO-Oberbefehlshabers Europa-Mitte, General Graf von Kielmannsegg. Demnächst sollen die Namen von russischen und lettischen Gefallenen hinzugefügt werden.

Von der Bevölkerung wird der Bau der Kapelle ausdrücklich begrüßt, die Bürgermeisterin Frau Savicka aus Stalgene bedankte sich im Namen der Gemeinde. Sie hatte zuvor eine 80köpfige Besuchergruppe aus Deutschland in der Schule zu einem Kulturprogramm willkommengeheißen. Unter den Deutschen waren zahlreiche Spender, die zum Bau der Kapelle beigetragen hatten.


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