© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/98 28. August 1998


Südtirol: Berufungsverfahren im Mordfall Waldner ausgesetzt
Skandalöse Haftzustände
von Jakob Kaufmann 

Der Mordprozeß gegen den Südtiroler freiheitlichen Politiker Peter Paul Rainer (31) ist unterbrochen worden und soll voraussichtlich erst am 9. November fortgesetzt werden. Für das Berufungsverfahren soll ein Gutachten über die psychische Verfassung des Angeklagten erstellt werden. Dazu wird Rainer neunzig Tage in Bologna von einem Spezialisten untersucht. Die Verteidigung hatte die Expertise beantragt. Sie soll klären, ob Rainer in der Verhörnacht, in der er ein offensichtlich falsches Geständnis ablegte, sich unter anderem aus psychischen Gründen unter Druck gesetzt fühlte.

Der ehemalige Bildungsreferent der Südtiroler Schützen war am 11. August vorigen Jahres zu 22einhalb Jahren wegen des Mordes an seinem langjährigen politischen Weggefährten Christian Waldner verurteilt worden. Er hatte die Tat zunächst gestanden, dann aber sein Geständnis gegenüber Verwandten und Bekannten und später öffentlich zurückgezogen. Im Vorverfahren deckten seine Anwälte bereits zahlreiche sachliche Widersprüche in den anfänglichen Aussagen ihres Mandanten auf. So hatte er zum Beispiel angegeben, Waldner am Mittag des 15. Februar umgebracht zu haben. Fünf Zeugen haben aber bisher vor Gericht ausgesagt, das spätere Tatopfer noch am selben Nachmittag in Bozen gesehen zu haben.

Im Berufungsverfahren will die Verteidigung neben den entlastenden Sachbeweisen ein Dossier Rainers präsentieren, in dem er beschreibt, wie ihn die Ermittler zu dem Geständnis gezwungen haben. Die Verteidigung will damit beweisen, daß ihr Mandant unter Druck gestand. Ihre These wollen die Anwälte mit dem psychiatrischen Gutachten stützen. Rainer quälten schon seit Jahren Kopfschmerzen, Depressionen und zuweilen Panikattacken. Er war deswegen auch in ärztlicher Behandlung. Während seiner Haftzeit in Trient bis zum 19. Juni diesen Jahres ist er dort weiterhin wegen dieser Beschwerden ärztlich versorgt worden. Dann wurde er aber überraschend nach Verona verlegt, wo er trotz starker Symptome nicht behandelt wurde. Die allgemeinen Haftbedingungen – ein unerträglicher Lärm während der Nacht – trugen noch dazu bei, seinen Zustand zu verschlechtern: Ein Mithäftling erhängte sich, weil er es, wie er Rainer kurz zuvor noch anvertraut hatte, "einfach nicht mehr aushielt". Rainers Zellenmitbewohner versuchte sich ebenfalls umzubringen. Er schluckte eine Rasierklinge, nachdem er sich selber mehrmals absichtlich verwundet hatte.

Rainer wurden in Verona persönliche Dinge – sogar Unterwäsche zum Wechseln – vorenthalten. Darüber hinaus wurden ihm ohne Begründung die Möglichkeit, Verwandtenbesuche zu erhalten oder an Meßfeiern teilzunehmen, eingeschränkt oder zum Teil versagt. Während der ersten Berufungsprozeßtage sahen Prozeßbeobachter einen bis auf die Knochen abgemagerten Rainer mit fahl-blassem Teint in Apathie versunken. Angesichts seiner schlechten Verfassung drängten die Verteidiger darauf, Rainer nach Trient zurückzuverlegen. Der zuständige Gerichtspräsident ordnete die Rückverlegung mehrmals an. Niemand fühlte sich jedoch dafür zuständig.

Inzwischen ist bekannt geworden, daß Staatsanwalt Cuno Tarfusser die Verlegung angeordnet hatte. Tarfusser ist durch mehrere dubiose Abwesenheitsprozesse gegen vermeintliche Anhänger der Terrorgruppe "Ein Tirol" bekannt geworden. Er soll die Verlegung Rainers auch mit einer neueren Drohung dieser ominösen Gruppe begründet haben. In einem Schreiben hatte "Ein Tirol" Attentate angedroht, wenn Rainer nicht freikäme. Bereits Anfang der neunziger Jahre hatten Südtiroler Journalisten jedoch enthüllt, daß der italienische Militärgeheimdienst Sismi die Aktivitäten dieser terroristischen Vereinigung gesteuert hatte. Dadurch sollten die Verhandlungen zum Streitbeilegungsabkommen zwischen Italien und Österreich über Südtirol gefährdet werden. Möglicherweise sollen durch die erneute Drohung Rainer und seine Unterstützer kriminalisiert und seine Freilassung letztlich verhindert werden.

Inzwischen hat sich in Bozen ein Solidaritätskomitee "Gerechtigkeit für Peter Paul Rainer" gegründet. Führende Mitglieder des Traditionsverbandes der Schützen, der Freiheitlichen Partei sowie der Innsbrucker Historiker Andreas Maislinger wirken mit. Das Komitee hat bereits öffentlich gegen die Haftbedingungen Rainers protestiert. In Bologna sollen diese jedoch nicht besser sein.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen