© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/98 04. September 1998

 
Debatte: Neubestimmung jenseits der Machtblöcke
Aufbruch von unten
von Rolf Stolz

Es gibt Gründe genug, sich offen zur Linken oder zur Rechten zu bekennen und nicht bewußtlos und willenlos mitzutreiben in einer konturenlosen "Mitte". Um sich nicht fortreißen zu lassen vom Strom der Anpassungsfanatiker, können Grenzsteine und Zielpunkte nicht schaden. Solange "links" und "rechts" Feldzeichen in der rationalen Auseinandersetzung der politischen Lager sind, solange "links" und "rechts" nicht zum platten Freund-Feind-Schema für kalte und heiße Bürgerkriege bzw. zum billigen marktgängigen Markenzeichen verkommen, ist es allemal besser, den eigenen Standort offen zu kennzeichnen, als ihn hinter taktierenden Phrasenschwaden zu verstecken. Aber – nichts ohne "aber". Jedes Kind weiß, wieviel Bösartiges und Schwachsinniges unter roten und schwarz-weiß-roten Fahnen, unter progressiven und reaktionären Firmenschildern verbreitet worden ist. Grund genug, denen auf die Finger zu schauen (und vielleicht auch auf die Finger zu klopfen), die ebenso lustig wie erbärmlich in ihrer revolutionären Galauniform oder im grünen Loden des Welt- und Werterhalters von Gottes Gnaden daherkommen.

Wenn die demokratische Linke und die demokratische Rechte – für sich genommen oder vielleicht sogar zeitweise in einer Großen (Not)Koalition – in Deutschland jemals noch eine Chance bekommen sollten, wird dies nicht ohne Konflikte und Strömungskämpfe abgehen. Daß Strömungen auftreten, ist immerhin ein Zeichen für Bewegung und oft ein Gegengift gegen Apathie und stille, aber trübe Wasser. Nötig ist es allerdings, offen zu sagen, daß jede Reformation und Neuorganisierung des nationalen Lagers toter als tot bliebe, falls man sich auf jene Bahnen lotsen ließe, auf denen bereits die rosa-grünen Staatserhalter und die schwarz-blau-gelben Machtverwalter im Kreise fahren. Für die inzwischen sehr wenigen überlebenden Nationalen Linken der siebziger Jahre und die immer noch wenigen ganz jungen "Neuesten Linken" der späten neunziger Jahre, aber ebenso für die neue demokratische Rechte jenseits des magischen Bermuda-Vierecks Schönhuber-Schlierer-Mechtersheimer-Frey naht die berühmte "Zeit der Weichenstellungen". Linke wie Rechte finden sich konfrontiert mit politisch korrekt kostümierten Parteibeamten und Sektendirigenten, die für Gratis-Fahrten aufs Abstellgleis oder gegen den Prellbock werben.

Niemand kann glaubwürdig für das Selbstbestimmungsrecht anderer Völker eintreten und das Selbstbestimmungsrecht seines Volkes verneinen. Niemand kann glaubwürdig für das Selbstbestimmungsrecht seines Volkes eintreten und das Selbstbestimmungsrecht anderer Völker verneinen. Niemand kann ernsthaft den Frieden verteidigen wollen und es billigen, daß Deutschland ein mit atomaren Waffen vollgestopftes Pulverfaß bleibt, das jeden Moment explodieren kann. Niemand kann beanspruchen, ein Demokrat zu sein, wenn er die Überreste der Nachkriegs "ordnung" und die Hegemonie der einen Rest-Supermacht nicht überwinden, wenn er Deutschland nicht ganz befreien und innerlich einigen will. Die demokratische Linke, die mit der staatssozialistisch-stalinistischen Pseudolinken soviel gemeinsam hat wie der freiheitsliebende Sozialismus Rosa Luxemburgs mit dem "Nationalsozialismus" des Herrn aus Braunau, und die demokratische Rechte (also alle die, die sich nicht als Weißwäscher und Wiederbeleber an der stinkenden Leiche des Faschimus versuchen, die weder in Schönhuberei verfallen, noch Freiheit als Freyheit schreiben) könnten sich trotz vieler Gegensätze im Detail vielleicht doch auf ein großes Ziel einigen: ein anderes, ein grundlegend demokratisches, ein starkes und selbstbewußtes, ein friedliches und real solidarisches Deutschland in einem relativ einigen, aber absolut nicht einfarbigen Gesamteuropa. Nur ein solches Europa souveräner Gemeinwesen (und das bedeutet auf absehbare Zeit: demokratischer Nationalstaaten) ist eine reale Alternative sowohl zum antidemokratischen Modell eines von den Multis dominierten europäischen Superstaats, der notwendig zum totalüberwachten Zentralstaat würde, als auch zu der rückwärtsgewandten Hoffnung auf eine Wiederherstellung des alten rein christlichen Abendlandes und des alten rein deutschen Deutschlands.

Jeder sollte wissen, was auf dem Spiel steht. Entweder die unserer Generation gestellte Aufgabe, einer breiten Bewegung für die soziale und nationale Emanzipation Ziel, Perspektive und Organisation zu geben, wird gelöst, oder aber die deutsche Geschichte wird um eine weitere verpaßte Chance reicher sein. Der Weg dahin dürfte länger und steiniger sein, als wir ahnen und befürchten. In den politischen Apparaten überwiegt das Festhalten am bewährt-bequemen deutschen Elend. Das Neue Denken wird sicher nicht von den politischen Machthabern und Meinungsmachern ausgehen, sondern von den verhöhnten und verhaßten Querdenkern, Grenzüberschreitern, Tabubrechern – als Aufbruch von außen und von unten her.


 
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