© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/98 04. September 1998

 
Bundestagswahl: Tierschutz in den Programmen der Parteien
Kaum Platz für Tiere
von Nils Dold

Keinen Platz für Tiere gibt es im CDU-"Zukunftsprogramm". Die neue "Wahlplattform" der CDU/CSU enthält hingegen recht eindeutige Stellungnahmen, aus denen das Verhältnis der Union zu Tieren deutlich wird. Bei den anstehenden Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) will man "für einen angemessenen Außenschutz eintreten", um die "hohen europäischen Umwelt-, Tierschutz- und Verbraucherschutzstandards" abzusichern. Der "leistungsfähigen bäuerlichen Landwirtschaft", die "umweltschonend und tierschutzgerecht" produziere, will man "auch in Zukunft" die Existenz sichern. Hinsichtlich des Ist-Zustandes sieht die Union offenbar keinen Handlungsbedarf.

Als Gerhard Schröders Kanzlerkandidatur sich abzeichnete, hoffte die Tierschutz-Szene auf günstige Einflüsse aus seiner nächsten Umgebung; aber seitdem die Position der Kanzler-Gattin neu besetzt und die der Kanzler-Tochter vakant ist, sind derartige Träume zerstoben. Das SPD-Programm enthält zwar volksnahe Forderungen wie die "Senkung der Steuersätze auf breiter Front"; ein Kapitel über Tierschutz sucht man aber vergeblich. Im Abschnitt "Konzertierte Aktion Umwelt" findet sich der bemerkenswerte Satz: "Wir wollen den Tierschutz verbessern".

"Tiere sind im Rahmen der Gesetze zu schützen"

Die FDP will dem Tierschutz immerhin Verfassungsrang zukommen lassen mit der Formulierung "Tiere sind im Rahmen der geltenden Gesetze vor vermeidbaren Leiden und Schäden zu schützen". Die Liberalen wünschen, EU-weit "Tierschutz und Umweltschutz (…) nachhaltig zu verbessern und auf hohem Niveau anzugleichen" – auch wenn ausdrücklich eine "Deregulierung der europäischen Agrarpolitik" gefordert wird. Zudem will die FDP "die Subventionierung von Agrarexporten (…) im Rahmen internationaler Verhandlungen weltweit schrittweise" abbauen. Zur Begründung heißt es, dies verbessere auf Dauer die Exportchancen der europäischen Landwirtschaft.

Für die Bündnisgrünen ist der Tierschutz eines der Gebiete, auf denen man sich in Richtung Mitte bewegt – wobei der Abstand zu den anderen Bundestagsparteien noch erheblich ist: "Reduzierung von Tierversuchen", "artgemäße Tierhaltung in allen Bereichen", "Mißstände und Auswüchse im Jagdwesen", "Ausrottung von Arten, z.B. durch Jagd und Überfischung". Knapp ein Prozent des Gesamtprogrammes nimmt umfangmäßig der Abschnitt "Tiere schützen" ein, was dem Stellenwert des Tierschutzes in dieser Partei entsprechen dürfte. Die Frage des Schächtens wird bezeichnenderweise ausgeklammert – diesbezüglich wären wohl Unverträglichkeiten zu erwarten mit dem Antidiskriminierungsgesetz, das in der angestrebten multikulturellen Gesellschaft eingewanderte Minderheiten vor Benachteiligungen schützen soll.

Die PDS will sich "für das Verbot von Tiertransporten über weite Entfernungen engagieren". Diese Formulierung findet sich in einem Absatz, in dem die PDS ihr verkehrspolitisches Konzept vorstellt. Weitere Aussagen zum Tierschutz enthält das Wahlprogramm nicht. Etwas verwunderlich, wenn man bedenkt, daß die PDS 1994 im Bundestag geschlossen für eine Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz gestimmt und damit die Bündnisgrünen beschämt hat.

Hinsichtlich ihrer Aussagen zum Tierschutz sind die Republikaner im politischen Spektrum am ehesten als den Bündnisgrünen nahestehend einzuordnen. "Wir Republikaner bekennen uns zu einer neuen Ethik, die Mensch, Tier und Natur als Einheit erfaßt. Tiere sind keine Sachen, sondern Freunde und Schmerz empfindende Lebewesen, die um ihrer selbst willen geschützt werden müssen." Wieso die Partei ein "Verbot des betäubungslosen Schlachtens" fordert, diese Frage wird jeder Antifaschist auf Anhieb beantworten können. Aber warum die Republikaner "die unnötige quälerische Massentierhaltung, die Genmanipulation an Tieren und deren Patentierung" unterbinden sowie Tierversuche und "die nicht tiermedizinisch indizierte Hormongabe" verbieten wollen – da geraten Gegner in Erklärungsnotstand.

Die anläßlich dieser Bundestagswahl aus der Taufe gehobene "Initiative Pro D-Mark" behauptet schließlich in ihrem Programm, sie setze sich aktiv für den Tier- und Artenschutz ein. Ob man den Kampf gegen den Euro auch als Kampf für Tier- und Artenschutz interpretiert oder ob darüber hinaus andere Tierschutz-Forderungen erhoben werden, läßt das Wahlprogramm offen.

Wenig detailliert sind auch die Positionen des Bundes Freier Bürger (BFB), die sich im Kapitel "Landwirtschaft schützt Umwelt und Heimat" finden. So wird die Beseitigung der "Ungleichbehandlung der Landwirtschaft innerhalb der EU durch unterschiedliche Standards" gefordert, damit zukünftig "die hohen deutschen Standards in Natur- und Umweltschutz" in der gesamten EU Geltung bekommen. Schließlich tritt der BFB "für eine artgerechte Tierhaltung" ein. Ob die derzeit überwiegend praktizierte Tierhaltung als "artgerecht" betrachtet wird, geht aus dem Parteiprogramm nicht hervor.

Die aus den radikal-ökologischen Grünen hervorgegangene und heute am ehesten als links-katholisch einzuordnende Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) steht in punkto Schutz der Schwächsten unserer Gesellschaft den Republikanern näher als den Bündnisgrünen. Die Aussagen der ÖDP sind aus einem Guß und ziemlich weitgehend: "Verbot aller physisch oder psychisch quälerischen und leidvollen Experimente an und mit Tieren", "Abschaffung der Massentierhaltung" und statt dessen eine "flächengebundene Nutztierhaltung (…) ohne gentechnische Manipulationen zur Steigerung der Leistung oder Veränderung der Arten" und anderes mehr.

"Verbot aller leidvollen Experimente mit Tieren"

Daß die Forderung nach einem ausnahmslosen Verbot des betäubungslosen Schlachtens auch in das aktuelle Bundesprogramm wieder Eingang gefunden hat, ist bemerkenswert angesichts des in der ÖDP derzeit sehr ausgeprägten Bedürfnisses, jede als "rechts" oder gar "ausländerfeindlich" mißverständliche Äußerung zu tabuisieren.

Medizinische Tierversuche "auf ein absolutes Mindestmaß (zu) beschränken" und in anderen Fällen zu verbieten, fordert die Partei Bibeltreuer Christen (PBC). Auch die "Massentierhaltung und Förderung von Agrarfabriken" lehnen die radikalen Lebensschützer ab.

Jedes Herz für Tiere höher schlagen läßt das Wahlprogramm der "Partei Mensch Umwelt Tierschutz – Die Tierschutzpartei". Ob ein "Verbot sämtlicher Tierversuche" oder ein "sofortiges Verbot aller Hühnerbatterien", ob eine generelle Ablehnung der Gentechnik als "lebensverachtende Technologie" oder die Befürwortung einer "vegetarischen/veganen Ernährungsweise" – an Mitgeschöpflichkeits-Fundamentalismus jedenfalls mangelt es dieser Splitterpartei nicht. Und sie zieht Konsequenzen auch für Bereiche, die Otto Normalverbraucher nicht so sehr unter Tierschutz-Aspekten zu sehen gewohnt ist. So warnt sie vor "weitergehender EU-Integration und EU-Erweiterung" und ergreift unter anderem für "die bäuerliche Landwirtschaft, die Natur und die sogenannten Nutztiere" als diesbezügliche Modernisierungs-Verlierer Partei.

Wie sich Tierschützer am Wahltag entscheiden werden, ob sie radikalen Positionen wie denen der Tierschutzpartei den Vorzug geben werden oder aus programmatischen Gründen das kleinere Übel wählen werden, läßt sich kaum vorhersagen. Sicher ist nur, daß die CDU/CSU durch die Verhinderung einer Abstimmung über das "Staatsziel Tierschutz" (junge freiheit berichtete) bei vielen Tierschützern massiv Ansehen verloren hat. Der Bundesverband der Tierversuchsgegner zog wegen dieser Verweigerungshaltung gar die Konsequenz, mit einem gegen die Union gerichteten Flugblatt in den Wahlkampf einzugreifen und sich für einen Regierungswechsel stark zu machen. "Die Realität…" steht darauf mit großen Lettern. Darunter anklagende Bilder – Legebatterien, Tierversuche, Tiertransporte – und Fotos der "Verantwortlichen": Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble. Schließlich die unmißverständliche Aufforderung: "Sorgen Sie dafür, daß die lebensverachtende Politik der CDU/CSU der Vergangenheit angehört". Nach Auskunft des Vorstandsmitglieds Matthias M. Boller ist bereits eine zweite Auflage in Auslieferung. Bis heute seien knapp eine Million dieser Flugblätter versandt worden.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen