© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/98 04. September 1998

 
US-Militärschläge: Fabrik in Khartum wurde mit UN-Geldern unterstützt
Clinton in Erklärungsnot
von Gabriel Savulescu

Die Raketenangriffe der USA auf eine pharmazeutische Fabrik im Sudan sowie auf eine "Terroristen-Akademie" in Afghanistan Mitte August sollten vor allem das fundamentalistische Netzwerk "Internationale Islamische Front des Heiligen Krieges gegen Juden und Kreuzritter" treffen. Diese weit verzweigte Organisation des saudischen Multimillionärs Ussam Ibn Ladin – des angeblich "gefährlichsten Mannes der Welt" – wurde von amerikanischer Seite für die Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam am 7. August verantwortlich gemacht. 263 Menschen waren dabei ums Leben gekommen, und mehr als 5.000 Einheimische und Amerikaner wurden zum Teil schwer verletzt.

Bislang allerdings ist das Bild des neuen "public enemy" ein reines Medienprodukt, das lediglich von vagen Vermutungen und verschiedenen frei zirkulierenden Verschwörungstheorien untermauert wird. Einer Analyse des US-amerikanischen Friedensforschungsinstituts "Foreign Policy in Focus" zufolge soll Ussam Ibn Ladin in den 80er Jahren von der CIA als "Friedenskämpfer" gegen die Sowjet-Besatzer in Afghanistan ausgebildet und eingesetzt worden sein. Das jetzt von den amerikanischen Raketen zerstörte "Terroristenlager" im afghanischen Khost war demnach früher ein geheimes CIA-Trainingslager, in dem amerikanische und pakistanische Ausbilder jungen Mudschaheddin das "militärische Handwerk" beibrachten. Doch mit dem Ende der bipolaren Konfrontation des Kalten Krieges und dem Rückzug der Sowjets aus Afghanistan haben sich die Machtkonstellationen in der gesamten Region grundlegend verändert. Ibn Ladin soll aus Protest gegen die US-Truppenpräsenz in Saudi-Arabien im Zuge des zweiten Golfkrieges 1991 das Land verlassen und sich ins Exil in den Sudan begeben haben. Sein mediales Debüt auf der politischen Weltbühne legte der bis dahin weitgehend unbekannte islamistische Aktivist im Jahre 1995 mit einem Interview gegenüber der französischen Tageszeitung Le Soir ab. Danach hat der strenggläubige Saudi, folgt man den Ausführungen der US-Studie, anläßlich einer internationalen Versammlung fundamentalistischer Gruppierungen die "islamische Revolution gegenüber den USA, Israel und ihren christlichen Verbündeten" (den sogenannten "Kreuzrittern") verkündet und wurde schließlich auf Druck der USA aus dem Sudan ausgewiesen.

Doch die Beweise für eine Beteiligung Ibn Ladins an den brutalen Bombenanschlägen in Nairobi und Daressalam sowie an weiteren 18 Terrorakten in den vergangenen fünf Jahren sind auch aus Sicht der ansonsten als pingelig geltenden FBI-Beamten äußerst dürftig. Nach Angaben der Agentur Reuters soll sich der saudische Islamist gegenwärtig in Afghanistan aufhalten – unter der Obhut des regierenden obersten Talibanführers Mullah Mohamed Omar. Diesem wird eine Bekanntschaft mit Ibn Ladin aus den gemeinsamen Tagen als Mudschaheddin nachgesagt. Der ranghöchste Kriegsgeistliche der paschtunisch-sunnitischen Taliban-Milizen, die inzwischen über zwei Drittel Afghanistans kontrollieren, soll den Gesuchten zu "Ordnung und Enthaltsamkeit" angehalten und ihm "weitere Drohungen gegen die USA" verboten haben. Der strenggläubige Ibn Ladin, der in der arabischen Welt ein Wirtschaftsimperium mit einem geschätzten Wert von über 300 Millionen US-Dollars unterhält, soll daraufhin jegliche Interviews und Auftritte vor westlichen Medien bis auf weiteres abgelehnt haben.

Anderen Berichten zufolge leitet ein naher Verwandter Ibn Ladins die Aktivitäten der militant islamischen Gruppierung "Das Schwert Gottes" in der philippinischen Provinz Mindanao. Doch auch hier halten sich die Behörden mit Aussagen zurück, die klare Anhaltspunkte für eine internationale terroristische Betätigung der Sippe Ibn Ladins bieten könnten. "Das Schwert Gottes" soll in der abtrünnigen Provinz mit ihren fünf Millionen moslemischen Bewohnern vornehmlich als "Wohlfahrtsunternehmen" in Erscheinung getreten sein. Höchst spekulativ heißt es, daß die Vereinigung im Jahre 1994 mit der logistischen Unterstützung Ussam Ibn Ladins ein Attentat auf US-Präsident Clinton in Manila sowie 1995 eines auf den Papst geplant habe. Überprüfbar ist im Hinblick auf diese philippinischen "connections" lediglich die Tatsache, daß sich die militanten Moslems auf Mindanao zur Zeit auffallend zurückhalten.

Auch nach Albanien soll Bin Ladin nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Verbindungen unterhalten. Seit dem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung nach den inneren Unruhen im März 1997, die ein verhängnisvolles Machtvakuum hinterließen, agiert im "Land der Skipetaren" u.a. die "Organisation der Islamischen Wiedergeburt". Die CIA soll inzwischen als "inneralbanische Ordnungsmacht" erfolgreich mehrere Durchsuchungen und Festnahmen in der radikal-islamischen Szene der Hauptstadt Tirana durchgeführt haben.

Auch eine Beteiligung des von dem Ägypter Zowaheri geführten "Islamischen Dschihad" an den Botschafts-Anschlägen wird nicht ausgeschlossen. Diese Muslimgruppe, auf deren Konto die Ermordung des ägyptischen Staatspräsidenten Anwar es-Sadat im Jahr 1981 geht, hatte zuletzt mehrfach Vergeltung für die Auslieferung von Gleichgesinnten aus Osteuropa an Ägypten angekündigt. Auch die kaum bekannte "Islamische Armee zur Befreiung der Heiligen Stätten" wird in Washington der Täterschaft für Nairobi und Daressalam bezichtigt. Hier handelt es sich um eine panislamische Vereinigung, die sämtliche moslemischen Heiligtümer "aus der israelischen und nordamerikanischen Besatzung gewaltsam befreien" möchte.

Gravierender als die Zweifel an den öffentlichen Begründungen, wie sie für den Vergeltungsschlag der US-Armee in Afghanistan gegeben werden, ist die Kritik an der bis heute nicht überzeugend gerechtfertigten Bombardierung einer pharmazeutischen Fabrik in Khartum. Dieser Betrieb im Sudan soll einem im Westen angesehenen arabischen Geschäftsmann gehören, und zumindest ein Teil der Produktion diente offenbar (wie auch der deutsche Botschafter Daum bestätigt hat) zivilen Zwecken. Bodenproben, welche die Herstellung des schwefelhaltigen organischen Phosphor-Nervengases "VX" in der Al-Schifa-Fabrik nachweisen sollten, belegen lediglich das Vorhandensein C-Waffen-fähiger Substanzen. Das zur Herstellung des Nervengases benötigte "Ethyl-Methyl-Phosphothionat" kann allerdings auch zivilen Zwecken dienen. Unbestritten ist: Die zerstörte Fabrik produzierte mit finanzieller Hilfe der Vereinten Nationen Medikamente für den afrikanischen Markt.

Die Bomben auf die Fabrik in Khartum könnten sich für die Vereinigten Staaten also noch als propagandistischer "Schuß nach hinten" erweisen und selbst einige Verbündete in Europa erheblich irritieren. An der grundsätzlichen Bedeutung der ganzen Angelegenheit als Indikator der in eine kritische Phase eingetretenen Konfrontation der Kulturen (siehe auch JF 36/98, S. 9) ändert dies nichts. Die Eigendynamik der vor diesem Hintergrund zu sehenden gewalttätigen Auseinandersetzungen ist so groß, daß alle Eindämmungsversuche dem schnellen Lauf der Ereignisse unweigerlich hinterherhinken. Die prompt erfolgte "Bomben-Antwort" auf das Restaurant "Planet Hollywood" im südafrikanischen Kapstadt (Bilanz: 1 Toter, 27 Verletzte) läßt ahnen, was auf die westlich-abendländische Staatenwelt mit dem globalen fundamentalistischen Terrorismus noch zukommt. Bezeichnend ist auch ein kürzlich erschienener Bericht der Washington Times, wonach FBI-Erkenntnissen zufolge in Afghanistan operierende islamistische Extremisten Kopfgelder in Höhe von Tausenden von Dollars für Attentate auf US-Bürger ausgesetzt haben, um so Rache für den jüngsten amerikanischen Raketenschlag zu nehmen.

Schon seit Jahren warnen US-Sicherheitsexperten wie Huntington und Kaplan vor einem globalen Krieg mit islamisch-fundamentalistischen Kräften, der sowohl den "im Zustand der Anarchie befindlichen afrikanischen Kontinent" wie auch die "multikulturellen Großstadt-Ghettos der USA" erfassen wird. Die Zeiten einer relativen weltpolitischen Sicherheit, da russische und amerikanische Unterhändler bei "Genfer Waldspaziergängen" noch Raketen und Sprengköpfe zu zählen pflegten, sind endgültig vorbei.


 
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