© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/98 11. September 1998

 
Interview: Vertriebenenpolitik neu definieren
Unbequeme Fragen
von Till Koch

Der "Tag der Heimat", der voriges Wochenende stattgefunden hat, war ein Heimspiel für die CDU. Sind die Anliegen der Vertriebenen durch die Union gut vertreten?

NEHRING: Die Frage ist so einfach nicht zu beantworten. Was die Integration der Aussiedler angeht, ist die CDU nach wie vor ein guter Anwalt der Heimatvertriebenen. Das würde ich auch für den Bereich der Finanzierung der kulturellen Arbeit sagen. Die Union ist in der Frage der Rückkehr in die Heimat sicher kein guter Vertreter der Vertriebenen. So haben auch Unionsabgeordnete 1991 für die Grenzanerkennung geklatscht. Ich denke auch an das Einknicken der CSU bei der deutsch-tschechischen Erklärung, wo alle vorher Sprüche klopften und anschließend doch kleinlaut zustimmten. Vor diesem Hintergrund wirken dann die Beteuerungen unglaubwürdig, daß die Vertriebenen in die Beitrittsverhandlungen zur EU mit Tschechien und Polen einbezogen werden sollen. Einerseits sagt Kanzler Kohl den Vertriebenen genau dies zu, andererseits fährt Rita Süßmuth nach Warschau und spricht davon, daß man deutsche Vertriebene von der Niederlassungsfreiheit in der EU ausnehmen könne.

Die Grenze ist ja nun kein Thema mehr. Um welche Fragen geht es jetzt?

NEHRING: Ich denke, eine der grundlegenden Sachen ist eine Entschuldigung für die Verbrechen, die 1945 bis 1948 begangen worden sind, oder auch für die Unterdrückung der deutschen Volksgruppe in den Vertreibungsgebieten. Denn nicht einmal dazu sind Polen und Tschechien bereit, geschweige denn, daß sie ein Rückkehrrecht ermöglichen. Mein persönliches Anliegen wäre es, denjenigen, die dies wollen, die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen: Und wenn schon nicht zu günstigeren Bedingungen, so zumindest zu den Bedingungen, wie sie hoffentlich bald für jeden Europäer gelten. Es geht darum, einen vernünftigen Schlußstrich zu ziehen und nicht Dokumente zu verabschieden wie die deutsch-tschechische Erklärung, in der alle unbequemen Fragen ausgeklammert sind, die aber für die Zukunft den Keim für neue Konflikte bereithalten. Eine der Schlüsselfragen ist für mich die Rückgabe oder Entschädigung für das nach 1945 enteignete Privatvermögen der Vertriebenen. Hier wird sich zeigen, inwieweit Polen und Tschechien heute als Rechtsstaaten zu bezeichnen sind.

Wieviele Vertriebene wollen denn in ihre alte Heimat zurückkehren?

NEHRING: Das läßt sich schwer sagen, weil man ja keine Umfrage gemacht hat. Es geht auch mehr um eine symbolische Frage. Es wird hier oft gesagt, es wolle niemand zurück. Wenn aber tatsächlich keiner zurück wollte, dann wäre es für Polen und Tschechien ja um so leichter zu sagen, wir lassen die zurückkehren, die das wollen. Aber so ist es nicht. Es laufen zur Zeit, vor allem in Mitteldeutschland, Aktionen, wo Leute ihr Eigentum schriftlich benennen. Polen nimmt das sehr ernst. Es ist sich bewußt, daß es dort noch offene Rechnungen zu begleichen hat. Darüber hinaus sollten wir uns bemühen, das Verhältnis zu Polen und Tschechen möglichst positiv zu gestalten, damit für uns eine Rückkehr in die Heimat überhaupt erst möglich wird. Wir haben nichts davon, wenn uns unsere Nachbarn als Bedrohung empfinden.

Bei einer SPD-Regierung droht die Kürzung der Mittel für den BdV. Ist das nicht auch eine Chance für mehr politische Unabhängigkeit?

NEHRING: Bei einer rot-grünen Regierung kann man zu 99 Prozent davon ausgehen, daß die Mittel drastisch gestrichen werden. Das wäre für einige Landsmannschaften fatal, andere könnten sich dagegen aufraffen und unabhängiger werden. Ich denke da vor allem an die Sudetendeutschen und die Ostpreußen, die wirtschaftlich gut dastehen. Für die übrigen Landsmannschaften könnte eine Mittelstreichung aus Bonn zum Ende der ganzen Arbeit führen.

Was motiviert Sie, sich in der Vertriebenenarbeit zu engagieren?

NEHRING: Zunächst das familiäre Interesse. Mein Großvater stammt aus Ostpreußen, hat mir viel davon erzählt. Dadurch bin ich dann auch in der JLO Mitglied geworden. Sonst war es das Interesse an dem Land, das die ersten Fahrtenerlebnisse schufen. Die Landschaft fasziniert auch Leute, die sonst gar nicht mit Vertriebenen zu tun haben. Zudem steckt bei mir eine patriotische Motivation dahinter: der Wunsch, daß das deutsche Land im Osten nicht in Vergessenheit gerät. Man muß auch sehen, daß das Wissen, das die Vertriebenen über den Osten haben, eine optimale Brücke für eine Aussöhnung zwischen unserem und dem russischen, tschechischen und polnischen Volk sein kann. Allerdings nicht für eine Aussöhnung, wie sie von vielen Linken gefordert wird, die unserem Volk 100 Prozent Schuld gibt – sondern für eine Aussöhnung, die die dunklen Flecken auf beiden Seiten benennt. Nur so können wir in eine Zukunft gehen, in der es keine Ressentiments mehr gibt.

René Nehring, 22, studiert Geschichte und Politik an der Humboldt-Universität Berlin und ist seit 1997 Bundesvorsitzender der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO). Die JLO hat etwa 1.500 Mitglieder.


 
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