© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/98 11. September 1998

 
Finanzwirtschaft: Auswirkungen des Börsen-Crashs auf die Weltwirtschaft
Gute Zeiten für Schwarzmaler
von Ronald Gläser

Die möglichen Ausmaße der weltweiten Finanzkrise versetzen Anleger in Angst und Schrecken. Rund um den Globus sind die Börsenkurse – hochsensibler Seismograph für die wirtschaftliche Entwicklung – deutlich gefallen. Der DAX notiert rund 25 Prozent unter seinen Höchstständen vom vergangenen Juli, der Dow Jones liegt inzwischen unter seinem Schlußkurs vom 31. Dezember vergangenen Jahres. Der russische Index notiert etwa 90 Prozent unter seinen Höchstkursen im vergangenen Jahr. Angesichts dieser weltweiten Finanzkrise wandert das Kapital zusehends in "sichere Häfen" wie Staatsanleihen. So notieren deutsche oder US-amerikanische Rentenpapiere auf einem Allzeithoch. Das bedeutet: die Zinsen fallen weiter.

Die Ursache für das Desaster liegt im Zusammenbruch mehrerer Währungen. Aus den betroffenen Ländern ziehen Anleger ihr Kapital ab, wodurch eine Abwertungsspirale in Gang kommt. Beginnt eine Währung erst einmal gegenüber dem Dollar nachzugeben, verkaufen immer mehr Investoren ihre Beteiligungen und kaufen Dollar-Bonds, woraufhin sich der Devisenkurs weiter zugunsten des Dollars verschiebt. Am Ende stehen verzweifelte Sparer vor Banken und Wechselstuben, um panikartig ihr Geld umzutauschen. Was vor einem Jahr in Thailand begann, hat sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Im Computerzeitalter, wo Milliarden per Knopfdruck die Reise um den Globus antreten, wird eine lokale Krise schneller denn je zum Flächenbrand. Durch die wachsende Verknüpfung in der Weltwirtschaft leiden wir alle unter der Zahlungsunfähigkeit von Tiger- oder Drittweltstaaten. Japans Industrieproduktion ist stark rückläufig. Indiens Exporte sind im ersten Halbjahr um 8 Prozent eingebrochen. Und Rußlands jüngste Liquiditätsschwierigkeit tut ein übriges. Der Rubelkurs ist infolge dessen auf ein Viertel seines bisherigen Wertes gesunken. Rußland bedient seine Staatsanleihen nicht mehr bzw. nur noch zeitverzögert. Die Regierung hat einfach den Dollarhandel verboten und Transaktionen rückwirkend für ungültig erklärt. Aufgrund der miserablen politischen Lage traut niemand den Russen eine baldige Stabilisierung ihrer Situation zu. In Lateinamerika wackeln die Währungen ebenso, und selbst ein westliches Land ist mittlerweile vom Abwertungsdruck betroffen: Norwegen. Das Land, das vom Ölexport lebt, leidet unter dem Zwölf-Jahres-Tief des Schwarzen Goldes. Schon fünfmal mußten die Skandinavier in diesem Jahr ihre Zinsen erhöhen, damit ihre Währung nicht einbricht. In Oslo wird heute die Entscheidung bereut, sich nicht dem Euro angeschlossen zu haben.

Die Problem der Staaten, deren Währungen in den Abwertungsstrudel geraten sind, sind nahezu identisch: Zur Tilgung der Kredite auf Dollar- oder DM-Basis muß ein Vielfaches an eigener Währung aufgebracht werden. Und unserer Wirtschaft entsteht wegen der Kredite ein Milliardenschaden, weil deutsche Exporte in diese Regionen schrumpfen. Wenn in dieser kritischen Situation die amerikanische Wirtschaft ins Straucheln gerät und Westeuropa mit nach unten zieht, stehen wir in der Tat vor einer Weltwirtschaftskrise, wie wir sie bis jetzt nur aus Schulbüchern kennen.

Die aktuellen Probleme sind Symp-tome der ersten Globalisierungskrise. Es gibt kein Patentrezept gegen das, was wir zur Zeit erleben. Obwohl zwei Drittel der Weltwirtschaft – Amerika und West-Europa – noch vor Kraft strotzen, könnte die Krise in den aufstrebenden Industrienationen auch hierzulande zu einer wirtschaftlichen Misere führen. Altbundeskanzler Schmidt und neuerdings auch SPD-Chef Lafontaine fordern ein weltweites festes Wechselkurssystem. Das sind politische Lösungsansätze aus den 70er Jahren. Genauer gesagt, ist diese Politik schon damals gescheitert, als das Währungssystem von Bretton Woods zusammengebrochen ist. Dennoch müssen Lösungsansätze her, die rein spekulative Währungsbewegungen gegen weniger finanzstarke Staaten verhindern.

All das wird uns und die Amerikaner Geld kosten. Die Währungen müssen stabilisiert werden. Die Amerikaner sind zwar in der glücklichen Situation, erstmals seit 30 Jahren einen Haushaltsüberschuß erwirtschaftet zu haben. Das Absinken des Dollarkurses gegenüber der D-Mark kann als Indiz dafür gewertet werden, daß die amerikanische Notenbank den Ernst der Situation erkannt hat und versucht, andere Währungen durch massive Verkäufe zu stützen. Weil aber der Dollar-Rubel-Handel eingestellt war, wählte die amerikanische Notenbank den Umweg über die D-Mark. Der Rubel hat seinen freien Fall daraufhin zunächst beendet. Der Yen scheint sich auch gefangen zu haben, vermutlich dank japanisch-amerikanischer Interventionen am Devisenmarkt. Sobald Rußland (vermutlich unter Einbeziehung der Kommunisten) politisch stabilisiert ist, kommt vielleicht auch die Wirtschaft des Landes zur Ruhe. Natürlich reicht es nicht aus, Geld nach Rußland zu pumpen, wenn dieses dann in die Taschen von "Wirtschaftsberatern" des russischen Präsidenten fließt. Als wichtigste Auflage, die der Internationale Währungsfonds (IWF) den Ländern machen sollte, erscheint die Offenlegung über das, was mit dem Geld geschieht. Der Beitrag deutscher Steuerzahler sollte nicht der Bereicherung Moskauer Milliardäre dienen.

Mutige Börsianer begreifen übrigens die augenblicklichen Tiefstände als Chance: "Kaufen, wenn die Kanonen donnern!", lautet die Devise. In Indonesien zum Beispiel. Dort sind Aktien zur Zeit im Ausverkauf. Doch das Land ist reich an Rohstoffen, hat 200 Millionen fleißige Einwohner und gute Voraussetzungen, sich in Zukunft wieder zu erholen. Für Investoren sind solche Gelegenheiten wie Weihnachten im September.


 
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