© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/98 11. September 1998

 
Niederösterreich: Die Pleite der FPÖ bedroht auch die Bundespartei
Drohende Massenflucht
von Christian Uebach

Mitte August hatte Jörg Haider, für viele überraschend, angekündigt, eventuell eine neue Partei zu gründen. Notfalls wolle er mit dieser neuen Partei den "notwendigen Wechsel" in Österreich herbeiführen, kündigte er in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin profil an.

Doch ganz so unvorhergesehen kam die Ankündigung der eventuellen Neugründung der Partei durch Haider nicht, wenn man sie im Zusammenhang mit der Affäre Rosenstingl sieht: Ende April dieses Jahres hatte sich der FPÖ-Abgeordnete im niederösterreichischen Landtag, Peter Rosenstingl, klammheimlich nach Brasilien abgesetzt. Im Zuge der Aufklärung seines Verschwindens offenbarte sich der Öffentlichkeit, daß er als parlamentarischer Kassenwart der FPÖ im niederösterreichischen Landtag mit Pateigeldern spekuliert und der Partei nach damals vorläufigen Schätzungen mindestens 53 Millionen Schilling Schulden hinterlassen hatte. Der Kassenwart der Landesgruppe Niederösterreich führte die gemeinnützige Wohnbaugesellschaft "Freies Wohnen", an der zu 25 Prozent die die private Holiday Home Bauträger GmbH beteiligt war. Zu der Bauträger-Gesellschaft existierte eine Holiday Home Kommanditgesellschaft, mit Peter Rosenstingl und Ex-FPÖ-Nationalrat Schreiner als Kommanditisten. Der FPÖ-Nationalrat und Installateurunternehmer Herman Mentil bekam des öfteren die Installationsaufträge zugeteilt. Durch Mißwirtschaft drohte den Unternehmen die Insolvenz, die Landespartei mußte Gelder nachschießen. Darüber hinaus hatte Rosenstingl Briefkastenfirmen gegründet und über diese mit Hilfe von Kredit- und Scheckbetrügereien versucht, die marode Firma seines Bruders zu retten. Zudem hatte er als Chef des "Rings Freiheitlicher Wirtschaftstreibender" (RFW), der an die FPÖ angelehnte Wirtschaftskammer, in Niederösterreich Kredite aufgenommen. Der Verbleib dieser Gelder galt als ungewiß.

Als Folge der Affäre mußte die Parteiführung der niederösterreichischen FPÖ zurücktreten, der Landesvorsitzende Gratzer wurde aus der Partei ausgeschlossen, nachdem bekannt wurde, daß er von den Machenschaften Rosenstingls gewußte hatte. Auch die beiden Nationalräte Schreiner und Mentil traten zurück. Nachfolger Gratzers als niederösterreichischer FPÖ-Chef wurde Hans Jörg Schimanek. Im fällt die Aufgabe zu, den Schaden der niederösterreichischen FPÖ zu verwalten.

Jörg Haider äußerte im profil -Interview Mitte August, daß es zu einer Massenflucht aus der Partei käme, wenn man erkenne, daß seine Parteifreunde in Niederösterreich nicht gewillt seien, "den historischen Auftrag der FPÖ zu erfüllen". Letzte Woche hat nun Schimanek eine Sanierungskanzlei engagiert, schlimmstenfalls den Gang zum Insolvenzrichter vorzubereiten oder günstigerenfalls einen Ausgleich mit den Gläubigern auszuhandeln. Recherchen des Nachrichtenmagazins News ergaben, daß die niederösterreichische FPÖ auf Gesamtverbindlichkeiten von umgerechnet 55 Millionen Mark sitzt. Ausgelöst wurde die aktuelle Krise durch einen fällig gestellten Wechsel des größten Gläubigers, der Burgenländischen Anlage- und Kreditbank ("Die Bank"). Andere Kreditinstitute zogen nach.

Die FPÖ, die nach Schätzungen von News über ein Jahresbudget von einer halben Milliarde Schilling verfügt, wird allein für den Wahlkampf im nächsten Jahr 250 Millionen Schilling aufbringen müssen. Die Verbindlichkeiten der niederösterreichischen Freiheitlichen wird sie kaum decken können.

Die Affäre Rosenstingl bot Medien in Österreich während der letzten Monate die Gelegenheit, zu versuchen, die Rolle Jörg Haiders als Zugpferd der FPÖ zu demontieren. Dieser setzte in den vergangenen Wochen zur Offensive an. Er sprach von einem rot-schwarzen Bankenkartell, das in "höherem Auftrag", insbesondere der ÖVP, versuche, dem Ansehen der FPÖ Schaden zuzufügen. Er kündigte an, "diesen Fehdehandschuh" aufzunehmen und das "System der politischen Haberer" zu zerstören.


 
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