© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/98 11. September 1998

 
Nationaler Essayist: Friedrich Georg Jünger als politischer Autor
Die Moderne ist nicht aufzuhalten
von Götz Kubitschek

Ernst Jüngers hundertster Geburtstag (1995) war ein Medienereignis und wäre auch eines gewesen, wenn Jünger nicht mehr gelebt hätte. Der hundertste Geburtstag seines Bruders Friedrich Georg war den meisten Zeitungen und Zeitschriften keine Zeile wert und die Frage: Hast du Jünger gelesen? bezieht sich wie selbstverständlich immer auf Ernst.

Am 1. September 1898 wurde Friedrich Georg Jünger in Hannover geboren, er starb am 20. Juli 1977 in Überlingen am Bodensee. Er hat nie einen ähnlichen Bekannheitsgrad erreichen können wie sein älterer Bruder und spielt heute in der literarischen Diskussion keine Rolle. Armin Mohler konnte 1978 schreiben, Friedrich Georg Jünger besitze einen intensiven, aber seit langem konstanten Kreis an Stammlesern. Man muß die Frage stellen, ob den Erzählungen und Gedichten der Sprung in die junge Lesergeneration gelungen ist, die den berühmten Bruder ja fleißig und fast anbetend liest. So gesehen kann es nur darum gehen, für den jüngeren Jünger die Aufmerksamkeit zu erkämpfen, die er verdient.

Friedrich Georg Jüngers denkerischer Weg erweist sich – bei genauer Lektüre – als radikaler und konsequenter, als das viele Leser wahrhaben wollen. Auf den ersten Blick vermitteln die Erzählungen und Gedichte, auch die drei Romane, eine Ruhe und Ausgewogenheit in der Sprache, die nur einen Schluß zuläßt: Das muß ein gelassener, maßvoller Denker geschrieben haben. Unterstützt wird der Eindruck durch einen essayistischen Gegenpol: In der 1947 erschienenen "Perfektion der Technik" analysiert Friedrich Georg Jünger die verzehrende, lebensbedrohende Entwicklung der Technik und des technisch-mechanischen Denkens. Er rückt mit seiner Schrift in den Mittelpunktder nachkriegszeitlichen Technikdebatte und wird zu einem Vorreiter der Ökologiebewegung. Besonders wichtig ist dabei sein Hinweis auf die Totalität des maschinellen Machtanspruchs: Raubbau finde nicht nur an den Rohstoffen und Bodenschätzen statt, sondern in übertragenem Sinne auch in den Köpfen und am Leben der Menschen. In der Beziehung Mensch-Maschine habe sich die Vormachtstellung zugunsten der Maschine verschoben.

Sehr einfach läßt sich, so scheint es, Friedrich Georg Jünger nun festlegen als ein Dichter und Essayist, der die moderne Welt ablehnt und den Rückzug auf die Insel und ins Idyll predigt. Ein Blick in das Frühwerk heilt von solchen Vereinfachungen. Es zeigt Friedrich Georg Jünger als glühenden Nationalisten, der nach der Niederlage des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg Wege und Möglichkeiten sucht, die deutsche Nation aus der Rolle des Spielballs und gedemütigten Schuldigen zu befreien. Seine Lageanalyse gleicht der seines Bruders Ernst und ist stark an Oswald Spenglers Überlegungen orientiert. In einigen von Artikeln für nationalistische Blätter (Arminius, Die Standarte u.a.) kreisen Friedrich Georg Jüngers Gedanken beispielsweise um folgende Argumentationskette: Die moderne Welt ist im Hinblick auf den technischen Fortschritt nicht mehr aufzuhalten. Jede romantische Vorstellung vom Heldentum ist in den Materialschlachten des Ersten Weltkrieges pulverisiert worden (das Maschinengewehr als unwiderlegbarer Gegenstand). Erfolg im Krieg hängt demnach von der Fähigkeit einer Nation ab, alle Arbeitskraft im (kriegs)technischen Sinne mobil zu machen. Dies ist Deutschland im Ersten Weltkrieg nicht gelungen. Deswegen muß nun der technische Fortschritt aus Gründen des Nationalismus vorangetrieben und bejaht werden. Anders ausgedrückt: Die Bejahung kraftvoller Zeittendenzen ist der bessere Dienst an der Nation als ein Bejammern der negativen Seiten des Fortschritts.

Friedrich Georg Jünger zeigt sich in solchen Analysen und Forderungen, neben vielen anderen Vertreter dieser Denkrichtung, als Kämpfer für einen Nationalismus der Stärke. Man kann sogar noch weiter gehen: Friedrich Georg Jünger ordnet seine immer vorhandene Abneigung gegen den technischen Fortschritt seiner nationalen Gesinnung unter, der er höchste Priorität einräumt.

Dabei wird die Bändigung der Technik immer mitgedacht. Als geeignete Zügelhalter erscheint die Kriegselite des Ersten Weltkrieges, die Macht und Notwendigkeit der technischen Entwicklung erkannt und ihr gegenüber eine souveräne Stellung erreicht haben. Aus diesem wichtigen Zusatz wird Friedrich Georg Jüngers Schwenk deutlich, dessen Ergebnis der Essay "Perfektion der Technik" bildet: er verfaßte ihn 1939. Seine immer latent vorhandene, radikale Technikkritik bricht seit 1933 durch, weil die Zügelhalter eben nicht der jüngerschen Vorstellung von guter nationaler Führung entsprechen. Der Grund der Bejahung entfällt. Daß die "Perfektion der Technik" erst nach dem Zweiten Weltkrieg erscheinen konnte, liegt an Umständen, die fast schon wieder selbst mythisch gedeutet werden könnten: Zwei Mal wird die Erstausgabe durch alliiertes Flächenbombardement zerstört. 1941 in Hamburg, 1944 in Freiburg: Die Titanen lassen ihren geistigen Widersacher nicht zu Wort kommen. Die totale Mobilmachung ist längst zur Wirklichkeit geworden.

Der politische Friedrich Georg Jünger, in einem Aspekt nachgezeichnet, muß neben dem Dichter immer mitbedacht werden.


 
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