© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/98 18. September 1998

 
Lächerlichkeit tötet
von Roland Gläser

Wer hat kein Mitleid mit Bill Clinton? Angesichts der prüden Akribie, mit der Sonderermittler Kenneth Starr die prekären Details der Beziehung zwischen dem mächtigsten Mann der Welt und seiner Praktikantin untersucht und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt hat, muß man dem Mann im Oval Office ja geradezu Sympathie entgegenbringen. Es ist schlimmer als eine Seifenoper; Lächerlichkeit tötet. Und der amerikanische Präsident ist weltweit Spott und Hohn ausgesetzt. Es vergeht keine Late-Night-Show ohne Clinton-Witz. Die Zeitungen sind überall voll von Karikaturen des Präsidenten. Und in Israel flimmert gerade eine Waschmittelwerbung über die Bildschirme, die sich auf satirische Weise mit Spermaflecken auf der Kleidung von Miss Lewinsky beschäftigt.

Bei all der schlüpfrigen Neugier von Journalisten und Politikern dürfen die entscheidenden Fakten nicht außer Acht gelassen werden: Daß Bill Clinton seine Frau betrügt, ist weder ein Geheimnis noch strafbar. Auch die Tatsache, daß er diesen Umstand zunächst geleugnet hat, ist durchaus verständlich. Aber dann hat er versucht, die Angelegenheit zu vertuschen, indem er Leute aus seinem unmittelbaren Umfeld wie seine Leibwächter dazu bringen wollte, vor Gericht die Unwahrheit zu sagen. Nur Gattin Hillary spricht noch immer von einer rechten Verschwörung gegen ihren Mann.

Der entscheidende Unterschied zur Watergate-Affäre wird oftmals übersehen: Damals war das Verhalten übereifriger Wahlkämpfer, die in das demokratische Hauptquartier eingebrochen sind, Auslöser der Affäre. Nixon hat davon nichts gewußt, aber er hat seine Leute in Schutz genommen. Er hat versucht, die Angelegenheit zu vertuschen, und sich dadurch in einen Skandal verstrickt, den er gar nicht verursacht hatte. Dagegen hat Clinton seine eigenen Leute nicht in Schutz genommen, sondern sie vielmehr genötigt, sein eigenes Fehlverhalten zu decken. Angesichts der Instabilität in Rußland und im Fernen Osten sowie der weltweiten Finanzkrise sollte Amerika schnell mit seinem Präsidenten ins Reine kommen. Auch der erzkonservative Pat Buchanan fordert möglichst schnell über ein Amtsenthebungsverfahren zu entscheiden. Ob Clinton das übersteht, hängt von der Charakterfestigkeit seiner demokratischen Parteifreunde ab. Laufen diese angesichts des nahenden Wahltermins im November scharenweise davon, wie es bereits einige getan haben, übersteht er das nicht. Harry Truman hat solches Verhalten einmal mit der Äußerung kommentiert: "Wenn du in Washington einen Freund suchst, schaff’ dir einen Hund an."


 
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