© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/98 18. September 1998

 
Verfassungsschutz: Beschäftigung ehemaliger Stasi-Spitzel sorgt für politischen Zündstoff
Auf den ersten Blick unmoralisch
von Christian Uebach

Die "Entfernung aller ehemaligen SED/MfS-Kader aus Entscheidungspositionen im Öffentlichen Dienst" hat die Notgemeinschaft der Opfer kommunistischer Diktatur (NOG) gefordert. In einer Erklärung zum Streit um die ehemaligen Stasi-Spitzel beim Berliner Landesamt für Verfassungsschutz beklagt sich der Sprecher der NOG, Hans Schwenke, daß "Stasibüttel" beim Verfassungsschutz eingesetzt würden, obwohl dies immer bestritten worden sei. Schwenke gehörte von 1991 bis 1995 zuerst für das Neue Forum, später für die FDP dem Berliner Abgeordnetenhaus an und war Mitglied im Verfassungsschutzausschuß. Stasi-Mitarbeiter seien in Menschenmanipulation geschult, ihnen sei daher nur bedingt zu glauben, erklärte Schwenke. Die Tatsache, daß Polizeidirektor Dreksler "politisch demontiert wurde", zeige, "welche Ziele kommunistische Kader" verfolgten.

"Herr Senator, darüber dürfen Sie um Gottes Willen nicht reden", soll ein hoher Beamter des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) seinen Dienstherren Innensenator Schönbohm (CDU) angefleht haben, als er ihm gegenüber die Beschäftigung mehrerer ehemaliger Stasi-Agenten eingestand. Der Verfassungsschützer fürchtete das öffentliche Echo. Dazu hatte er Grund genug, um so mehr, da einer dieser Ex-Stasi-Spitzel Auslöser für die Affäre um den Polizeidirektor Otto Dreksler war. Der V-Mann "Junior" war zu Beginn dieses Jahres von den Berliner Verfassungsschützern beauftragt worden, Dreksler zu observieren, nachdem dieser als angeblicher Scientologe denunziert worden war. "Junior" bestätigte diese Meldung und erklärte sogar, daß der Polizist zu einem geheimen Führungszirkel gehöre. Daraufhin war Dreksler Ende März seines Posten enthoben und der behördlichen Diffamierung ausgesetzt worden. Später stellten sich die Informationen über eine Scientology-Mitgliedschaft Drekslers als falsch heraus; er wurde rehabilitiert.

Ins Gespräch kam der Berliner Verfassungsschutz auch vor zwei Wochen, als ihm das Berliner Verwaltungsgericht untersagte, die Republikaner weiterhin als "rechtsextrem" einzustufen und mit nachrichtendienstlichen Methoden auszuforschen. Das Gericht begründete die Entscheidung damit, daß das LfV schlampig gearbeitet habe und weder aktuelle noch ausreichende Hinweise für eine Verfassungsfeindlichkeit der Republikaner vorweisen könne. Innensenator Schönbohm hatte daraufhin die Absicht erkärt, die Republikaner in Berlin weiterhin beobachten zu lassen, aber beim LfV eventuell personelle Konsequenzen zu ziehen. Der Berliner Republikaner-Chef Müller dagegen hat Schönbohm in diesem Zusammenhang angegriffen, weil seiner Meinung nach das Amt den Innensenator schon vor längerem auf die "dürftige Beweislage" hingewiesen habe, Schönbohm den Verfassungsschutz aber weiterhin für parteipolitische Zwecke mißbrauche.

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel meldete in seiner Ausgabe vom 7. September, daß ehemalige Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes für das LfV arbeiten würden. In der Wendezeit war es bei westdeutschen Geheimdiensten üblich, Stasi-Agenten anzuwerben, um sie über West-Agenten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zu befragen. Anschließend wurden sie aber in der Regel inaktiviert.

 

Unzuverlässigkeit "Juniors" war der Stasi bekannt

Der Berliner Verfassungsschutz beschäftigt nach Spiegel-Recherchen seit mindestens zwei Jahren ehemalige Stasi-Agenten als V-Männer, darunter seit Sommer 1997 auch den besagten "Junior". Vor seiner Anwerbung hatten die Verfassungschützer dessen Akten Schönbohms Stellvertreter, Staatssekretär Kuno Böse (CDU), vorgelegt. Die Beamten wollten sich wohl ihr Vorgehen von höherer Instanz absegnen lassen, offensichtlich, weil "Juniors" Stasi-Vergangenheit mehr als problematisch war. Die Verfassungsschützer waren bei der Gauck-Behörde vorstellig geworden und hatten "Juniors" DDR-Akten studiert. Sie hatten dabei herausgefunden, daß "Junior" beim Mielke-Ministerium als unzuverlässige und "kriminelle Person" galt. In den Stasi-Akten war weiter zu lesen, daß "Junior" zur Aufschneiderei neige und das Ministerium für Staatssicherheit mehrfach betrogen habe. Er sei auch wegen Urkundenfälschung, Diebstahl und Betrug vorbestraft gewesen.

Laut Spiegel hätten die Verfassungsschützer eine unrepräsentative, schönende Auswahl von Vermerken aus "Juniors" Akte zusammengestellt und an Staatssekretär Böse weitergeleitet. Böse gab für die Aktivierung "Juniors" schließlich grünes Licht. Innensenator Schönbohm hatte nach eigenen Angaben erst im Zuge der Affäre Dreksler von der Anstellung von Ex-Stasi-Agenten erfahren und forderte daraufhin eine genaue Liste der angeworbenen Ex-DDR-Geheimdienstler. Darüber hinaus ordnete er eine "totale Überprüfung aller Arbeitsabläufe" im LfV an.

Vergangenen Donnerstag beschäftigte sich der Ausschuß für die Kontrolle des Verfassungsschutzes des Berliner Abgeordnetenhauses mit den Umständen des Falls Dreksler. Die Meldungen, daß die Affäre ausgerechnet auf einen ehemaligen Stasi-Agenten zurückzuführen sei und womöglich noch mehrere V-Männer gleicher Herkunft für das LfV arbeiten, lösten bei der Opposition und beim Koalitionspartner SPD heftige Reaktionen aus. Die obligatorischen Rücktrittsforderungen ließen nicht auf sich warten. Grünen-Fraktionschefin Reante Künast verlangte, daß Schönbohm und Böse die Verantwortung übernehmen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Böger meinte, daß der "gesamte Leistungsbereich des Verfassungsschutzes zur Disposition" stünde, falls Stasi-Agenten für das LfV arbeiteten. "An der Spitze des Landesamtes brauchen wir eine grundsätzliche Reform", erklärte der Innen-Experte der Berliner SPD, Hans-Georg Lorenz, und verlangte personelle Umbesetzungen an der Spitze des LfV. Jörg Schönbohm äußerte zu Beginn der letzten Woche die Absicht, das Landesamt für Verfassungsschutz künftig anders zu organisieren und auch personelle Veränderungen vorzunehmen. Vom gewöhnlich im Zuge von Affären vollzogenen Rausschmiß eines Behördenleiters hält Schönbohm jedoch offensichtlich nicht viel. Bis Dienstag voriger Woche wurde zwar noch über die Position des parteilosen LfV-Chef, Eduard Vermander, diskutiert. Nach mehreren Gesprächen mit der CDU-Fraktionsspitze verwarf er jedoch die Entlassung Vermanders. "Das ist keine Lösung", sagte er, "Vermander bleibt im Amt, er hat mein volles Vertrauen." Schönbohm stellte sich auch loyal vor seinen Staatssekretär Böse. Letzte Woche Mittwoch, einen Tag vor der Sitzung des Ausschusses für die Kontrolle des Verfassungsschutzes, stärkte die Berliner CDU-Fraktion ihrem Innensenator und dessen Staatssekretär noch einmal demonstrativ den Rücken.

Ex-Stasi-Agenten arbeiten weiterhin für das LfV

Der Ausschuß tagte in geheimer Sitzung. Im Anschluß gab Innensenator Schönbohm bekannt, daß das Landesamt für Verfassungsschutz umstrukturiert werden und die Entscheidungswege gestrafft werden sollen. Eine spezielle Arbeitsgruppe solle "Schwachstellen und Fehlentwicklungen" aufarbeiten. Die angestrebten Reformen schließen wohl Änderungen in der Anwerbe-Praxis der V-Männer ein. Der Berliner Verfassungsschutz behält sich jedoch weiterhin vor, Ex-Stasi-Agenten zu beschäftigen. Wieviele dieser ehemaligen DDR-Agenten für das LfV arbeiten, wollte Schönbohm aus "operativen Gründen" nicht verraten. "Es gibt keinen Nachrichtendienst, der es sich leisten könnte, auf die Mitarbeit von Überläufern zu verzichten", erklärte Schönbohm. Dies erscheine "nur auf den ersten Blick unmoralisch oder naiv". Für ihn sei das Thema damit erledigt. Die Opposition sieht das anders. Frau Künast von den Berliner Grünen sagte: "Schönbohm lügt." Er sei politisch und moralisch untragbar. Es seien noch Fragen offen geblieben. Am heutigen Donnerstag will die Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus einen Mißtrauensantrag gegen den Innensenator einbringen. Bemerkenswert ist, daß auch ein PDS-Abgeordneter, Gernot Klemm, sich über die Anstellung von ehemaligen DDR-Agenten ereiferte. Seiner Meinung nach sei Staatssekretär Böse nicht länger tragbar.

Als Kritiker könnte man Schönbohm einerseits zugute halten, daß er souverän der moralisierenden Hysterie seiner politischen Gegner standhält. Er muß sich andererseits jedoch die Frage stellen lassen, warum er bei der Begründung des Einsatzes ehemaliger Stasi-Agenten von "Überläufern" spricht. Der V-Mann "Junior" ist im Fall Dreksler offensichtlich nicht dazu eingesetzt worden, an Informationen eines fremden Geheimdienstes zu gelangen. Die Frage, inwieweit ehemalige Stasi-Agenten über Fähigkeiten oder Kenntnisse verfügen, die für die Arbeit des Berliner Verfassungsschutzes notwendig sind, wird unterschiedlich beurteilt. Doch gibt es durchaus zu denken, wenn zum Beispiel der aus der ehemaligen DDR stammende Schriftsteller Jürgen Fuchs sich über die Verpflichtung früherer Stasi-Mitarbeiter beim Verfassungsschutz empört. Fuchs, der selbst von DDR-Behörden inhaftiert und schikaniert worden war, kritisiert, daß die Menschenrechtsverletzungen der Stasi "offenbar als normale Methoden in den Diensten angesehen" werden. Es bleibt die Frage, was der Berliner Verfassungsschutz von ehemaligen Stasi-Agenten zu lernen hat.

Der geschädigte Polizeidirektor Dreksler hat sich inzwischen dazu entschieden, rechtliche Schritte gegen das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz zu ergreifen. Er will Strafanzeige wegen vorsätzlicher Rufschädigung, Verleumdung und Körperverletzung erheben. Ausschlaggebend für seine Entscheidung zu klagen sei die Tatsache gewesen, daß die Unzuverlässigkeit "Juniors" beim LfV bekannt gewesen sei.


 
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