© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/98 18. September 1998

 
Terrorismus: Politiker der Grünen unter schwerem Verdacht
Zur Rechenschaft ziehen
von Werner Olles

Am 21. Dezember 1975 überfällt ein fünfköpfiges Terrorkommando, das sich "Arm der arabischen Revolution" nennt, die Konferenz der "Organsiation erdölproduzierender Länder" (OPEC), die in Wien im Karl Lueger-Ring tagt, um die zukünftige Preisgestaltung ihrer Exportlieferungen festzusetzen. Elf arabische Minister, darunter der saudische Ölminister Jahmani, werden von den schwerbewaffneten Terroristen als Geiseln genommen.

Zu den Terroristen gehören die Anfang März 1975 durch die Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz freigepreßte Gabriele Kröcher-Tiedemann und der Frankfurter Hans-Joachim Klein. Sie kritisieren die angeblich zu nachsichtige Politik der OPEC-Staaten gegenüber Israel und den USA. Drei Personen werden bei dem Überfall getötet: ein österreichischer Polizeibeamter, ein lybischer OPEC-Delegierter und ein irakischer Beamter. Hans-Joachim Klein wird durch einen Bauchschuß schwer verletzt und vorübergehend in einer Wiener Klinik behandelt. Nachdem die Terroristen alle österreichischen Geiseln freigelassen haben, sendet der Österreichische Rundfunk (ORF) einen Aufruf des Anführers des Kommandos, eines Venezuelaners namens Iljitsch Ramirez Sanchez, genannt "Carlos". Dieser handelt mit dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Bruno Kreisky freies Geleit für den Abzug der Terroristen mit 33 Geiseln aus.

Am nächsten Morgen startet vom Flughafen eine DC-9 der Australian Airlines in Richtung Algerien. Mit an Bord ist auch Hans-Joachim Klein, seine Genossen bestanden darauf, das Land nicht ohne ihn zu verlassen. Als die Maschine mittags in Algier landet, werden alle nichtarabischen Minister und Delegierten freigelassen, der schwerverletzte Klein in ein Krankenhaus gebracht. In der lybischen Hauptstadt Tripolis werden acht weitere Geiseln freigelassen. Nachdem die Maschine in Tunis keine Landeerlaubnis erhält, fliegt sie zurück nach Algier. Hier kommen endlich die letzten Geiseln frei. Die Terroristen stellen sich den algerischen Behörden und erhalten politisches Asyl.

Mit der Festnahme Hans-Joachim Kleins fast 23 Jahre später in dem normannischen Dorf Sainte Honorine-laGuillaume endete vergangene Woche wohl auch eine der am besten vorbereiteten Abtauch-Aktionen eines Ex-Terroristen. Diese hätte ohne die tatkräftige Unterstützung und vor allem das Schweigen einer Reihe guter Freunde mit sehr guten Beziehungen so nie funktionieren können.

In der Frankfurter Demonstrationsszene war der heute 50jährige Hans-Joachim Klein seit Ende der sechziger Jahre kein Unbekannter. Im Februar 1972 wurde er Mitglied der "Roten Hilfe" (RH), einer linksextremistischen Gefangenenhilfsorganisation, die der Roten Armee Fraktion (RAF) besonders nahe stand. Im September 1974 trat er aus dieser Organisation, der er Unvermögen und mangelnden Aktionismus vorwarf, wieder aus und wechselte in die militante Gruppe "Revolutionärer Kampf" (RK), wo er neben anderen auch auf Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit und Tom Koenigs traf.

Ein Jahr vor dem OPEC-Überfall sah man Klein auf Pressefotos als Chauffeur des französischen Philosophen Jean-Paul Sartre und des RAF-Anwaltes Klaus Croissant bei deren Besuch Andreas Baaders in der Haftanstalt Stammheim. Seine Biographie schilderte er ausführlich in dem 1979 erschienenen Büchlein "Rückkehr in die Menschlichkeit – Appell eines ausgestiegenen Terroristen". Schon im Vorwort hatte sich Daniel Cohn-Bendit dazu bekannt, dem Freund aus gemeinsamen Frankfurter Kampftagen hilfsbereit unter die Arme gegriffen zu haben. Nach seinen Worten sollte Klein sich sowohl "aus der Stadtguerilla entfernen", als auch "vor der staatlichen Vernichtung" geschützt werden.

Weitere zuverlässige Helfer bei Kleins "Rückkehr in die Menschlichkeit" sollen laut einem von der ungarischen Polizei in einem konspirativen Budapester Stützpunkt abgehörten Gespräch der heutige Frankfurter Umweltdezernent Tom Koenigs, der ehemalige SDS-Funktionär Burkhard Blüm, ein gewisser Rainer Lindner – in der Frankfurter linksradikalen Szene unter dem Spitznamen "Obelix" wohlbekannt – und ein "Dr. Bromberger", ein in linken Kreisen beliebter Mediziner, gewesen sein.

Das abgehörte Gespräch fand zwischen "Carlos" und dessen Assistenten Johannes Weinrich statt, der gemeinsam mit Klein und den im Juli 1976 in der ugandischen Hauptstadt Entebbe von den Israelis erschossenen Terroristen Winfried Böse und Brigitte Kuhlmann zu der Terrororganisation "Revolutionäre Zellen" (RZ) gehörte.

Interessant dürften die Vorgänge um Klein noch einmal werden, wenn der Ex-Terrorist zum Mord an dem früheren hessischen Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry Aussagen macht. Es gibt zumindest handfeste Indizien für eine Verwicklung Kleins in dieses Kapitalverbrechen. Auf bislang unbekannten Wegen war die Pistole, mit der Karry am 11. Mai 1981 erschossen wurde, und die zwei US-Soldaten aus einer Butzbacher Kaserne entwendet hatten, in die Hände der RZ gelangt. Inzwischen geht die Polizei davon aus, daß Klein genau weiß, welche RZ-Mitglieder Zugang zu den Butzbacher Waffen hatten und damit auch zu jener Pistole, mit der Karry von den Terroristen ermordet wurde.

Transportiert wurde die Waffe damals in einem Auto, das dem heutigen Fraktionssprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Joschka Fischer, gehörte. Dieser will jedoch nichts davon gewußt haben. Fischer gab an, seinen Wagen lediglich Klein zur Reparatur überlassen zu haben. Erst Anfang der achtziger Jahre habe er erfahren, daß damit mehrere Waffen aus der Butzbach-Beute und dem späteren RZ-Arsenal transportiert wurden und eine dazu diente, den FDP-Wirtschaftsminister aus dem Hinterhalt zu töten.

Ob Klein bei seiner zu erwartenden Vernehmung Fischers Aussagen bestätigen wird, ist nicht nur für den Generalbundesanwalt von größtem Interesse. Auch die hessische CDU und FDP lassen zur Zeit jedenfalls nicht locker, um die mysteriösen Vorgänge beim Untertauchen Kleins und vor allem beim Mord an Heinz-Herbert Karry rückhaltlos aufzuklären. Möglicherweise wird es noch einige unliebsame Überraschungen geben, wenn endlich aufgeklärt wird, wer alles in dieses Verbrechen involviert war oder zumindest Kenntnis davon hatte.

FDP-Politiker erstattet Anzeige gegen Cohn-Bendit

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU im hessischen Landtag, Franz Josef Jung, und sein FDP-Kollege Jörg-Uwe Hahn forderten inzwischen den grünen Justizminister Rupert von Plottnitz auf, auf eine schnelle Auslieferung Kleins nach Deutschland zu dringen. Das hessische Justizministerium sieht dagegen eine "Schmutzkampagne gegen politische Gegner" und tadelte das "eifernde Bemühen", das nur Wahlkampfzwecken diene. Von Plottnitz bezeichnete Spekulationen, wonach die Strafverfolger mit der Festnahme Kleins bewußt gewartet hätten, als "völlig abwegig". Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im hessischen Landtag, Frank Kaufmann, hielt Bundesinnenminister Kanther (CDU) dagegen vor, er habe den Aufenthaltsort Kleins seit längerem gekannt. Ins gleiche Horn blies auch der Vorsitzende des Innnenauschusses des Bundestages, Wilfried Penner. Der SPD-Politiker will die Festnahme Kleins auf einen möglichen Zusammenhang mit dem Wahltermin am 27. September parlamentarisch überprüfen lassen.

Alle diese vordergründigen Manöver und Polit-Gaukeleien sollen offensichtlich nur davon ablenken, daß es einigen Wortführern aus dem links-grünen Spektrum wohl ziemlich unangenehm ist, daß die Zivilfahnder des Bundeskriminalamtes (BKA) endlich nach 23 Jahren dem Ex-Terroristen Klein auf die Spur kamen und ihn seinem französischen Versteck aufgespürt haben. Manchen Prominenten aus dieser Szene mag dabei sogar ein wenig mulmig werden. So hat der hessische CDU-Landesvorsitzende Roland Koch bereits den Rücktritt des grünen Europa-Abgeordneten Cohn-Bendit gefordert, weil dieser das Versteckspiel Kleins nicht nur jahrzehntelang gedeckt, sondern sogar mit ein paar anderen Genossen für dessen Domizil in der Normandie die Miete bezahlt habe.

Cohn-Bendit selbst bestreitet die Vorwürfe nicht. In einer Erklärung, die am vergangenen Freitag in der angesehenen Pariser Zeitung Le Monde erschienen ist, schreiben sechs Unterstützer Kleins, darunter neben Cohn-Bendit auch der Philosoph André Glucksmann: "Wir waren viele, die ihm in Frankreich und in Deutschland geholfen haben, indem wir ihn vor den Mordgelüsten und vor der Rache seiner Ex-Freunde, die zu Mördern geworden sind, geschützt haben, indem wir ihm das Existenzminimum finanziert haben, indem wir ihm das Haus gemietet haben und die Miete bezahlt haben."

Inzwischen hat diese Erklärung Cohn-Bendit eine Strafanzeige des FDP-Geschäftsführers Jörg-Uwe Hahn wegen des Verdachts der Strafvereitelung eingetragen. "Ohne die finanzielle Unterstützung wäre es dem Verhafteten nicht möglich gewesen, sich den Strafverfolgungsbehörden zu entziehen", begründete Hahn seine Anzeige.

Kritik an Cohn-Bendit übte auch der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund, Gerhard Vogler. Der Grünen-Politiker versuche, Klein nachträglich als verfolgtes Opfer darzustellen und dessen Straftaten zu verharmlosen. Einerseits werde die Bevölkerung stets um Mithilfe bei der Fahndung nach Terroristen und Straftätern gebeten, so Vogler, andererseits gehe man "zur Tagesordnung über, wenn ein Abgeordneter Kriminelle unterstützt". Die Polizeigewerkschaft forderte, Cohn-Bendit zur Rechenschaft zu ziehen.

Zurückhaltend äußerte sich der für die Ermittlungen zuständige Frankfurter Oberstaatsanwalt Job Tilmann. Erst nach der Vernehmung Kleins könne entschieden werden, ob gegen Cohn-Bendit ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werde. Niemand sei verpflichtet, den Aufenthaltsort eines Gesuchten den Behörden mitzuteilen. Juristen halten es für fraglich, ob Daniel Cohn-Bendit wegen einer rein finanziellen Unterstützung eines Gesuchten belangt werden kann. Voraussetzung für eine Strafverfolgung sei eine aktive Unterstützung, hieß es in Kreisen der Frankfurter Staatsanwaltschaft. Finanzielle Hilfen stellten einen Grenzfall dar.

Eines ist jedoch jetzt schon klar: Die gemeinsame Geschichte der Frankfurter radikalen Linken um Fischer, Cohn-Bendit, Koenigs, Boese, Klein und Weinrich war immer auch eine Geschichte der Gewalt, der politischen Kriminalität und des mörderischen Terrorismus.


 
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