© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/98 25. September 1998

 
Rechtschreibreform: Matthias Dräger über den Volksentscheid in Schleswig-Holstein
"Ein Sprung in die Jauchegrube"
von Thorsten Thaler

Herr Dräger, am kommenden Sonntag sind die Bürger in Schleswig-Holstein nicht nur zur Bundestagswahl aufgerufen, sondern auch zum Volksentscheid über die Rechtschreibreform. Mit welchen Gefühlen sehen Sie als Initiator und Sprecher der Bürgerinitiative "WIR gegen die Rechtschreibreform" dem Ausgang dieses Volksentscheides entgegen?

Dräger: Nun, ich sehe dem Ausgang zuversichtlich entgegen, aber auch mit durchaus gemischten Gefühlen, denn wir haben hier in Schleswig-Holstein doch erheblichen Widerstand von Seiten der Landesregierung bekommen, die absichtlich Verwirrung beim Stimmzettel anrichten wollte.

Sie spielen auf die nahezu gleichlautenden Abstimmungsvorlagen an?

Dräger: Ja, richtig. Außerdem sind hier Behauptungen aufgestellt worden, die wahrheitswidrig sind. Es wird unterstellt, daß die Rechtschreibreform die in der Bevölkerung allgemein übliche Rechtschreibung sei. Das ist ist nicht richtig, wie ein Blick in die Tageszeitungen zeigt. Zum anderen kommt hinzu, daß hier der Verband der Schulbuchverlage mit einer halben Million D-Mark massiv in den Volksentscheid eingegriffen hat und hier praktisch versucht wird, Bildungsinhalte mitzubestimmen, einzig mit dem Ziel, die produzierten Auflagen an den Mann zu bringen.

Heißt das, Sie haben Zweifel am Ausgang des Volksentscheides?

Dräger: Also, wenn es nach der ablehnenden Haltung der Bevölkerung ginge, dann hätte ich überhaupt keinen Zweifel, dann würde das Ergebnis etwa 80 zu 20 gegen die Rechtschreibreform ausgehen. Die Propaganda der Schulbuchverlage hat allerdings auch Wirkung gezeigt. Viele Leute sind verängstigt, ob Schleswig-Holstein eine "Rechtschreibinsel" werde. Unser Argument, daß die Rechtschreibreform die Bevölkerung spalten würde, ist bisher noch nicht durchgedrungen. Es liegt einfach an der Haltung der Presse und an der massiven Anzeigenkampagne der Schulbuchverlage.

Haben Sie es vor dem Hintergrund der Bundestagswahl nicht ohnehin schwer, sich mit ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen?

Dräger: Keineswegs, denn das Thema Rechtschreibreform interessiert fast jeden hier in Schleswig-Holstein, und für den Volksentscheid gibt es ein größeres Interesse in der Bevölkerung als an der Bundestagswahl.

Wie haben Sie überhaupt Ihre Kampagne angelegt, welche Möglichkeiten haben Sie, auf sich aufmerksam zu machen?

Dräger: Die Möglichkeiten sind relativ begrenzt. Da ist zuerst einmal die Tagespresse, dann haben wir die Möglichkeit, Faltblätter zu verteilen. Das haben wir auch gemacht, um auf den verwirrenden Stimmzettel aufmerksam zu machen und hier entsprechend aufzuklären.

Wenn sich eine Mehrheit bei dem Volksentscheid gegen die Rechtschreibreform ausspricht, wäre dann Ihrer Ansicht nach das Projekt bundesweit gestoppt oder müßte es gestoppt werden?

Dräger: Die deutschen Nachrichtenagenturen haben am 14. Juli beschlossen, daß sie sich am Ergebnis des Volksentscheides in Schleswig-Holstein orientieren werden. Das heißt, bei einem Volksentscheid gegen die Rechtschreibreform wird es vorerst keine Umstellung bei den Nachrichtenagenturen geben.

In den Schulen wird die neue Rechtschreibung bereits gelehrt, und die schleswig-holsteinische Landesregierung argumentiert, es könne keine zwei Rechtschreibungen in Deutschland geben.

Dräger: Das ist ein fadenscheiniges Argument. Gerade, wenn die Rechtschreibreform durchkäme, würde es mit 100prozentiger Sicherheit zweierlei Rechtschreibungen in Deutschland geben. Die Rechtschreibreform würde nämlich, da sie von Erwachsenen nicht mitgemacht wird, die Bevölkerung spalten in Schüler auf der einen Seite und Erwachsene auf der anderen Seite. Diese Spaltung würde durch die Rechtschreibreform in jedem Fall eintreten.

Ministerpräsidentin Simonis hat bereits durchblicken lassen, daß sie sich nicht zwingend an diesen Volksentscheid gebunden fühlt, wenn er gegen die Rechtschreibreform ausgeht. Welche Möglichkeiten hat sie, sich dem Volksentscheid zu widersetzen?

Dräger: Für die Landesregierung gibt es keine Möglichkeit, sich dem Volksentscheid zu widersetzen. Die Ministerpräsidentin hatte in einem Focus-Interview einmal angekündigt, ein durch Volksentscheid zustande gekommenes Gesetz zum Stopp der Rechtschreibreform einfach durch den Landtag gleich wieder korrigieren zu lassen. Später hieß es von einem Regierungssprecher, die Äußerung von Heide Simonis sei ironisch gemeint. Wie dem auch sei: Verfassungsrechtler gehen davon aus, daß durch den Volksentscheid auf jeden Fall eine längere Bindung des Landtages an dieses Gesetz gegeben ist. Auch die Grünen im Landtag, die die SPD ja für ihre Mehrheiten benötigt, haben signalisiert, daß sie für eine "Korrektur" des Volksentscheides in dieser Legislaturperiode nicht zu haben sein werden.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom August dieses Jahres hat juristisch den Weg frei gemacht für die Einführung der neuen Rechtschreibregeln. Hat sich mit dieser höchstrichterlichen Entscheidung das Thema nicht im Bewußtsein der Bürger "erledigt"?

Dräger: Im Urteil von Karlsruhe stehen aber auch einige für die Reformgegner sehr erfreuliche Dinge. Dort steht zum Beispiel, daß die Rechtschreibreform nur für die Schüler verbindlich ist. Erwachsene sind an die neuen Schreibregeln nicht gebunden, sie können so weiterschreiben wie bisher. Das heißt im Klartext, daß man die Beamten und Mitarbeiter in den Behörden nicht zur Annahme der Rechtschreibreform zwingen können wird. Das geschieht dann allenfalls auf freiwilliger Basis und das wird darauf hinauslaufen, daß die Rechtschreibreform in den Behörden nicht umgesetzt wird.

Die Zeit spielt den Befürwortern aber doch in die Hände, denn je länger die Reform an den Schulen gelehrt wird, desto unwahrscheinlicher ist eine Umkehr der Reform?

Dräger: Nein, denn durch das Bekanntwerden der Regeln erhalten jetzt auch zunehmend weite Teile der Bevölkerung von den Inhalten der Reform Kenntnis, und der Widerstand gegen die Reform verstärkt sich noch. In den unteren Klassen ist der Umfang der Schreibänderung ja relativ gering bedingt durch den kleineren Wortschatz. Das sind vielleicht 20 bis 30 Wörter, die hier betroffen sind. Das sind aber alles Wörter, die man ganz problemlos wieder umlernen kann. Es wäre wesentlich besser für die Schüler, ein paar Worte wieder neu zu lernen, als ihr Leben lang mit einer doppelten Orthographie leben zu müssen.

Wie lautet Ihr Haupteinwand gegen die Rechtschreibreform?

Dräger: Die Rechtschreibreform ist keine Reform, da sie unlogisch ist und dem Schreibenden keinerlei Erleichterung bringt.

Reformbefürworter behaupten, daß die Fehlerquote in Diktaten in Grundschulen zurückgegangen sei.

Dräger: Das sind die üblichen Märchen der Kultusminister. Unsere Untersuchungen von Aufsätzen an Schulen haben gezeigt, daß die Fehlerquote durch die Rechtschreibreform eher leicht ansteigt im Bereich zwischen 10 und sogar 40 Prozent. Letztere Zahl basiert auf einer Klausur im Deutsch-Leistungskurs, wo insbesondere bei der ß-Regelung eine ganze Fülle neuer Fehler entstanden sind, die eben nur durch die Rechtschreibreform bedingt waren. Auch Professor Eisenberg, einer der besten Grammatiker, die wir haben, bestätigt, daß unter unabhängigen Didaktikern Einigkeit darüber besteht, daß die Anzahl der Fehler nicht zurückgehen wird.

Es gab eine Vielzahl von Intellektuellen und Schriftstellern, die sich gegen die Rechtschreibreform ausgesprochen haben. Warum hört man jetzt von denen so wenig, warum unterstützen die Sie nicht bei Ihrem Volksbegehren mit einem neuerlichen Appell?

Dräger: Das liegt vielleicht auch ein wenig an der Eigenart der Schriftsteller, daß sie eben der Meinung sind, wenn sie sich einmal äußern, dann müßte das reichen. Im Prinzip ist das ja auch völlig richtig. Wenn jemand in eine Jauchegrube springen will, dann reicht es eigentlich, ihm einmal zu sagen, laß das. Aber in der heutigen Mediengesellschaft mit ihren kurzlebigen Nachrichten ist das keine besonders wirksame Haltung. Ich würde es auch sehr begrüßen, wenn sich die Schriftsteller durchaus nochmal zu Wort meldeten.

Stärken Ihnen die Initiativen in anderen Bundesländern, die zu Volksentscheiden führen sollen, den Rücken und gibt es eine Zusammenarbeit zwischen diesen Initiativen?

Dräger: Ja, es gibt schon einen Nachrichtenaustausch zwischen den Initiativen, so daß wir immer wissen, wie weit die anderen sind. Wir haben jetzt gerade Nachrichten aus Berlin erhalten, daß die dortige Initiative am Tag der Bundestagswahl mit dem Sammeln der nötigen Unterschriften für die erste Hürde auf dem Weg zu einem Volksentscheid beginnen will. Es ist durchaus erfreulich für uns, zu hören, daß der Protest sich auch in den anderen Bundesländern ausweitet.


Matthias Dräger 
ist in Lübeck geboren, 42 Jahre alt und von Beruf Verleger. Seit Oktober 1995 beschäftigt er sich mit der umstrittenen Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, die nach einem Beschluß der Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder offiziell am 1. August dieses Jahres in Kraft getreten ist.Matthias Dräger gehörte vor drei Jahren zu den Mitbegründern der Bürgerinitiative "Wir gegen die Rechtschreibreform", deren Sprecher er in Schleswig-Holstein ist.


 
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