© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/98 25. September 1998

 
Zeitschriftenkritik: "Criticón" bleibt unverzichtbar
Die List der Konservativen
von Sven Fuchs

Nachdem der Gründer des Flaggschiffs deutscher konservativer Publizistik, der angesehenen Zeitschrift Criticón, Caspar von Schrenck-Notzing, die Redaktionsleitung in jüngere Hände gelegt hatte, waren nicht wenige gespannt, was sich daraus entwickeln würde. Eine Zeitschrift, die so stark einer bestimmten politischen Tendenz anhängt, ist normalerweise auch stark vom Standpunkt des jeweiligen Herausgebers und Chefredakteurs abhängig.

Bahnbrechende politische Änderungen sind indes – nach der nunmehr dritten Ausgabe unter neuer Regie – nicht zu verzeichnen. Und das ist gut so. Man scheint sich allerdings ein wenig dem amerikanischen Vorbild anzunähern, das klassische Liberale und Altliberale wie Hayek oder Mises in den Bereich des Konservatismus einzureihen bestrebt ist. Für eine solche Entwicklung scheint auch zu stehen, daß einer der wichtigen Exponenten des deutschen Ordoliberalismus, Roland Baader, gleich zweimal zu Wort kommt. Doch auch das konservative Spektrum, für das Wilfried Böhm, Klaus Motschmann, Günter Rohrmoser, Konrad Löw, Gerhard Löwenthal und nicht zuletzt der unverzichtbare Editorialist "Critilo" stehen, ist auf breiter Front vertreten.

Die aktuelle Ausgabe scheint etwas frischer, witziger geraten zu sein als einige ihrer Vorgänger. Dafür steht insbesondere der Ausbau des Glossenteils "Krise und Kritik". Es macht Spaß, diese Ausgabe zu lesen. Köstlich ist vor allem die Glosse von Peter Boßdorf "New York, New York – Unterwegs im Wahlkampf mit Jost Stollmann".

Dann wird es ernst: Gunnar Sohn empfiehlt "Konservative Strategeme – List statt Aktionismus". Ausgangspunkt ist der chinesische Bestseller "Kampf mit List – Die 36 Strategeme", mit deren Hilfe man sich gegen das ständige Einströmen "leerer moralischer Phrasen und Ermahnungen" zur Wehr setzen könne. "Die subtile Diktatur des Parteienstaates in Deutschland", so Sohn, lasse sich nämlich "nicht mit hektischem Aktionismus beseitigen", sondern nur mit List. Als Kronzeugen für eine solche Entwicklung in der Bundesrepublik macht Sohn den Publizisten Jan Roß ("Die neuen Staatsfeinde", 1998) und den vor kurzem gestorbenen griechischen Philosophen Panajotis Kondylis aus. Die "Staatsparteien" hätten sich zu großen "Dienstleistungskombinaten" entwickelt, die sich Abhänge schafften durch ein beständiges Ausweiten eines Leistungsangebots. Praktisch hätten sich der Antiautoritarismus der angeblich systemkritischen 68er-Revolte und rein kommerzielle Interessen des ökonomischen Establishments einer profillosen Managerkaste symbiotisch zusammengefunden. Dieses Meinungsklima sei inzwischen "tief in die Gesellschaft eingesickert": "Vor rund zwanzig Jahren hätten sich nur rund ein Fünftel der Bevölkerung links von der Mitte" eingeordnet. Heute stufe sich bereits jeder Dritte in diese Kategorie ein. Demgegenüber sei der Wert auf der rechten Seite von 46 auf 31 Prozent geschrumpft. Dies sei die Folge einer zunehmenden Marginalisierung der Konservativen infolge der Kulturrevolution, die alle Bereiche der Gesellschaft sozialdemokratisiert habe – inklusive der Konservativen. Mag sein, daß dagegen tatsächlich nur noch chinesische List hilft.

Von einer ähnlichen politischen Situation Deutschlands geht auch Josef Schüßlburner aus und stellt das inzwischen vorherrschende Bedürfnis fest, die erreichte Sozialdemokratisierung der Bundesrepublik nun auch mit hoheitlichen Mitteln offiziell in ihrem Bestand sichern zu lassen. "Welche ‘Verfassung’ schützt ein Verfassungsschutzmitarbeiter?" ist daher seine Frage. Der Mitarbeiter, den er meint, heißt Armin Pfahl-Traughber. Dessen Tätigkeit wird inzwischen sogar im Ausland kritisch beäugt. Der angesehene britische Economist nennt ihn etwas spitz "Demokratiebeamter" und macht einen deutschen Sonderweg, einen "German way of democracy" aus. Schüßlburner kritisiert Pfahl-Traughbers teilweise völlig willkürliche Auslegung des Demokratiebegriffs, der sich nicht an dem "vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Katalog der Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" orientiert, sondern an einer "dezisionistisch formulierten ‘Aufklärung’ und dem ebenso willkürlich formulierten ‘Liberalismus’, welche in der als Maßstab phantasierten westlichen Werteordnung so nicht vorhanden sind".

Alles in allem: wieder eine ruhig argumentierende und sich selbstbewußt gebende Ausgabe einer Zeitschrift, die sich aus der konservativen Landschaft nicht wegdenken läßt.


 
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