© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/98  02. Oktober 1998

 
 
Wahl '98: Kohl geht: Die CDU könnte ihm Folgen
Beton mit Rissen
von Hans-Georg Münster

Der Mann hat seinen Platz im Geschichtsbuch. Verdient hat er ihn auch. Daß die Wähler das Oggersheimer Schwergewicht mit Schimpf und Schande davongejagt haben, hat er ebenfalls verdient. Seine Zeit war abgelaufen. Den richtigen Zeitpunkt zum Absprung hatte er verfehlt. Ein deutsches Schicksal.

Kohl wird jetzt das erleben, was die Bonner Kabarettisten "Die Wasserwerker" stets so schön singen: "Kein Schwein ruft mich an…" Mit Kohl geht der ganze Hofstaat, eine arrogante Clique von Fritzenköttern, Zuträgern und Einschmeichlern, die Bonn 16 Jahre lang wie ihr schwergewichtiges Vorbild mit dem Telefon regierten.

Wichtiger ist: Was kommt beziehungsweise wer kommt? Der Kronprinz Wolfgang Schäuble hat seinen Anspruch auf den Parteivorsitz angemeldet. Als Konkurrent bietet sich Noch-Verteidigungsminister Volker Rühe an. So wie die Dinge liegen, hat Schäuble die besseren Karten. Der Fraktionschef gebietet über das letzte Machtzentrum, das der Partei geblieben ist: die erheblich geschrumpfte Bundestagsfraktion. Rühe hat keine Hausmacht, nur den kleinen Landesverband Hamburg.

Schäuble wird nach seiner Wahl auf dem vorgezogenen Parteitag am 7. November in Bonn eine Partei vorfinden, für die der Begriff "heruntergekommen" noch recht geschmeichelt ist. Kohl hat nie auf selbständig denkenden Nachwuchs gesetzt, sondern jeden kritischen Geist systematisch politisch geköpft. Kanzler-Getreue regierten bis herunter in den kleinsten Kreisverband. Der typische CDU-Nachwuchspolitiker begann seine Karriere spätestens mit 16 Jahren in der Jungen Union, war unkritisch, lobte den Kanzler und hatte nur ein Ziel: Den Kanzler auch in höheren Funktionen als Abgeordneter, Staatssekretär oder gar Minister loben und nebenbei mit der Flugbereitschaft der Luftwaffe den Planeten bereisen zu dürfen. Für diese Leute brechen Welten zusammen.

Von der Bonner Macht besessen und von europäischen Visionen beseelt, realisierte die gesamte CDU-Führung nicht mehr, daß Landesregierungen reihenweise verlorengingen, daß die Mitglieder wegliefen. Auf Parteitagen wurde nicht debattiert, sondern beschlossen, was die Führung vorlegte.

Strukturelle Defizite kommen hinzu. Die CDU ist zu einer süddeutschen Partei geworden. Sieht man von der Beteiligung an der Bremer Stadtregierung und der Großen Krisenkoalition in der Hauptstadt ab, bleiben die stabilen Regierung in Baden-Württemberg, das wackelige Thüringen und der sächsische Sonderfall mit Kurt Biedenkopf. Im Westen und Norden, in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern spielt sie eine untergeordnete Rolle. Nordrhein-Westfalen meldet das schlechteste CDU-Ergebnis seit Gründung der Bundesrepublik.

Nur Bayern steht wie ein Fels in der Brandung. CSU-Chef Waigel hat mit seiner Rückzugsankündigung die Flucht nach vorne angetreten, da Edmund Stoiber andernfalls die Partei gekapert hätte. Die CSU hat Ruhe, ehe Streit hatte ausbrechen können. Die CSU wird Bayern möglicherweise noch regieren, wenn die CDU bereits auseinanderfällt.

Denn Stoiber wird die in die Berliner Republik hineintorkelnde CDU nicht retten können. Der Oberbayer kommt weder beim Parteivolk noch bei der Wählerschaft im Westen, Norden und Osten der Republik besonders gut an. Stoiber ist ein hochbegabter Exot, vergleichbar mit Biedenkopf. Beiden fehlt das Charisma, das Kohl einst hatte.

Schäuble fehlt dieses Charisma ebenfalls. Sein besonderes Problem liegt in seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung. Partei- und Fraktionsvorsitz in einer Hand erfordern Herkuleskräfte, die dieser beim besten Willen nicht lange wird aufbringen können.

Schon wird in Bonn von einer "Übergangslösung Schäuble" geredet. Der Blick fällt bereits auf die nächste Generation, etwa den niedersächsischen Fraktionsvorsitzenden Christian Wulff oder sein hessisches Pendant Roland Koch. In der Bundestagsfraktion stehen ähnliche Charaktere zur Verfügung, für die der schöne, aber unzutreffende Begriff "Junge Wilde" entdeckt wurde. Es handelt sich in Wirklichkeit um seelenlose Partei-Apparatschiks, die in der Schüler-Union pubertierten, in der JU erwachsen wurden, in der Partei ihr Auskommen fanden und denen die Welt außerhalb der Bonner Käseglocke stets fremd geblieben ist.

Die Krise der CDU ist Kohl nicht allein zuzuschreiben. Er hat sie verstärkt, durch negative Charakterauslese beim Nachwuchs und durch das Versagen beim Versuch der "geistig-moralischen Wende" im Jahre 1982. Das "Christlich" hat sich leider erledigt. Was einst Programm war, ist heute Zierblende. "Demokratisch" sind viele, und die Aufgabe der "Union", das Zusammenführen protestantischer und katholischer Kräfte, hat sie erfüllt. Konfessionelle Gegensätze sind in einem Land, dem Gott abhanden gekommen ist, ohne Bedeutung.

Noch liegt die CDU wie eine Betonplatte über Deutschland mit ihrer letzten Funktion: Etwas, was rechts von ihr sein könnte, zuzudecken. Doch jeder Beton wird eines Tages brüchig. Triebe stoßen durch. Blühende Landschaften werden entstehen.


 
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