© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/98  02. Oktober 1998

 
 
Joschka Fischer: Vom militanten Straßenkämpfer zum Außenminister
Die Kunst des Verdrängens
von Thorsten Thaler

Wer seine Vergangenheit verdrängt, lebt sorgenfreier. Von der Last unliebsamer Erinnerungen an eigene "Jugendsünden" befreit, kann der Blick nach vorne schweifen, gewinnt das Heute und Morgen die Oberhand über das verdrängte Gestern. Einer, der in diesen Tagen seinen Blick ganz besonders starr in die nahe Zukunft richtet, heißt Joseph Martin Fischer.

Seit dem Wahlsonntag wähnt sich die Galionsfigur von Bündnis 90/Die Grünen am Ziel seiner politischen Träume, dem Amt als Außenminister einer rot-grünen Regierungskoalition. Zwar wiegelt der 50jährige noch ab und spielt seine Ambitionen öffentlich herunter. "Ich mache kein nachdenkliches Außenministergesicht", witzelte Fischer während der ersten Pressekonferenz der Grünen nach dem Machtwechsel in Bonn. Doch dementieren mag er seine unverhohlen zur Schau getragenen Gelüste allenfalls halbherzig. Er könne sich jedes Amt vorstellen, erklärte Fischer, "vom Papst an abwärts".

Für den ungelernten Ex-Betriebsarbeiter bei Opel, Ex-Hausbesetzer, Ex-Straßenkämpfer, Ex-Buchhändler und Ex-Taxifahrer wäre der Chefsessel im Außenministerium der Höhepunkt seiner Karriere – und zugleich die irritierende Geschichte vom Aufstieg eines militanten Revoluzzers aus dem linksradikalen Milieu in eines der wichtigsten Staatsämter der einstmals von ihm so verhaßten Republik. Daß Fischer diese Republik nicht nur gehaßt, sondern auch aktiv bekämpft hat, daraus macht er kein Hehl. Erst Anfang August – also rechtzeitig vor der Bundestagswahl – erklärte er in einem Interview: "Im übrigen habe ich nie bestritten, daß ich fast zehn Jahre lang auch unter Einsatz von Gewalt die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik umstürzen wollte." Und er fügte hinzu: "Wir haben uns nicht an die Regeln des Strafgesetzbuches gehalten."

Bis heute jedoch verweigert der sonst so eloquente wie mitteilungsbedürftige Fischer jede weitere Auskunft zu Einzelheiten seiner Vergangenheit – sofern sich Journalisten überhaupt dafür interessieren und ihn nach biographischen Begebenheiten fragen. Das allerdings tun die wenigsten, und so hat sich im Laufe der Jahre jene seltsame Allianz zwischen denen gebildet, die nichts wissen wollen, und dem einen, der ohnehin nichts preisgeben will.

Dabei lohnte es sich allemal, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, die der Außenminister im Wartestand so gern verdrängt und verschweigt. Ein Gewährsmann berichtet: "... Joschka trainierte mit seiner Spezialeinheit hart. Sonntags fuhr die Gruppe im geschlossenen Konvoi zu regelrechten Manövern in den Taunus, wo Fischer mit bis zu vierzig Leuten Steineschmeißen in Formation (eine Reihe tief, die nächste hoch), einen Keil bilden oder Gefangenenbefreiung in Dreiergruppen übte. Um das Ganze realistischer zu gestalten, wurde ein Teil der Truppe, der bei der Nahkampfausbildung die bösen Bullen spielen mußte, mit bereits im Kampf erbeuteten Schilden und Schlagstöcken ausgerüstet. Ab und zu fiel dieses Revolutionär-und-Gendarm-Spiel allerdings wirklichkeitsnah aus: dann blieben echte Verletzte oder Ohnmächtige auf dem Waldboden liegen und konnten für die nächsten Wochen beim noch echteren Straßenkampf nicht mitmachen. (…) Fischer sollte das recht sein, denn er wollte wie die anderen dieser Truppe, die nach den ersten erfolgreich geschlagenen Schlachten den neckischen Szene-Spitznamen ‘Proletarische Union für Terror und Zerstörung’ erhielt, nur ausgesuchte harte Männer um sich sehen."

Bei diesem Gewährsmann handelt es sich um den Journalisten und Autor Christian Schmidt, der für sein Buch "Wir sind die Wahnsinnigen" Fischers linksradikale Revoluzzer-Vergangenheit (und die seiner Mitstreiter, darunter der heutige Europaparlamentarier der Grünen, Daniel Cohn-Bendit) minutiös recherchiert hat und versichert, daß alle darin wiedergegebenen Details "von mehreren Personen unabhängig voneinander bestätigt wurden und beweisbar sind, wenn sich Fischer sein Verdrängen gerichtlich bestätigen lassen will". Bisher jedoch hat der Grünen-Politiker offenbar kein Verlangen danach verspürt, im Gegenteil.

Tatsächlich steht für Joseph Martin Fischer mehr denn je auf dem Spiel. Nur einen Steinwurf weit vom Auswärtigen Amt entfernt, will er sich den kurzen Weg dorthin nicht noch in letzter Minute durch eine öffentlich geführte Diskussion über seine Vergangenheit verbauen, eine Vergangenheit, in der ihm "zum Erreichen seines revolutionären Zieles fast jedes militante Mittel recht" war (Schmidt). So muß auch weiterhin konsequent schweigen, wer in der neuen rot-grünen Republik zu Ministerehren kommen will.

Christian Schmidt indes hat genügend Belege zusammengetragen, die das einstmals revolutionäre Wirken des womöglich nächsten deutschen Außenministers schlaglichtartig erhellen. "Ich habe alles durchlebt und durchlitten", zitiert er Fischer selbst. "Das Erlebnis der Entwicklung des Terrorismus, der Schuld, die man dort auf sich geladen hat (…) wie Ideologie, wie die besten Ideale und Absichten, wenn man sich in der Form nicht mehr vermittelt und zurücknimmt, abkippen bis in das Verbrechen, das ist für mich eine prägende Erfahrung." Eine Erfahrung, die bis ins Auswärtige Amt trägt.


 
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