© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/98  09. Oktober 1998

 
 
Bund der Steuerzahler: Rund 200 Millionen Mark kostet der Regierungswechsel
Üppige Ruhegelder und Pensionen
Kai Guleikoff

Deutschlands Schulden wachsen pro Sekunde um 3.203 Mark. Die Staatsverschuldung betrug am 1. August 1998, 0.00 Uhr, exakt 2.288.210.710.400 Mark (2,3 Billionen). Daraus ergibt sich ein jährlicher Schuldendienst von 80 Milliarden Mark aus dem Staatshaushalt. In Politikerreden und Talk-Shows finden derartig nüchterne Tatsachen keinen Eingang. So erstaunt es auch nicht, daß das hart gelandete "Raumschiff Bonn" seine Besatzung finanziell sehr weich entläßt, "als ob nichts geschehen wäre".

Theo Waigel als amtierender Finanzminister flog erst gar nicht mehr zur Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank nach Washington. Er reihte sich bei der CSU-Landesregierung ein und blieb zur Strauß-Gedenkfeier in München. Für den studierten Juristen bedeuten die zehn Jahre Amtszeit im Bundesfinanzministerium den Anspruch auf eine Pension in Höhe von 6.028 Mark im Monat und ein Übergangsgeld von 245.172 Mark. Würde der 59jährige – wie anfangs erklärt – alle politischen Ämter niederlegen, hätte sich das Übergangsgeld auf rund 460.000 Mark erhöht. Doch Waigel will seine monatlichen Abgeordnetendiäten von 11.300 Mark behalten, zumal noch eine Spitzenposition im Vorstand der Bayerischen Landesbank in Aussicht steht. Eine derartige "Einheit von Politik und Wirtschaft" kann für die Beteiligten nur von Vorteil sein. Wer will auch ganz freiwillig von der Macht lassen? Es mag durchaus Stimmen geben, die Theo Waigel ein derartig hohes "Schmerzensgeld" zugestehen, weil er als "Watschenmann der Nation" für viele Fehler einstehen mußte.

Den Zorn für Kohls Ministerriege dürfte jetzt aber Familienministerin Claudia Nolte (32) als Jüngste abbekommen. Die Thüringerin erhält für ihre vier Dienstjahre in Bonn ein Übergangsgeld von 245.172 Mark und vom 55. Lebensjahr an monatlich 3.429 Mark. Würde sie aus dem Bundestag ausscheiden, käme ein Übergangsgeld von 461.115 Mark auf ihr Konto. Doch es gibt noch größere politische "Schnäppchenjäger". Zum Beispiel Otto Hauser. Für seine fünf Monate als Regierungssprecher hat der 45jährige Anspruch auf Übergangsgeld als Parlamentarischer Staatssekretär und Bundestagsabgeordneter, für das Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs die ersten drei Monate je 18.000 Mark, für die folgenden drei Monate je 9.000 Mark "Entschädigung". Bundestagsabgeordneter war Otto Hauser seit 1983. Für eine Legislaturperiode bekommen Abgeordnete ein Übergangsgeld von 72.562 DM. Vom 55. Lebensjahr an erwartet ihn eine Pension von 7.500 Mark im Monat.

Doch es gibt noch weitere Möglichkeiten, Treue zu belohnen: die planmäßige und außerplanmäßige Beförderung. 70 Beamte kamen noch vor "Toresschluß" in die Gnade ihrer scheidenden Dienstherren. Das Verteidigungsministerium steht mit fast 30 Regelbeförderungen an erster Stelle. Im Innenministerium wurden u.a. drei Regierungsdirektoren zu Ministerialräten, im Finanzministerium und im Kanzleramt je einer und im Landwirtschaftsministerium zwei. Wirtschaftsminister Rexrodt machte vier Ministerialräte zu Ministerialdirigenten und setzte in seinem Haus insgesamt 18 Beförderungen durch. Arbeitsminister Blüm konnte 14 Mitarbeiter in eine höhere Besoldungsstufe bringen. Auch im Bundespresseamt wurden fünf Regierungsdirektoren zu Ministerialräten erhoben. Die "Ablösesumme" für die letzte Kohlregierung beträgt nach Schätzungen des Bundes der Steuerzahler 200 Millionen Mark, davon allein 3,75 Millionen Mark Übergangsgeld für die 16 Bundesminister.

Für die SPD besteht jedoch kein Grund zur Entrüstung. Ihr Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering schied nach 17 Jahren mit der Pension von monatlich 8.119 Mark aus dem Bundestag aus, sitzt jetzt im Landtag von NRW, erhält 8.370 Mark Diäten, dazu 2.930 Mark anteilige Bundestagspension und 20.000 Mark SPD-Gehalt.


 
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