© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/98  16. Oktober 1998

 
 
CD: Metal
Gegner der Moderne
Ulli Baumgarten

Gesellschaftliche Veränderungen, so lehrt die Geschichte, beginnen in den seltensten Fällen bei denen, die (Regierungs-)Macht ausüben, sondern gehen in der Regel von den randständigen Teilen des Volkes wie den Intellektuellen und Künstlern aus.

Die "schwarze Szene" ist zwar in eine Vielzahl verschiedener Stilrichtungen zersplittert – Gothic, Neu-Romantik, Mittelalter und mehrere Spielarten des Metal –, in einer Sache aber geht die gesamte Szene konform: in ihrer Gegnerschaft zur Moderne, zum "Dark age of reason", dem dunklen Zeitalter der Vernunft. In einer kalten, durchrationalisierten Zeit bilden sich im Umfeld dieser Szene Inseln eines romantischen Antirationalismus, die sich dem Zugriff oberflächlicher Deutungen entziehen. Daher ist es auch nur konsequent, daß wie in keiner anderen Musikrichtung das Mittelalter und die deutsche Romantik rezipiert werden.

Eine der bekanntesten Gruppen der Neu-Romantik dürfte wohl die österreichische Formation Die verbrannten Kinder Evas sein, die schon mit ihrem ersten Album für Furore sorgte, mit der zweiten CD "Come heavy sleep" aber nochmal eine Steigerung vollbrachte. Während die erste CD ursprünglich als Instrumentalplatte konzipiert war und der Gesang erst später hinzugefügt wurde, bewahrt "Come heavy sleep" das Gleichgewicht zwischen Stimme und Musik. Obwohl hauptsächlich mit elektronischen Geräten eingespielt, klingt das Werk ausgesprochen orchestral. Die gesamte Atmosphäre sowohl der Musik als auch der Texte ist eher düster und ruhig, aber nicht depressiv. Richard Lederer, der auch bei Weltenbrand und Ice ages spielt, schuf diese CD fast im Alleingang, ihm dürfte wohl auch weiterhin eine Vorreiterrolle innerhalb der Neu-Romantik zukommen.

Einziger Minuspunkt der CD: Während das Debütalbum gelegentlich noch lateinische Texte beinhaltete, ist das zweite Werk vollständig englisch gesungen – für ein Werk, das so deutlich von der Romantik beeinflußt wurde, ist Latein oder sogar Deutsch als Gesangssprache angemessener. (M.O.S. Records, Altenbach 24 a, 9490 Vaduz, Liechtenstein.)

Aus Schweden kommt die Gruppe Azure, die uns in die Welt des Fantasy- und Black Metal entführt. Nun ist Metal sicherlich nicht jedermanns Geschmack, aber Azure gelingt es, aus dem so häufig mit Klischees beladenen Metal auszubrechen und frischen Wind in ein altes Genre zu bringen; und so bietet die gesamte CD "Moonlight legend" wirklich interessantes Material. Ähnlich wie bei Die verbrannten Kinder Evas handelt es sich auch bei Azure letztendlich um eine Ein-Mann-Band; die CD wurde nur mit der zusätzlichen Hilfe eines Schlagzeugers eingespielt. Die neun Lieder sind allesamt schnell und aggressiv – schließlich handelt es sich um Metal –, bewahren aber trotz aller Härte noch genügend Melodik, so daß man sich diese CD auch anhören kann, wenn man kein Fan von Hochgeschwindigkeits-Metal ist.

Azure haben es mit ihrem Debütalbum geschafft, dem oft schon ausgebrannt wirkenden Black-/Death-Metal neue Impulse zu geben, und so ganz nebenbei ist es ihnen gelungen, mit dem sogenannten Fantasy-Metal auch noch eine neue Spielart des Metal zu kreieren. Man kann nur hoffen, daß es ihnen gelingt, aus dem (Black-)Metal-Ghetto zu entkommen und auch andere Kreise zu erreichen. (Solistitium Records, Postfach 12 10, 26802 Moormerland.)


 
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