© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/98  16. Oktober 1998

 
 
Kroatien: Kampagne gegen Kardinal Stepinac
Ein politisches Urteil
Lothar Groppe S.J. s. j.

Der am 8. Mai 1898 geborene Bauernsohn Alojzije Stepinac wurde am 24. Juni 1934 jüngster Bischof der Welt, drei Jahre später Erzbischof von Zagreb. Schon damals verehrte ihn das gläubige Volk als seeleneifrigen Oberhirten. Seine große Bewährungsprobe kam im Zweiten Weltkrieg. Als kroatischer Patriot begrüßte er, daß Kroatien im April 1941 ein unabhängiger Staat wurde. Sehr bald erkannte er jedoch, daß der "Poglavnik" (Führer) genannte kroatische Staatspräsident, Ante Pavelic, die katholische Kirche für das radikale Programm der Ustascha mißbrauchen wollte. Wiederholt protestierte er gegen deren Rassegesetze und die Deportation der Serben.

Dessen ungeachtet suchte ihn Vladimir Dedijer, der bei seinen Genossen den Spitznamen "Vlado, der Gangster" erhielt, mit seinem selbst von den Kommunisten als "Machwerk" qualifizierten Buch "Jasenovac – Das jugoslawische Auschwitz" als Kriegsverbrecher in den Schmutz zu ziehen. Sämtliche deutschen Zeitungen weigerten sich daher, dieses Buch zu besprechen, ausgenommen die sich als liberal verstehende Zeit. Sie räumte Barbara Sichtermann drei lange Spalten für ihre infame Verleumdung dieses beispielhaften Oberhirten ein. Sie entblödete sich nicht, den weltweit bewunderten Märtyrer des jugoslawischen kommunistischen Regimes als "blutige Exzellenz" und "frommen Massenmörder" zu bezeichnen.

Was hatte es mit dem "jugoslawischen Auschwitz" auf sich? Die Ustascha errichtete bei Jasenovac ein Konzentrationslager, in dem gefoltert und gemordet wurde. Die Zahlen der Opfer, die Dedijer angibt, haben allerdings mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Er behauptet, Kardinal Stepinac sei für die Ermordung von über 700.000 Menschen, darunter 200.000 Serben, verantwortlich. In seinem neuen Buch "Neue Beiträge" spricht er von 600.000 serbischen Opfern, während in seinem "Informationsblatt", das für sein Buch werben soll, von 800.000 Jasenovac-Opfern die Rede ist. Der ehemalige Partisanengeneral, spätere Historiker und heutige Staatspräsident von Kroatien, Franjo Tudjman, hatte noch in Zeiten des kommunistischen Jugoslawien die statistischen Dokumente aller kroatischen Gemeinden erforscht. Nach seinen damaligen Erkenntnissen konnten unmöglich mehr als 60.000 umgekommen sein. Von diesen seien etwa ein Drittel Serben gewesen, während die Mehrzahl kroatische Antifaschisten, Juden und Zigeuner gewesen seien. In einem Interview mit dem schwedischen Fernsehen hatte Tudjman seinerzeit die Zahl sämtlicher Opfer kroatischer Konzentrationslager mit 59.635 angegeben. Dafür wanderte er unter Tito zwei Jahre ins Gefängnis.

Natürlich spielt für die moralische Schuld die Zahl der Ermordeten keine entscheidende Rolle. Aber wenn sie als Mittel zum Zweck mißbraucht wird, das kroatische Volk mit dem Stigma der Kollektivschuld zu belasten, muß man schon genauer hinsehen.

War Stepinac denn für das Grauen von Jasenovac verantwortlich oder zumindest mitschuldig, wie Herr Dedijer und Frau Sichtermann behaupten? Bereits im noch ganz kommunistisch regierten Jugoslawien wurde zugegeben, daß der Erzbischof durch seine verschiedenen Interventionen Tausenden von Serben, Juden und Zigeunern das Leben gerettet habe. Nur sei er nicht entschieden genug gewesen. Warum aber wurde er dann in einem Schauprozeß zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt? Tito wollte, wie heute noch Rotchina, eine von Rom unabhängige Nationalkirche, wogegen sich Stepinac entschieden verwahrte.

Milovan Djilas, einst einer der engsten Weggefährten Titos, erklärte bereits zu einer Zeit, als er selbst noch dem "Apparat" angehörte, gegenüber der New York Times: "Wir waren damals gezwungen, ein politisches Urteil zu fällen, obwohl wir wußten, daß Stepinac eine integere Person war."

Und der heute noch lebende Ankläger im Schauprozeß gegen Stepinac, Jakov Blazevic, sagte später, der Hauptgrund für die Verurteilung des Kardinals sei sein standhafter Widerstand gegen die von Tito gewollte Nationalkirche gewesen. Es handelte sich also um einen Racheakt, der seinerzeit die gesamte nichtkommunistische Welt empörte. Immerhin stritten schon relativ bald nach der Verurteilung des Zagreber Erzbischofs manche offiziellen Stellen Jugoslawiens darüber, ob Stepinac nicht vielleicht doch ein Heiliger war, als den ihn das gläubige Volk nach wie vor verehrte. So etwa die Belgrader Literatur-Zeitung am 1. 4. 1985.

Noch vor der Aufteilung Jugoslawiens in mehrere selbständige Länder wurde zugegeben, daß der "Poglavnik" Ante Pavelic den Erzbischof verhaften lassen wollte, weil dieser ihn wegen seiner Verbrechen öffentlich anprangerte. Am 24. Februar 1943 schrieb er an Pavelic über Jasenovac: "Dieses Lager ist ein Schandfleck für den ganzen unabhängigen Staat Kroatien." Sofort nach Errichtung dieses Lagers intervenierte Stepinac zugunsten von 200 Serben aus Pakrac. Das kommunistische Amtsblatt vom Juni 1945 schrieb – als noch kein Prozeß gegen den Erzbischof in Sicht war –, daß Stepinac 1942 etwa 7.000 Kinder aus der Gegend von Kozara, meist Waisen gefallener Partisanen, vor deren Deportation nach Jasenovac und damit vor dem sicheren Tod rettete. Am 29. März 1943 rettete er 1.800 Juden aus Griechenland. Freilich verliefen viele seiner Interventionen ebenso erfolglos wie die Proteste der Bischöfe gegen den Massenmord im Mutterleib.

Louis Breiner, der damalige Vorsitzende der amerikanischen Juden, erklärte am 30. Oktober 1946: "Wir wissen seit 1943, daß Stepinac ein aufrichtiger Freund der Juden war, die zu jener Zeit unter Hitler-Verfolgungen und Verfolgungen von Hitler-Vasallen stöhnten. Er war einer der wenigen in Europa, der seine Stimme gegen die nazistische Tyrannei erhob, als dies am gefährlichsten war …. Nach Seiner Heiligkeit Papst Pius XII. war Erzbischof Stepinac der größte Verteidiger der verfolgten Juden in Europa." Es war folgerichtig, daß das kroatische Parlament am 14. Februar 1992 nach der Wiedererrichtung des unabhängigen Kroatien das Urteil des kommunistischen Schauprozesses aufhob und den Kardinal rehabilitierte. Mit der Seligsprechung dieses Märtyrers am 3. Oktober dieses Jahres stellte der Papst den unermüdlichen Anwalt aller unschuldig Verfolgten der ganzen Welt als leuchtendes Beispiel vor Augen. Er sucht allen Menschen guten Willens Mut zu machen, sich unerschrocken gegen den Machtmißbrauch der Mächtigen dieser Welt zur Wehr zu setzen und sich für das Menschenrecht und die Menschenwürde unterschiedslos aller, die Menschenantlitz tragen, einzusetzen.


 
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