© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/98  16. Oktober 1998

 
 
Die "neue Bundeswehr": Marschieren zwischen Bürgermeister Hipp und fiesen Klosprüchen
Eine korrekte Truppe!
Frank Philip

Die Weltöffentlichkeit war geschockt! Was kritische Journalisten in unermüdlicher Suche an belastendem Material über die deutsche Bundeswehr zusammengetragen hatten, das übertraf selbst die kühnsten Träume eingefleischter Gegner des Militärs: Feiern zum Geburtstag des Führers, bedenkliche Spind-Aufkleber und Gewaltvideos… "Huch Kinder, wie furchtbar!" Gleich am Tag darauf diskutierten wie auf Kommando Tausende freudig erregter Gemeinschaftskundelehrer mit ihren Schützlingen über die Bundeswehr und beglückwünschten sich gegenseitig, denn sie hatten es ja schon immer gewußt. Schon bald knickte die starke Truppe im mediengerecht inszenierten Sturm der Entrüstung demütig zusammen und gelobte Besserung. Denn wen interessiert es, daß das sogenannte Gewaltvideo sich nach eingehender Prüfung durch die Staatsanwaltschaft als (wenngleich geschmacklose) Satire herausstellte. Erst durch drastische Kürzungen und eine nachträgliche Neuvertonung mit tendenziösen Kommentaren eines Fernsehsenders hatte der Streifen eine extremistische Aussage erhalten. Aber wen kümmern denn schon solche Feinheiten, wenn der mediale Mob zur Hetzjagd durchs televisionäre Dorf ruft? In vorauseilendem Gehorsam dachten die olivgrünen Jungs gar nicht an Verteidigung, sondern bekannten zerknirscht in schönstem Kirchentagsdeutsch: "Es war querschnittlich Betroffenheit vorhanden." (Hauptmann Lührs in IFDT, Juni 1998).

Von meinen Lehrern und Freunden bedauert und von den Medien gewarnt, begebe ich mich nach dem Abitur in die Höhle des Löwen. Noch haben wir kaum unsere Taschen abgestellt, da machen wir schon Bekanntschaft mit der "neuen Bundeswehr" – ich muß sagen, eine wirklich korrekte Truppe. In dreifacher Ausfertigung wird man schriftlich belehrt über die straf-, disziplinar- und dienstrechtlichen Folgen einer rechtsradikalen politischen Meinung. Alles stutzt ein wenig, und ich nutze die allgemeine Verwirrung, um in der Bundeswehr-Ausgabe des Grundgesetzes für junge Rekruten zu blättern. Mit Erleichterung stelle ich fest: "Er ist noch drin, der gute alte Artikel 5, hat also – zumindest auf dem holzfreien Papier – noch Gültigkeit."

Am folgenden Tag werden wir von Bürgermeister Hipp im Namen der Gemeinde herzlichst begrüßt. Der Ort hat einiges zu bieten, und Bürgermeister Hipp rühmt die schöne Landschaft, das schmucke Soldatenheim, die Kebap-Bude neben dem Rathaus, das lebendige Vereinsleben (180 Vereine bei 2000 Einwohnern) und bittet uns zum Schluß dringend zur Mitarbeit im Chor ("die alten Damen würden sich freuen, wenn auch mal junge Leut’ mitsingen täten…"). Oh Bürgermeister Hipp, wir werden darüber nachdenken, versprechen gerührt 300 junge Männer.

Jetzt beginnt der Ernst des Lebens, jetzt werden richtige Soldaten aus uns gemacht. Nun lernen wir die edelste Form der Fortbewegung: das Marschieren. Marschieren morgens, marschieren abends, bei Regen und Kälte. Hinten Schritt aufnehmen! Vorne kürzer! Ausrichten! Auch wenn Jäger Dosenkohl umkippt, wir marschieren! Beiß’ die Zähne zusammen und denk’ ans Vaterla…, oh, an Deutschland? Nein, nein, das alles könnte mißverstanden werden, und wir haben doch schließlich unterschrieben! Denk also lieber an gar nichts.

Hundemüde sammelt sich der Zug im Unterrichtsraum, dem Kompaniechef zu lauschen. Den Unterschied zwischen Claire Marienfeld und Marie Claire kenne ich schon, so daß es mir zunehmend schwer fällt, gerade zu sitzen. Die Aufgaben der Bundeswehr? Ratloses Schweigen um mich herum. "Vielleicht der Nato helfen…" Schon nicht schlecht, aber wie wär’s mit "Landesverteidigung"? Politische Bildung für junge Soldaten? Heya, da fliegen fünfzig Finger in die Höhe, denn
das weiß doch jedes Kind. Jäger Dosenkohl ist gerade aufgewacht und antwortet leicht schläfrig: "Rechtsradikal ist strengstens verboten." Sehr richtig, Jäger Dosenkohl. Mit diesem klaren Bekenntnis zum antifaschistischen Grundkonsens hat er sich glatt für das verantwortungsvolle Amt des Putzraum-Beauftragten empfohlen. Kann er haben, bitte. Und weil er so lieb ist, hilft ihm der Spieß eine Woche später auch beim Formulieren eines nachträglichen KDV-Antrages.

Die Methode des politischen Unterrichts ist ebenso einfach wie wirkungsvoll. Durch permanentes Herumreiten auf den verdammungswürdigen Rechtsradikalusmus (wohlgemerkt nur Rechts-, nicht Linksradikalismus) schärft sich den jungen formbaren Rekruten etwas verkürzt und ohne lästiges Differenzieren die Botschaft ein: "Rechts ist böse." Und die Rekruten geben sich alle Mühe, nichts Falsches zu sagen. Sie meiden politische Diskussionen wie der Teufel das Weihwasser. Ein Kamerad aus Thüringen hat Erfahrungen mit solcher Art von Gesinnungsdruck und erzählt Anekdoten von früher, aber keinem ist zum Lachen zumute. Es bedeutet schon ein kleines Wagnis, "Oh du schöner Westerwald" zu singen, wie ein Unteroffizier mir im Vertrauen sagt. Wer sich nicht klar von rechten Ansichten distanziert, macht sich schon verdächtig. Für die richtigen politischen Informationen sorgt unser Hauptmann, der uns netterweise jeden Tag seine taz ausleiht.

Langsam bekomme ich Zweifel, ob es mir gelingen wird, irgendein noch so kleines Anzeichen von Rechtsradikalismus auszumachen. Wie steht es z.B. mit der "Diskriminierung von Teilen der Bevölkerung aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit"? Da haben wir’s. Den Sprüchen auf den Toiletten nach zu urteilen, tobt ein erbitterter Kleinkrieg zwischen den Schwaben und den Badenern. Die gegenseitigen Schmähungen erfüllen ganz klar den Tatbestand der Diskriminierung – ob ich diese Entdeckung der Wehrbeauftragten melden soll, oder besser gleich dem Stern ?

Wieder Unterricht. 50 todmüde Jägerlein lümmeln sich auf den Stühlen. Plötzlich helle Aufregung. Wir sollen die Hefte abgeben? "Bei zunehmender Dämmerung ist verstärkt mit Dunkelheit zu rechnen", lautet die Faustregel der Bundeswehr, und analog dazu ist wohl "bei zunehmender politischer Korrektheit verstärkt mit Heftkontrollen zu rechnen". Doch selbstverständlich geht es um die Vollständigkeit der Einträge oder vielleicht die Sauberkeit unserer Handschrift. Mancher ist skeptisch und hinter mir sehe ich, wie zwei oder drei "Eiserne Kreuze" hastig mit dem Kugelschreiber übermalt werden.

Nach wochenlanger Gehirnwäsche und einschüchternden Belehrungen sind die Rekruten dermaßen verunsichert, daß sie selbst das gute alte "Eiserne Kreuz", das offizielle Logo der Bundeswehr, für verboten halten.


 
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