© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/98  23. Oktober 1998

 
 
Bundeswehr ist Luxus
von Hans Brandlberger

Volker Rühe räumt seinen Schreibtisch auf der Hardthöhe, ohne daß es den Verteidigungsbeamten um ihn herum allzu viele Tränen in die Augenwinkel triebe. Stunden, in denen man sich menschlich nahegekommen wäre, dürfte es nicht gegeben haben, obwohl der CDU-General verflossener Tage dazu in sechseinhalb Jahren so viel Zeit hatte wie keiner seiner Vorgänger im Amt. Von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen wird zwar jetzt keine schmutzige Wäsche gewaschen – diesen guten Stil hat auch Rühe der Bundeswehr-Führung nicht austreiben können. Nur wenige können sich allerdings vorstellen, daß das Arbeitsklima ausgerechnet unter Rudolf Scharping, dem sozialdemokratischen Verteidigungsminister wider Willen, schlechter werden sollte. Sorgen müssen sich nur diejenigen machen, die – wie zum Beispiel der Inspekteur des Heeres – auf exponierten Posten sitzen und in einer schwachen Stunde der CDU beigetreten sind. Das Versprechen der Sozialdemokraten, in der Sicherheitspolitik und insbesondere in Fragen der Bundeswehr die Kontinuität zu suchen, wird sich aller Voraussicht nach in einem überschaubaren und unspektakulären Personalkarussel widerspiegeln.

Und doch wird Rudolf Scharping eine Kontinuität schon deshalb nicht möglich sein, weil sie bereits unter Rühe nur mühsam verteidigt wurde – vielleicht liegt gerade darin das Verdienst des scheidenden Ministers. Die Öffentlichkeit hält an der Bundeswehr nicht fest, weil sie von deren Aufgaben überzeugt wäre oder weil sie glauben würde, daß die Streitkräfte diese Aufgaben tatsächlich erfüllen könnten. Sie scheut Einschnitte einzig und allein, weil sie um Arbeitsplätze fürchtet und mit einer Aufhebung der Wehrpflicht auch die Rechtsgrundlage für den als unentbehrlich angesehen Zivildienst beseitigt würde. Dies ist als Legitimationsgrundlage für eine Armee eigentlich zu wenig.

Rot-Grün wird sicher die Ressentiments gegen die Bundeswehr im Zaum halten, so konstruktiv sie für das Selbstverständnis der neuen Mehrheit auch sind. Die Wehrstrukturkommission wird Scharping zur Kompensation in zwei Jahren, vielleicht auch früher, genau das als Experten-Wissen andienen, was schon heute "gewußt" werden kann: Die Bundeswehr sei zu teuer und zu groß, auf die Wehrpflicht könne verzichtet werden. Über kurz oder lang wird die Stärke und die Ausrüstung der Streitkräfte auf genau jenes Mindestmaß beschränkt, zu dem sich die deutsche Politik international verpflichtet fühlt – und zwar unabhängig davon, welche Parteien in Bonn regieren. Anderes wäre mit der inneren Logik der Bundesrepublik – nicht erst der "neuen" – kaum zu vereinbaren.


 
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