© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/98  23. Oktober 1998

 
 
Beschäftigung: Warum der Zuzug von Ausländern die wirtschaftliche Lage verschärft
Der soziale Bluff mit der Zuwanderung
Thomas Brandis

Ist die Einwanderung, wie oft behauptet, notwendig, damit die Zahl der Erwerbsbevölkerung in Deutschland bei einem voraussehbaren weiteren demographischen Rückgang auf dem jetzigen Niveau bleibt? Fachleute halten dies inzwischen für äußerst zweifelhaft. Denn der technische Fortschritt wird dafür sorgen, daß sich der Stellenabbau in den modernen Industrienationen zukünftig weiter beschleunigen wird. In ihrem vielbeachteten Buch "Die Globalisierungsfalle" gehen Hans und Harald Schumann gestützt auf Prognosen führender Wirtschaftsmanager und Wissenschaftler davon aus, daß bereits in wenigen Jahrzehnten 20% des weltweit zur Verfügung stehenden Erwerbspotentials ausreichen wird, um den gesamten Bedarf an Gütern und Dienstleistungen zu produzieren. Bezogen auf Deutschland berechnete der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident und heutige Chef von Jenoptik, Lothar Späth, daß die hierzulande tätigen Unternehmen bereits 1993 über genügend Rationalisierungsmöglichkeiten verfügten, um auf einen Schlag 9 Millionen Arbeitskräfte freizusetzen. Die Erwerbslosenquote hätte dann 38% betragen.

Im Zuge des durch die fortwährende Liberalisierung der Weltwirtschaft verschärften internationalen Wettbewerbs wird den Arbeitgebern gar nichts anderes übrigbleiben, als jede Chance zur Kostenreduzierung auch konsequent zu nutzen. Das angesehene Prognos-Institut geht deshalb davon aus, daß bereits bis zum Jahre 2005 in Deutschland netto rund 500.000 Stellen verschwinden werden. Und dieser Trend wird anhalten. Längst hat die Rationalisierungswelle auch den Dienstleistungssektor erfaßt, der noch in den 80er Jahren als eine Art Auffangbecken für überschüssige Beschäftigte aus der Industrie galt. Allein in der prosperierenden Bankenbranche gehen in den nächsten Jahren mindestens 100.000 Arbeitsplätze verloren. Ähnlich sieht es in der Versicherungswirtschaft aus. Die Vorstellung, der Staat könne – ähnlich wie in den 70er Jahren – in die Bresche springen, ist angesichts leerer Staatskassen und dem wachsenden Schuldenberg der öffentlich Hand illusionär. Das wird auch eine SPD-geführte Bundesregierung einsehen müssen.

Der Stellenabbau wird massiv fortgesetzt

Fazit: Der durch den verschärften Wettbewerb forcierte technische Fortschritt und die demographisch bedingte Abnahme der Zahl erwerbsfähiger Personen korrespondieren in idealer Weise. Eine Beibehaltung oder gar Steigerung der Zuwanderung würde also für die Zukunft lediglich mehr Arbeitslosigkeit produzieren und den ohnehin überstrapazierten deutschen Sozialstaat zusätzlich belasten.

Technischer Fortschritt und Ratio-nalisierung führen aber nicht zu einem weiteren Verlust an Arbeitsplätzen; vielmehr werden auch die Qualifi-kationsanforderungen, denen sich das Personal ausgesetzt sieht, deutlich steigen. Kein Wunder also, daß die Zahl der Stellen für geringqualifizierte Erwerbspersonen nach Meinung der Bundesanstalt für Arbeit bis zum Jahre 2010 um mehr als 50% zurückgehen wird – eine Entwicklung, die selbst die Senkung von Lohnnebenkosten im Rahmen einer ökologischen Steuerreform bestenfalls um einige Jahre verzögern, nicht aber verhindern kann. In diesem Beschäftigungssegment sind ausländische Arbeitskräfte bereits heute überproportional stark repräsentiert. Und das dürfte in Zukunft nicht anders sein, denn die Zuwanderer von morgen werden eben nicht aus den Industriestaaten Europas kommen, die vielfach mit denselben demographischen Problemen zu kämpfen haben, sondern vor allem aus der 3. Welt.

Diese Menschen aber sind nur in Ausnahmefällen den Anforderungen einer modernen Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft, auf die Deutschland im 21. Jahrhundert zusteuert, gewachsen. Ihre Integration in das Arbeitsleben kann deshalb allenfalls dann gelingen, wenn sie in Deutschland selbst ausgebildet werden. Doch bekanntermaßen werden die Grundlagen des Ausbildungserfolges bereits im Schulsystem und nicht erst in der betrieblichen Lehre oder an den Hochschulen gelegt. Sollen die Zuwanderer überhaupt Chancen auf einen Arbeitsplatz haben, dann müssen sie nach Möglichkeit bereits in jungen Jahren, idealtypischerweise schon im Kindesalter, nach Deutschland kommen. Natürlich ist es absurd anzunehmen, man könne die Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen allein auf Kinder und Jugendliche beschränken. Denn die werden im Regelfall zumindest in Begleitung ihrer Eltern einreisen. Nach einiger Zeit, wenn nicht sogar sofort, werden dank der großzügigen Bestimmungen des Familiennachzuges im bundesdeutschen Ausländerrecht weitere Verwandte folgen. Und da diese Personen üblicherweise nicht die erforderlichen Voraussetzungen mitbringen, um sich ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern, müssen sie vom Sozialstaat alimentiert werden. Das aber macht den positiven Effekt, den man sich durch die Zuwanderung junger Ausländer erhofft, per Saldo mehr als zunichte. Denn ein Migrant, der keine Arbeit findet, wird weder die Rentenkassen füllen noch die Konsumnachfrage beleben können, sondern belastet den Sozialstaat und damit der Steuerzahler zusätzlich.

Wer also einer weiteren Forcierung der Zuwanderung das Wort redet, der müßte zunächst einmal daran gehen, den Familiennachzug einzuschränken. Doch das ist so einfach nicht. Denn die einschlägigen, in den §§ 17ff Auslän-dergesetz festgelegten Regelungen werden nach herrschender Meinung aus Art. 6 GG (Schutz von Ehe und Familie) abgeleitet. Wer noch das jahrelange Gezerre um die Änderung des Asylrechts in Erinnerung hat, der dürfte sich unschwer vorstellen, daß sich die für eine Änderung bzw. Ergänzung des Artikels 6 erforderlichen Mehrheiten im Bundestag auf absehbare Zeit kaum werden finden lassen – schon gar nicht nach dem Machtwechsel vom 27. September.

Dabei herrscht bei Experten längst Einigkeit darüber, daß sich die Industriestaaten des Nordens in den nächsten Jahrzehnten einem verstärkten Zuwanderungsdruck aus der 3. Welt ausgesetzt sehen werden. Diese Entwicklung ist neben der Bevölkerungsexplosion vor allem auf die Industrialisierung der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern zurückzuführen, die den Wegfall der Existenzgrundlage für viele Millionen Menschen zur Folge haben wird. In dieser Situation wäre es übrigens geradezu fatal, wenn die reichen Industriestaaten des Nordens die Länder der 3. Welt durch eine aktive Einwanderungspolitik ausgerechnet derjenigen Humanressourcen berauben würden, die für den ökonomischen Wandel in ihrer Heimat besonders dringend benötigt werden.

Obwohl man heute weiß, daß es der Anwerbung von Gastarbeitern in den 60er Jahren nicht bedurft hätte, um die Personalengpässe zu überwinden, behaupten deutsche Industrievertreter gestützt auf "wissenschaftliche Studien" der ihnen nahestehenden Forschungsinstitute auch heute wieder, daß die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf den Weltmärkten ohne neuerliche Massenzuwanderung nachhaltig gefährdet sei. Natürlich ist auch den Wirtschaftsvertretern klar, daß es keiner weiteren Ausländer bedarf, um die deutsche Exportstärke zu sichern. Aus taktischen Gründen macht diese Forderung aus Sicht der Arbeitgeber aber durchaus Sinn. Ein Überangebot von Arbeitskräften und damit eine latente Erwerbslosigkeit auf hohem Niveau ist nämlich überaus hilfreich, wenn es gilt, in Tarifverhandlungen Druck auf die Gewerkschaften auszuüben. Denn die Arbeitslosen, so ein Gewerkschaftsfunktionär kürzlich, sitzen immer mit am Tisch, wenn es um die Festlegung von Lohnsteigerungen geht. Was tarifpolitisch klug erscheinen mag, ist aus volkswirtschaftlicher Sicht allerdings überaus kontraproduktiv, denn ein Zuviel an Arbeitskräften behindert nicht nur den wirtschaftlichen Modernisierungsprozeß, sondern auch den dringend notwendigen Strukturwandel in Deutschland. Die Folgen sind schon heu-te sichtbar: Da es aufgrund des Ungleichgewichtes auf dem Arbeitsmarkt kaum möglich ist, freigesetzten Beschäftigten aus sterbenden Industriezweigen neue Jobs zu verschaffen, werden längst marode Branchen mit millionenschweren Subventionen künstlich am Leben erhalten.

Drastische Reduzierung der Zuwanderung ist notwendig

Es wäre an der Politik, diesem perfiden Kalkül im langfristigen Interesse der Gesellschaft einen Strich durch die Rechnung zu machen und die Zuwanderung wirkungsvoll zu begrenzen. Doch dazu sind die etablierten Parteien wie schon in den 60er Jahren kaum bereit: die einen nicht, weil sie der liberalen Wachstumsideologie folgend die Interessen der Wirtschaft noch immer undifferenziert mit dem Gemeinwohl gleichsetzen; die anderen nicht, weil ihnen die Forderungen der Unternehmerverbände gerade recht kommen, um ihre abstruse Multikulti-Ideologie in Deutschland gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit durchzusetzen.

Wie muß vor dem Hintergrund dieser für jeden leicht nachvollziehbaren Fakten eine vernünftige und zudem langfristig orientierte Beschäftigungspolitik in Deutschland aussehen? - An erster Stelle steht die Forderung nach einer drastischen Reduzierung der Zuwanderung, um die ohnehin hohe Arbeitslosigkeit nicht noch weiter anschwellen zu lassen. Zweitens muß eine langfristige Strategie zum Einsatz kommen, die dem in den nächsten Jahrzehnten absehbaren Rückgang des Erwerbspotentials in Deutschland Rechnung trägt. Stehen zukünftig weniger Arbeitskräfte zur Verfügung, dann müssen die verfügbaren technischen Ressourcen optimal genutzt, der Modernisierungsprozeß gefördert und das vorhandene Personal zielgerichtet eingesetzt werden. Die Politik muß maßgeblich dazu beitragen, daß Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Die Begrenzung der Zuwanderung ist dabei eine wichtige Maßnahme, die durch eine sinnvolle Flexibilisierung der Beschäftigungsstrukturen, die Senkung der Lohnnebenkosten, eine Dezentralisierung der Tarifpolitik und die bedarfsgerechte Qualifizierung des Beschäftigungsnachwuchses zu ergänzen ist. Das Ziel muß sein, dem einzelnen die Chance zu geben, sich und seiner Familie durch eigene Anstrengungen ein angemessenes Auskommen zu sichern. Der amerikanische Weg, Arbeitsplätze durch eine Niedriglohnpolitik zu schaffen, ist abzulehnen. Denn letztlich war es der amerikanische Mittelstand, der durch reale Einkommensverluste von fast 25% in den letzten zwei Jahrzehnten Millionen neuer Stellen für Zuwanderer vor allem aus Lateinamerika geschaffen hat. Durch die starke Regulierung des deutschen Arbeitsmarktes, die das freie Spiel von Angebot und Nachfrage stark beschränkt, konnte diese Umverteilung hierzulande zwar weitgehend verhindert werden; freilich um den Preis millionenfacher Arbeitslosigkeit. In beiden Fällen ist das Ergebnis also unbefriedigend. Es muß vielmehr darum gehen, Dumpinglöhne und Massenarbeitslosigkeit gleichermaßen zu verhindern. Das aber kann nur durch eine ganzheitliche und pragmatisch orientierte Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik gelingen, der jenseits aller ideologischen Dogmen auch die Ausländerpolitik unterzuordnen ist.


 
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