© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/98  23. Oktober 1998

 
 
Italien: Die Mitte-Links-Regierung Prodi ist gestürzt – Die Kommunisten spalten sich
Unter dem Symbol des Olivenzweigs
Peter Paul Rainer

Während in der Bundesrepublik Deutschland erstmals eine Mehrheit der "Neuen Mitte" bis zu den Grün-Alternativen zustande kam und sich zusätzlich mit dem Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde durch die altkommunistische PDS ein unvorhergesehener starker Linksruck vollzog, stürzte nur zwei Wochen später das Mitte-Links-Bündnis in Italien.

Die im Polo della libertà zusammengeschlossenen bürgerlichen und rechten Oppositionsparteien unter der Führung von Forza-Italia-Chef Silvio Berlusconi könnten im Falle von vorgezogenen Neuwahlen mit einer sicheren Mehrheit und damit nach vier Jahren mit der Rückkehr an die Regierung rechnen. Um dies zu verhindern, hat Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro nunmehr den vormaligen Funktionär der Kommunistischen Partei Italiens, Massimo D’Alema, mit der Bildung einer neuen Mitte-Links-Regierung unter Einschluß der Demokratischen Union (UDR) des ehemaligen christdemokratischen Staatspräsidenten Francesco Cossiga beauftragt.

Zu Fall gebracht wurde die erste von den Linksparteien dominierte italienische Regierung bezeichnenderweise durch den Liebes- und Stimmenentzug der Altkommunisten. Diese der bundesdeutschen PDS vergleichbare Partei stützte das Minderheitenkabinett des Linkskatholiken und ehemaligen Vertreter der aufgelösten, einst so mächtigen Christdemokraten, Prodi, von außen, nahm dabei aber häufig eine Oppositionsrolle ein und war somit eine ständige Zeitbombe am linken Rand. Auch diesbezüglich lassen sich zumindest Parallelen in der Bundesrepublik erkennen bzw. künftige Szenarien vorstellen.

Nach dem Ende des kommunistischen Ostblocks sah sich auch die starke Kommunistische Partei Italiens zu einer Neuorientierung gezwungen, die sie an die Seite der westeuropäischen sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien führen sollte. Über diese Frage kam es 1991 zu einer Spaltung der Kommunistischen Partei Italiens. Während die reformkommunistische Mehrheit sich auch nach außen einen neuen Namen und ein neues Symbol gab und inzwischen im Europaparlament der sozialistischen Fraktion angehört und in die Sozialistische Internationale (SI) aufgenommen wurde, hielt die altkommunistische Minderheit an Symbolik und Programm sowie am Bekenntnis zum Kommunismus fest.

Damit das Mitte-Links-Bündnis bei den letzten Parlamentswahlen im April 1996 mit einer Mehrheit rechnen konnte, mußte auf eine direkte Einbindung der Altkommunisten verzichtet werden, um ein Wahlbündnis mit kleineren Parteien der Mitte nicht zu gefährden und vor allem, um nicht Wähler aus der Mitte zu verschrecken. Für die parlamentarische Mehrheit reichte es dennoch nicht, so daß Prodi nach den Wahlen auf die externe Unterstützung der Altkommunisten angewiesen war.

Deren Vorsitzender Bertinotti, der seine Partei immerhin auf beachtliche acht Prozent brachte, drohte seither alljährlich bei der Debatte um das Haushaltsgesetz oder in außenpolitischen Fragen (vor allem im Zusammenhang mit der Nato und deren Einsatz auf dem Balkan) mit der Aufkündigung der Unterstützung. Als Zünglein an der Waage verfolgte er oft hemmungslos eine Taktik der politischen Erpressung. Letztlich lenkte er jedoch nach Erreichung zahlreicher Zugeständnisse, die die bürgerlichen Regierungsparteien an den Rand des Zumutbaren brachten, immer ein. Dieses Ritual gewohnt, fühlte man sich sicher, daß es sich auch in den vergangenen Wochen wieder um ein solches Poltern ohne Konsequenzen handeln werde. Vor allem deshalb, weil die stärkste Regierungspartei, die Linksdemokraten, als ehemalige "Brüder" der Altkommunisten unermüdlich betonten, daß es keine rechnerische Alternative zu dieser Mehrheit gebe und die erstmals nach 50 Jahren erreichte Machtübernahme der Linken durch nichts riskiert werden dürfe.

Daß der Einzug in die römischen Regierungsämter nur ein Zwischenspiel sein könnte, war eine Schreckensvorstellung der italienischen Linken seit 1996. Doch diesmal meinte es Bertinotti ernst. Dabei ging es ihm keineswegs nur um die Zustimmung oder Ablehnung des Staatshaushaltes für das kommende Jahr, sondern um das erklärte Ziel, die Regierungsachse eindeutig nach links zu verschieben. Ein taktisches Spiel um alles oder nichts. So wurde Bertinottis Ankündigung im Parlament, der Regierung das Vertrauen zu entziehen, wenn sie am vorgelegten Haushaltsvoranschlag festhalte, zu einer Gewissensfrage und führte zu einem Grundsatzstreit, der die gesamte Linke erschütterte.

Da auch innerhalb der Altkommunisten die Meinungen auseinandergingen, berief Bertinotti einen "kleinen Parteitag" ein, um über seine Linie entscheiden zu lassen. Der Parteipräsident Armando Cossutta, bereits Mitglied des Zentralkomitees der ehemaligen KP und mit Parteivorsitzendem Bertinotti gemeinsam Gründer der neuen Kommunistischen Partei, hatte sich bereits gegen den harten Kurs ausgesprochen. Er wollte nicht das Ende der ersten Linksregierung verantworten. Die Abstimmung auf dem "Kleinen Parteitag" erfolgte jedoch, nicht zuletzt dank des trotzkistischen Flügels, mit 188 zu 112 Stimmen klar für einen Konfrontationskurs. Damit war aber auch eine Spaltung der Partei eingeleitet worden, nachdem die Mehrheit der altkommunistischen Abgeordneten sich hinter Parteipräsident Cossutta stellte und die Gründung der neuen Partei "Italienische Kommunisten" beschloß. Gleichzeitig versicherten sie der Regierung ihre weitere Unterstützung.

Das oppositionelle Mitte-Rechts-Bündnis, das sich schon seit Monaten in allen Umfragen im Aufwind sieht, brachte – die Gelegenheit nützend – sofort einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung Prodi ein. Am 9. Oktober erfolgte die offene Abstimmung, der noch fieberhafte Verhandlungen vorausgegangen waren, in denen Ministerpräsident Prodi geradezu einen Kniefall vor Cossutta wie vor Bertinotti machte, indem er weitgehende Zusicherungen zur Einführung der 35-Stunden-Woche machte und außenpolitisch zum Erstaunen und zur Besorgnis der Nato-Bündnispartner eine italienische Teilnahme an einem Einsatz im Kosovo von einem UNO-Mandat abhängig machte. Damit entsprach er der Nato-Aversion der Altkommunisten beider Lager, genauso wie deren Orientierung an der russischen Außenpolitik. Wissend, daß der erlahmte Bär im Osten bereits sein Veto im Weltsicherheitsrat gegen eine Nato-Intervention angekündigt hatte.

Diese Erklärung Prodis löste sofort Reaktionen im Nato-Hauptquartier aus, schließlich bildet Italien die Operationsbasis für alle Nato-Aktionen am Balkan. Bei Cossutta und damit bei rund zwei Dritteln der altkommunistischen Abgeordneten hatte Prodi damit Erfolg, bei Bertinotti und seinen Anhängern nicht. Da man nicht genau wußte, wieviele Altkommunisten in der Vertrauensabstimmung der Regierung ihre Stimme geben würden und wegen einiger "wilder", nicht gebundener Abgeordneter war das Ergebnis vollkommen offen.

Von 630 Abgeordneten nahmen 625 an der Abstimmung teil. 312 schenkten der Regierung das Vertrauen (darunter sogar 22 Abgeordnete der Gruppe Cos-sutta), 313 entzogen es ihr. In den Reihen der Opposition brandete bei Bekanntgabe des Ergebnisses Jubel auf. Es schien wie die Revanche für den Sturz der Regierung Berlusconi im Dezember 1994, die ebenfalls durch einen Verbündeten, damals die Lega Nord, zustande kam. Ministerpräsident Prodi begab sich daraufhin unverzüglich auf den Quirinal und teilte Staatspräsident Scalfaro den Rücktritt seiner Regierung mit.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Regierungskrise für Italien, aber auch auf internationaler Ebene? Dem Staatspräsidenten kommt, wie bereits nach dem Ende der Regierung Berlusconi, eine entscheidende Rolle zu, die er auch nutzen wird. Die Tendenz ist dabei bereits vorgezeichnet. Scalfaro wird, wie schon 1994/95, alles Erdenkliche unternehmen, um zu verhindern, daß Berlusconi wieder auf der Regierungsbank Platz nehmen kann.

Der Staatspräsident und die "Linksdemokraten" werden jede Variante jener der Neuwahlen, wie von der Mitte-Rechts-Opposition "Polo" aus Berlusconis rechtsliberaler Forza Italia, Gianfranco Finis Alleanza Nazionale und Pierferdinando Casinis "Christdemokratischem Zentrum" gefordert, vorziehen. Dabei gilt es im Augenblick nur einen Monat zu überbrücken, bis das semestre bianco beginnt – das sind die letzten sechs Monate der Amtszeit des Staatspräsidenten, in denen die Verfassung die Auflösung des Parlaments untersagt. Damit hätte Präsident Scalfaro die gegenwärtige Parlamentszusammensetzung zumindest bis Mai 1999 gerettet. Diese Entwicklung scheint sich inzwischen durch die von Scalfaro vorgenommene Beauftragung von Massimo D’Alema (PDS) mit der Regierungsbildung zu bestätigen.

Sollte D’Alema scheitern, wird Präsident Scalfaro voraussichtlich versuchen, eine hauptsächlich aus Fachleuten bestehende "Technikerregierung" zu berufen, vornehmlich, um Neuwahlen so lange hinauszuzögern, bis das Klima für eine Mitte-Links-Koalition bei Wahlen wieder etwas günstiger sein wird.

Der Sturz der Regierung Prodi hat jedoch auch eine außenpolitische Komponente. Der Universitätsprofessor aus Bologna bemühte sich in den vergangenen Monaten, sein Modell eines Mitte-links-Bündnisses auch anderen Amtskollegen nahezubringen, mit dem Ziel, dieses Projekt auf internationaler Ebene umzusetzen. Entsprechende Verhandlungen und Gespräche gab es bereits mit Frankreichs Regierungschef zur Bildung eines großen Mitte-Links-Bündnisses im Europäischen Parlament. Ein internationaler Ulivo – benannt nach dem Symbol des Olivenzweigs, den sich das italienische Bündnis gewählt hatte – von Clinton über Jospin, Blair und Schröder bis Prodi. Dies war ein Lieblingsthema des zurückgetretenen Regierungschefs und konkret vor allem von ihm vorangetragen. Durch sein bevorstehendes Ausscheiden aus der aktiven Politik dürften diese Bestrebungen nicht nur gehemmt werden, sondern gänzlich aus der aktuellen Diskussion verschwinden.


 
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