© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/98  23. Oktober 1998

 
 
Kino: Fatih Akins Großstadtdrama "Kurz und schmerzlos"
Direkt aus dem Leben gegriffen
Ellen Kositza

Deutschland, Hamburg-Altona: Gabriel, der Türke, ist soeben aus dem Gefängnis entlassen worden. Costa, Grieche, ist ein Autoknacker. Serbe Bobby, derzeit noch ein Kleingangster, möchte groß einsteigen bei der Albaner-Mafia. "Ich suche Ruhm, verstehst du." Und zum geläuterten, gleichsam erwachsen gewordenen Gabriel, der seinen Freund von einer Karriere als Schwerkrimineller abzuhalten versucht: "Albaner-Mafia, klar. Genau das nennt man Multi-Kulti." Grins.

Ein "die Szene" kennender 25jähriger deutscher Türke als debütierender Regisseur, dazu Saz-Klänge, die sich von Beginn an recht hartnäckig in den Gehörgang bohren – die Vorbehalte der Rezensentin sind zunächst erheblich. Anfangs scheint es ja auch, als bliebe alles beim allseits Bekannten. Gabriels Bruder feiert Hochzeit, die obligatorische Lektion fröhlich-freundlicher und gleichzeitig stolzer türkischer Kultur; Gabriels Schwester (Idil Üner) trägt ihr lila gefärbtes Haar offen, ist gepierct und tätowiert, eine tolerante Moslemfamilie eben. Als Bobby (Aleksandar Jovanovic), sympathisch verschmitzt, und Costa (Adam Bousdoukos), liebenswert und mit einem Hang zur Melancholie, auf der Feier auftauchen und Gabriel (Mehmet Kurtulus) zu neuen Gaunereien verführen wollen, erwartet man das Althergebrachte noch vor dem Fest-saal lauernd: Jetzt, es kann doch kaum anders sein, müßte eigentlich die Skinheadhorde einfallen und skrupellos die Gesellschaft kurz und klein schlagen. Oder der Grenzschutz einmarschieren und den Großteil der Feiernden abschieben. Doch das Vorurteil trügt. Die virtuellen Verhältnisse einer Lindenstraße bleiben hier außen vor.

Mit einer Ausnahme bleiben die Deutschen deutscher Herkunft hier Statisten. Diese Ausnahme stellt Alice (Regula Grauwiller) dar, Bobbys Freundin, ein anständiges, wohl auch intelligentes Mädchen, das auf den ersten Blick nicht recht zum leichtfertigen Bobby passen mag. Der spricht diesen klassischen und wohl deutschlandweit verbreiteten Soziolekt der Ausländer der zweiten oder dritten Generation und zeichnet sich nicht eben durch ein hochgradiges Reflexionsniveau aus. Was sie an Bobby so anzog? "Ach, er hat diesen angenehmen Humor", antwortet Alice, "und er ist eben ein bißchen macho."

Vieles ist bezeichnend, einfach treffend für deutsche Zustände, ohne daß der Regisseur dieses Symbolhafte jemals aufdringlich markieren würde. So spricht auch der landschaftliche Hintergrund Bände, vor dem die Dialoge stattfinden: kalte weiße Häuserwände, x-beliebig, und alles zugesprüht mit unleserlichen Graffiti-Autogrammen.

Bobbys Einstieg in die Albaner-Mafia ist geglückt, doch als Alice von ihrem Freund zu einem Abendessen mit dem neuen Chef, dem eiskalten Paten Muhamer (großartig: Ralph Herforth) mitgenommen wird, kommt es zum Eklat. Alice erfährt, daß Muhamer Bordellbesitzer ist, und verläßt empört das Lokal, eine Szene, die wie eine Zäsur in dem Film wirkt. Später verliebt Alice sich in Gabriel, auch ein wenig "macho", doch reifer und verständnisvoller als sein serbischer Freund. Als Bobby mit Costas Hilfe seinen ersten großen Waffen-Deal erledigen soll und sich gleichzeitig eine heimliche Liebe zwischen Alice und Gabriel entspinnt, eskaliert die Situation.

Überaus packend und zugleich sehr nachdenklich machend, läßt die Geschichte den Zuschauer förmlich außer Atem geraten. Fatih Akin drischt keine Phrasen, sondern zeigt die Realität: ein Großstadtdrama, direkt aus dem Leben gegriffen. Kurz und schmerzlos: Der Titel des Films ist Programm. Schmerzlos heißt dabei nicht, daß keine Wunde entstünde.


 
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