© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/98  23. Oktober 1998

 
 
Gerd-Ulrich Herrmann: Georg Freiherr von Derfflinger
Der Moltke des Großen Kurfürsten
Kai Gulleikoff

Der 24. Oktober 1648 setzte den Schluß unter die Verhandungen, die 1645 aufgenommen wurden und als Frieden zu Münster und Osnabrück den Dreißigjährigen Krieg im Heiligen Römischen Reich beendeten. Zahlreiche Veranstaltungen erinnern in diesem Jahr an diesen "Westfälischen Frieden" von vor 350 Jahren. Gerade das 20. Jahrhundert mit seinem eigenen dreißigjährigen Krieg von 1914 bis 1945 fordert zu einer vergleichenden Betrachtung heraus. Auf Mitteleuropa bezogen, verhinderten diese beiden Kriege die Entstehung einer zentralen deutschen Großmacht. Am Ende standen die Anerkennung der vollen Gleichberechtigung der Konfessionen als Bestandteil des Friedensschlusses von 1648 bzw. die Internationalisierung des kommunistischen Staatsgedankens im Ergebnis des Jahres 1945. Beide Ereignisse trennten die Völker Europas lange voneinander und lassen die erneuten Bemühungen eines europäischen Zusammenschlusses äußerst mühsam erscheinen. Das Erbe dieser beiden längsten und verlustreichsten Kriege um das Herz Europas wirkt noch heute und auch auf absehbare Zeit nach. Der nordirische Bürgerkrieg ist ein direkter Nachfahre des Dreißigjährigen Krieges, der jugoslawische Konflikt die Fortsetzung des europäischen Bürgerkrieges dieses Jahrhunderts.

In die Zeit des Westfälischen Friedens führt das Erstlingswerk des Autors Gerd-Ulrich Herrmann (Band 28 der Reihe "Preußische Köpfe"). Herrmann stellt den brandenburgischen Feldherrn Georg Freiherr von Derfflinger vor. Das Vorhaben ist deshalb interessant und lobenswert, weil nach 1945 die brandenburgisch-preußische Militärtradition nur in kümmerlichen Ausschnitten in das Erbe beider deutscher Teilstaaten bis 1990 aufgenommen wurde. Auch gegenwärtig steht die Pflege der "eigenen" Tradition der Bundeswehr deutlich im Vordergrund.

Georg Derfflinger wurde vermutlich am 10. März 1606 "als geringer Leute Kind" im oberösterreichischen Neuhofen a.d. Krems geboren, zwanzig Kilometer südlich von Linz. Dort gibt es noch heute eine "Derfflingerstraße". In Neuhofen selbst ist in der Heimatstube eine Büste des Kriegers zu sehen, nebst ausführlichen Angaben zu Leben und Wirken. Anläßlich seines 350. Geburtstages wurde am Rathaus eine Tafel mit folgender Inschrift enthüllt: "Zur Erinnerung an den brandenburgischen Generalfeldmarschall Georg v. Derfflinger, den Sieger von Fehrbellin (1675), welcher am 10.3.1606 in Neuhofen an der Krems geboren wurde." Dieser bedeutende Aufstieg eines "Habenichts" zur "rechten Hand des Großen Kurfürsten" hat für lange Zeit die Legendenbildung beflügelt.

In Herrmanns Buch wird auch augenzwinkernd darauf verwiesen, daß der alte Derfflinger selber an seinem Bild geschneidert hat. Welch ein Beispiel: Der Schneidergeselle (den es gar nicht gab) trug auf seinen Wanderungen den Marschallstab im Tornister. Wahr ist, Derfflinger nutzte die beste Möglichkeit seiner Zeit für die Karriere, Soldat zu werden. Als Protestant in schwedischem Dienst brachte er es zwischen 1620 und 1648 vom Troßbub zum Reiter-Oberst im Generalsrang und Angehörigen des Stabes von Feldmarschall Wrangel. Der Westfälische Frieden brachte zehntausenden Landsknechten den Abschied. Auch Derfflinger mußte gehen, mit 3.000 Talern Abfindung und einer jährlichen Pension von 1.000 Talern. Er sah es als eine Geringschätzung an, und seinen Groll auf die "schwedische Undankbarkeit" zahlte er bei Fehrbellin am 18. Juni 1675 seinen ehemaligen Dienstherren zurück. Hier war er bereits brandenburgischer Feldmarschall und hatte seine Landsknechte nach schwedischem Vorbild organisiert, gekleidet und bewaffnet. Als Mangel erkannte er, daß nur knapp 50 Prozent seiner Truppen Brandenburger von Herkunft waren. Deshalb wurden erstmalig Bauern und Bürger zu den Waffen gerufen. Diese "Volksaufgebote" kämpften unter Führung ihrer Gutsherren und Bürgermeister, die oft entlassene Offiziere aus dem Dreißigjährigen Krieg waren. In einem zeitgenössischem Flugblatt hieß es: "In der Alten Marck war auch das ganze Land auf den Beinen". Die Schweden galten damals als die besten Soldaten – und wegen ihrer Grausamkeiten auch als die bestgehaßtesten.

Ausführlich schildert Gerd-Ulrich Herrmann die gnadenlosen militärischen Auseinandersetzungen jener Zeit, die den fast siebzigjährigen Derfflinger mitten im Handgemenge "kühn fechtend wie ein Fähnrich" gesehen hat. Seine robuste Gesundheit, gepaart mit einer großen Portion Jähzorn, läßt ihn auf dem Schlachtfeld als "Furie" erscheinen. An der Seite des Großen Kurfürsten, der in der Schlacht selber ein Reiterregiment führt, gerät Derfflinger mehrfach beinahe in Gefangenschaft. Die Brandenburger ahnen, an diesem Nebelmorgen entscheidet sich für lange Zeit ihr Schicksal. Nach zwei Stunden ist es ihr Sieg! Das Kurfürstentum Brandenburg zahlte den Preis von über 500 Toten und 300 Schwerverwundeten, um in Europa dauerhafte Beachtung zu finden. Der "Reitertag von Fehrbellin" wurde bis 1919 als Beginn von "Preußens Gloria" feierlich begangen.

Untrennbar verbunden mit Derfflingers Verdiensten um Brandenburg-Preußen ist seine Heimstatt auf Schloß Gusow, unweit der heutigen Kreisstadt Seelow in Ostbrandenburg. Am 16. April 1649 war Derfflinger Herr auf Gusow geworden. Die Geschichte des Schlosses kann heute wieder anschaulich nachempfunden werden. Eine Berliner Familie hatte den Schneid, nach der Wende einen Millionenbetrag zu investieren und eine preußische Legende wieder auferstehen zu lassen. Ein touristischer Leckerbissen für die Region, bequem mit der Bahn oder mit dem Auto zu erreichen. Wer länger als einen Tag bleiben will, kann dort übernachten (Informationen: Tel. 033 46 / 87 25 oder Fax 033 46 / 84 55 42). Der Buchautor ist dort auch anzutreffen – als Geschäftsführer. Kai Gulleikoff

Gerd-Ulrich Herrmann: Georg Freiherr von Derfflinger. Stapp Verlag, Berlin 1997, 260 Seiten, 23 Abb., geb., 34 Mark


 
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