© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/98  23. Oktober 1998

 
 
USA: Vor 30 Jahren trat Richard Nixon sein Amt als Präsident an
Wahlkampf als Blitzkrieg
Ronald Gläser

Das Jahr 1968 war vermutlich das bewegteste Jahr der Nachkriegszeit. In der Tschechoslowakei scheiterte der Prager Frühling. Und in Fernost erreichte der Vietnamkrieg seinen Höhepunkt. Aus Protest dagegen formierte sich in westlichen Universitätsstädten von Berlin bis Berkeley die Neue Linke, die ihre Identität noch heute aus der Jahreszahl "68" speist. Die Eskalation des Krieges in Vietnam hatte zu einer Radikalisierung der Studentenbewegung geführt, die unter dem Motto "Make Love – Not War" öffentliche Verbrennungen von Einberufungsbescheiden, provokative Sitzblockaden und die Umwandlung von Seminarräumen in "revolutionäre Kommunen" durchführte.

Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse fand der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf statt, der mit der Wahl Richard Nixons die jahrzehntelange Dominanz der Linken in Amerika brach. Seit den 30er Jahren hatten – von Dwight D. Eisenhower einmal abgesehen – ausnahmslos Demokraten im Weißen Haus residiert. Der Nachfolger John F. Kennedys, Lyndon B. Johnson, war 1964 mit der größten Mehrheit in der Geschichte der USA zum Präsidenten gekürt worden und verfügte darüber hinaus über eine überwältigende Kongreßmehrheit, die ihm erlaubte, noch umfangreichere Sozialprogramme als den New Deal Roosevelts durch-zusetzen.

Aber die außenpolitischen Begleitumstände seiner Präsidentschaft zerstörten seinen Traum von der Great Society. Immer stärker wurden die USA während der 60er Jahre in den Vietnamkonflikt verstrickt. Zu Beginn des Wahljahres hatte Eugene McCarthy, ein linker demokratischer Senator aus Minnesota, angekündigt, sich als Kandidat um die Präsidentschaft bewerben zu wollen. Unmittelbar darauf begann der Vietkong die Têt-Offensive. Ganz Südvietnam wurde mit massiven Angriffen überrollt, selbst die US-Botschaft in Saigon wurde attackiert. Zwar sollte sich Têt als taktischer Fehler erweisen, aber die Unterstützung der amerikanischen Öffentlichkeit für das militärische Engagement wurde deutlich unterminiert. In Umfragen überstieg die Zahl der Gegner des Krieges erstmals die der Befürworter. Die ersten Vorwahlen im konservativen New Hampshire brachten McCarthy, der bei den Demokraten parteiintern nur knapp hinter Johnson lag, mehr als einen Achtungserfolg.

Gleichzeitig trat überraschend Richard Nixon in das Rennen um die amerikanische Präsidentschaft ein und konnte sich bei den Republikanern sofort gegen den bisherigen Favoriten Romney durchsetzen. Pat Buchanan, Assistent von Nixon seit 1966, der Nixon auch ins Weiße Haus folgen sollte, beschrieb den Vorwahlkampf in New Hampshire als einen Blitzkrieg: "Als wir in einem Privatflugzeug in Boston ankamen, wurde in Südvietnam die Têt-Offensive eröffnet; binnen weniger Tage zog George Romney seine Kandidatur zurück und überließ uns das Feld in den republikanischen Vorwahlen."

Dagegen zeigten sich die Demokraten zerstritten: Johnson verzweifelte über die ausweglose Lage in Vietnam und erklärte, nicht wieder als Kandidat zur Verfügung zu stehen. Zwei Tage später gewann McCarthy die Vorwahl in Wisconsin. Nach McCarthy warf nun auch Robert Kennedy, der als würdevoller Nachfolger seines Bruders angesehen wurde, den Hut in den Ring. Als dritter erklärte Hubert Humphrey seine Kandidatur für das Amt im Weißen Haus.

Im April wurde der Schwarzenführer Martin Luther King ermordet; im ganzen Land brachen Unruhen aus. Die Armee sicherte das Weiße Haus und das Capitol, 46 Tote waren die traurige Bilanz mehrtägiger Straßenschlachten. Und ein weiterer Mord erschütterte Amerika: Robert Kennedy, der gerade bei den Vorwahlen in Kalifornien gesiegt hatte, wurde ermordet.

Neben Nixon und Humphrey, für den der Weg bei den Demokraten jetzt frei war, kandidierte ein dritter, unabhängiger Kandidat für das Amt im Weißen Haus: George Wallace, demokratischer Gouverneur von Alabama. Wallace symbolisierte wie kein anderer die Südstaatendemokraten, die nicht mit den neuen Mehrheiten ihrer Partei konform gingen. Wallace trat für Rassentrennung und den Vietnamkrieg ein und lehnte die militante Schwarzenbewegung ebenso ab wie den aufgeblähten Sozialstaat. "Wenn sich jemals irgendein Demonstrant vor mein Auto legt, wird es das letzte Auto sein, vor das er sich gelegt hat." Auch Nixon trat mit der Botschaft an, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, den Krieg zu Ende zu führen und die tiefe Spaltung des amerikanischen Volkes zu beenden.

Nixon und Wallace erhielten starken Auftrieb, als im August in Chicago der Nominierungsparteitag der Demokraten stattfand. Die Kriegsgegner wollten mit einer massiven Demonstration die Demokraten zu einem Umdenken in der Vietnamfrage bewegen. Sie erreichten das Gegenteil. Die Kundgebung während des mehrtägigen Parteitages eskalierte sofort. Tausende von Polizeibeamte wurden gegen die Demonstranten eingesetzt; gewalttätige Auseinandersetzungen forderten etliche Verletzte. Die amerikanische Öffentlichkeit bekam statt eines harmonischen Parteitages nur steinewerfende Hippies und Anarchisten zu sehen. Der Chicagoer Parteitag der Demokraten lieferte Nixon und Wallace die notwendige law-and-order-Wahlkampfmunition. Außerdem zog Nixon mit der Ankündigung in den Wahlkampf, er habe ein Konzept zur Beendigung des Vietnamkrieges.

Bei den Wahlen im November siegte Nixon mit einer knappen Mehrheit vor Humphrey. Zudem konnte sich Wallace in fünf Südstatten durchsetzen. Auf den Demokraten Humphrey entfielen nur noch 38 Prozent der Stimmen der weißen Wähler. Zusammen kamen Nixon und Wallace auf 57 Prozent der Stimmen. Bis in die 90er Jahre dominierte diese neue konservative Mehrheit die Präsidentschaftswahlen. Sieht man von dem Zwischenspiel ab, das Jimmy Carter nach der Watergate-Affäre für vier Jahre ins Weiße Haus trug, so leitete der Wahlsieg Richard Nixons vor 30 Jahren eine lange Phase des Niedergangs der Demokratischen Partei ein, von dem sie sich erst unter Präsident Clinton wieder erholt hat.


 
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