© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/98  23. Oktober 1998

 
 
Apokalyptiker und Integrierte
Jürgen Hatzenbichler

In der JUNGEN FREIHEIT läuft derzeit eine Debatte, von der man nicht einmal genau weiß, unter welchem Titel: "Was heißt heute ‘national’?" oder "Was heißt eigentlich ‘rechts’?" Da stehen Beiträge nebeneinander, bei denen anmutet, als ob die Debattanten konsequent aneinander vorbei redeten.

Warum ist es nötig, daß man sich plötzlich mit den "basics" beschäftigt? Warum redet man plötzlich der Frage nach, was eigentlich "rechts" sei? Nachdem es sich bei der JF um ein Richtungsblatt handelt, sollte man denken, daß man wissen müßte, worum es geht. Und doch sind schon die Fragestellungen enthüllend: Zum einen oszilliert man zwischen "national" und "rechts". Die Begriffe sind nur für jene deckungsgleich, die sich die Nation nur als rechte denken können und dementsprechend eine Heilsbotschaft predigen, die entweder haarscharf am Totalitarismus vorbeischrammt oder direkt darauf zuläuft. Nation ist – und das ist für die "Retter der Nation" manchmal eine schockierende Feststellung – der rechte Kurzhaarträger ebenso wie der mittelständische Unternehmer und der antinationale Autonome. Die synonyme Verwendung des Begriffes "national" für "rechts" führt schon weiter zu einem sehr bestimmten Konzept von Nation, das eben rechts ist. Und hier wird es wiederum nochmals komplizierter, denn jeder, der länger in der "rechten Szene" war, weiß, daß wir nun einmal nicht alle von denselben Dingen reden.

Vereinfachen wir einmal grob: Für unsere "konservativen Kameraden" ist die Nation das politisches Subjekt; Innenpolitik ist ein Nebenschauplatz, das Primat hat die Außenpolitik. Für andere ist die Nation eine Gestaltungsvorstellung für die Lebenswirklichkeit eines Volkes. Da gibt es dann die klerikal-autoritären "Kameraden", die sich einen post-mittelalterlichen Ständestaat wünschen, in dem die Hierarchien "natürlich" gegliedert sind. Andere sehen die Nation totaler und träumen von einer "Volksgemeinschaft" faschistischen Zuschnitts. Fatal sind diese Vorstellungen deshalb, weil rundherum überall nur mehr "Gesellschaft" existiert. Was an Nation zustande kommen soll, müßte erzwungen werden. Deswegen auch die autoritären Wunschträume, die da anschwellen. Vollkommen abhanden gekommen sind die nationalrevolutionär motivierten Vorstellungen vom Volk und seinen Menschen, um deren Beziehung zueinander es geht.

Insofern scheint die Debatte den falschen Ansatzpunkt zu haben. Der erste, der wichtigste Text ist schon vor Jahren publiziert worden, und zwar nicht in der jungen freiheit, sondern in der Zeitschrift wir selbst. Henning Eichberg, in den 70er Jahren der Hauptdenker einer "Neuen Rechten", der sich heute als Linker versteht, setzte sich dabei mit der "jungen Alten Rechten" bei der JF auseinander. Der Text, der das damals neueste rechte Denken auf die einfache Bilanz brachte, "Kein Volk und kein Frieden", wurde von vielen als denunziatorische Attacke verstanden. In Wirklichkeit handelte es sich um eine sehr treffende Auseinandersetzung mit Strömungen, denen der Begriff "Neue Rechte" aufgeklebt wurde, die aber so neu nicht waren, weil man als Hauptbezugspunkt die nichtnationalsozialistische Rechte der Weimarer Zeit zum Idol erkoren hatte. "Konservative Revolution" war wieder ein beliebtes Schlagwort. Nun waren schon die Strömungen der Konservativen Revolution (KR) der Zwischenkriegszeit hinreichend diffus: Jungkonservative Ständestaatsfanatiker und Nationalbolschewisten hatten auch die "Nation" als Parole und den praktischen Hang zu Autoritäten, wenn auch zu ganz unterschiedlichen, gemeinsam. Bündische Romantik war noch zeitbedingter als die anderen KR-"Untergruppen", und die Völkischen lieferten mit Runen-Geraune, Verschwörungstheorien und Rassenkunde das diffuse Unterfutter für die Nationalsozialisten.

Innerhalb der "Neuen Rechten" der letzten zehn Jahre wurden die nationalrevolutionären Ansätze ganz schnell liquidiert, weil sie "zu links" waren. In der Tat schien ein Denken, das sich Eindeutigkeiten verweigerte, "nicht politikfähig". Was blieb, war rechts, und diese anderen Ansätze waren entschlossener: Mit eindeutigem Dezesionismus läßt sich schöner konservativ und gerade denken, vor allem dann, wenn man angesichts einer "entzauberten Welt" und der neuen Unübersichtlichkeit wieder bei Gott ankommt – letzterer immer katholisch gedacht, auch bei Protestanten. Schon jenseits dessen und von allem "Neuen" nimmt man heute noch zur Kenntnis, daß sich eine neue Szene bildet, die völkische Verschwörungstheorien und Rassenesoterik mit Stilelementen der "Dark Wave"-Szene verbindet. Mit dieser allerneuesten rechten Konjunktur wird die Welt aber auch nicht wieder "verzaubert", sondern höchstens der Blick vernebelt.

Die morphiumgleiche Faszination der Konservativen Revolution, der auch der Autor erlegen ist, und ihre Erneuerung durch Rezeption der "KR-Klassiker", an der auch der Autor tatkräftig mitgewirkt hat (siehe "Querdenker"), rührt zu einem Gutteil daher, daß, wenn man sich als rechts verstanden hat, jenseits des bürgerlichen Kotaus und des NS-Gewäschs wenig bis nichts da war, was eine intellektuelle Herausforderung war.

Plötzlich entdeckte man einen Corpus an Literatur, der intellektuell durchaus spannend war, dessen Ansätze hart, meist rational und theoretisch fundiert waren. Es war eine Archäologie der Wurzeln rechten Denkens in seiner diffusen Vielfalt. Dabei wurde aber die narkotische Wirkung einer solchen Rückwärtswendung vollständig übersehen. Im Klartext: Nicht ganz so schlimm wie in der Neonazi-Szene, aber strukturell ähnlich wurden die ideologischen Kriege der 30er Jahre nochmals ausgefochten. Das führte zu einem Abheben in ein rechtes Paralleluniversum, das sich selbst aufputschte und auch hinunterzog, denn angesichts der Jämmerlichkeit dessen, was da war, konnte man gewisse Differenzen zwischen Schein und Wirklichkeit nicht leugnen. Was nutzen neurechte-konservativrevolutionäre Theorieseminare, wenn abends, nach dem dritten Bier, im Keller erst recht "Die Fahne hoch" erklingt, wieder der "Bomben auf Engelland" gedacht und in heißem Streit zum hunderttausendsten Mal der Rußlandfeldzug gewonnen wird? "Adolf" ist nicht nur in Walter Moers’ neuestem Comic unsterblich. Und wenn es hart auf hart geht, schlägt schon mal die klammheimliche Freude über die wieder marschierenden "NPD-Kameraden" durch, die aber ständig mit dem Vorurteil bedacht werden, daß sie "zu dumm" seien, während die, die so urteilen, höchstens zu feige für solche Eindeutigkeiten sind und wissen, was sich gehört. Aber wenn sich die NS-Szene so weiterentwickelt, wird es nicht mehr lange brauchen, und sie wird auch ihre Intellektuellen haben.

Während man von denen, die die Kontinuität der klassischen extremen Rechten fortsetzen, hier nicht zu reden braucht, sollte man noch kurz die bürgerlichen "Neurechten" erwähnen, die es auch gibt. Sie wollen entweder den kontemplativen Rückzug in eine eigene und sehr eigentlich-deutsche Beschaulichkeit oder eine CDU/CSU, die wieder den Platz der Rechten eindeutig ausfüllt, oder eine Rechtspartei, die eine in die "Neue Mitte" entfleuchende CDU/CSU ersetzt. Aber wie will man bürgerliche Politik machen, wenn es kein Bürgertum mehr gibt? Und wen interessiert der "nationale Handelsstaat" angesichts der Globalisierung?

Die weite Landschaft auf der Rechten läßt sich am besten über Umberto Ecos Buchtitel "Apokalyptiker und Integrierte" beschreiben. Die einen träumen von der "heilsamen Wirkung" eines erhofften Bürgerkriegs, die anderen wollen überschaubare Ruhe, alles soll schön "normal" sein. "Ordnung" wollen sowohl die Apokalyptiker wie auch die Integrierten. Während die Apologeten des Bürgerkriegs "Ordnung machen" wollen, wollen die rechten Bürger "Ordnung erhalten". Während die Apokalyptiker, die auch schon gelernt haben, wie man neurechte Phrasen drischt, nach dem politischen Wechsel in Deutschland zu Rot-Grün via Internet verkünden, daß man "in den Untergrund gehen" müsse, hat sogar Karlheinz Weißmann für den integrierten, bürgerlichen Ansatz der Neuen Rechten in der JF verkündet, daß dieser gescheitert sei.

Was also wäre rechts, was uns interessieren sollte? Dazu fällt uns nicht viel ein. Und die letzte Möglichkeit haben wir auch schon lange ausgeschöpft, die einer ästhetisierten Selbstdarstellung, die Simulation eines "großen Lebens" und seiner kopflastigen Räusche. Der Rechte, der an der Wirklichkeit verzweifelt, stürzt sich letzten Endes immer auf die dandyhaften Gesten eines D’Annunzio und träumt vom "größeren Leben". Hinter der Maske aber weiß er, daß das alles nur ein Spiel ist. Wer es nicht mit dem Dick-Auftragen hat, kann sich auch als "Waldgänger" im Jüngerschen Sinn verkleiden und seine Zurückgezogenheit aus der Moderne als "Widerstand" bezeichnen. Das schafft zumindest Seelenfrieden, wenn man weiß, daß man dagegen ist, auch wenn man nichts dagegen tun kann.

"Die" Rechte verweigert sich zwar der linken Utopie, aber im Kampf gegen eine "Vergangenheit, die nicht vergehen will" ist sie vielfach noch nicht in der Gegenwart angekommen. Daher rührt nicht nur ihre Leidenschaft für einen unseligen Revisionismus, der nicht wahr haben will, was wahr ist, sondern auch ein elender Pessimismus, der kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen stets als Bedrohung empfindet. Und so denkt sich "die" Rechte dann ein deutsches Volk, das so höchstens historisch existiert hat – und das nicht in dieser Eindeutigkeit. Die politische Bilanz rechten Denkens hat schon Giuseppe Tomasi di Lampedusa in seinem Roman "Der Leopard" formuliert: "Wenn wir wollen, daß alles bleibt, wie es ist, dann ist nötig, daß sich alles verändert." Das kann man aber auch noch variieren, denn manche wollen wohl nicht nur, daß es zu bleiben hat, wie es ist, sondern daß es werden soll, wie es war.

Was will man zu so einer erschütternden Bilanz, die noch um vieles zu erweitern wäre, sagen? Daß sie klingt wie eine Abrechnung, wie ein Abschied von rechts? Ja, auch ein Abschied. Es ist höchste Zeit…


 
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