© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/98  30. Oktober 1998

 
 
Kolumne
Wahlbetrug
von Klaus Hornung

Bis jetzt waren Wählertäuschung und Wahlbetrug Markenzeichen vor allem totalitärer Systeme, die demokratische Mäntelchen suchen zur Durchsetzung ihrer politisch-messianischen Ziele. Hitler und die Nationalsozialisten gewannen 1932/33 nicht mit antisemitischen Parolen und der Verkündung ihrer Kriegsabsichten, sondern mit Slogans wie "Arbeit und Brot". Die Nürnberger Gesetze kamen zweieinhalb Jahre später.

Heute tendieren parteienstaatliche Demokratien mancherorts erneut zur totalitären Demokratie, wo kleine Oligarchien in Politik, Medien und Wirtschaft die Wählermassen manipulieren. Gerhard Schröder hat seinen Wahlkampf mit dem Slogan geführt "Nicht anders, aber besser" und mit der Versicherung, einer modernen Sozialdemokratie und einer "neuen Mitte" den Weg bahnen zu wollen. Doch kaum waren die Wahllokale geschlossen, sprang die alte Umverteilungs-SPD aus den Urnen, garniert mit dem Haß der Grünen auf das Eigene (siehe Staatsbürgerrecht und Ausländerpolitik).

Ähnliches spielt sich derzeit in Italien ab. Dort hatte 1996 die Mehrheit für den "Freiheitspol" der Mitte-Rechts-Parteien gestimmt. Heraus kam jedoch eine Parlamentsmehrheit der linken Mitte durch gewisse Wahlrechtsrafinessen. Der linke Christdemokrat Romano Prodi wurde zum Aushängeschild dieser Koalition, fast wie Papen und Hugenberg einst im Kabinett Hitlers vom 30. Januar 1933. Jetzt ist auch Prodi von erfahrenen Machtergreifern wie den ehemaligen Kommunisten beseite geschoben worden, und Christdemokraten der "Mitte" aus der Gruppe des früheren Staatspräsidenten Cossiga, die vor zwei Jahren für den Freiheitspol gewählt worden waren, spielten die Rolle von Steigbügelhaltern für die Linke.

Was lehrt uns dies? Die Mediokratie und die Oligarchien der Koalitionsausschüsse setzen sich auch heute wieder in Demokratien eiskalt über den vielbeschworenen "Volkssouverän" hinweg. Parteien und Parlamente werden immer mehr zu Registriermaschinen der Entscheidungen aus ganz anderen Orten, ob die Systeme nun Kohl, Chirac-Jospin, d’Alema oder Schröder-Lafontaine heißen. Wir haben es mit einem faktischen Verfassungswandel von der repräsentativen Demokratie zu einer Art "Neo-Bonapartismus" zu tun, wie ihn der Parteienforscher Peter Lösche schon nennt. Und die Massenmedien zumal, besonders die elektronischen, spielen dabei die Rolle von Vormündern.

Wie sagt Riccaut de la Marlinière in Lessings Minna von Barnhelm: "Betrügen? O, was ist die deutsch Sprak für ein plump Sprak. Corriger la fortune."


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen