© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/98  30. Oktober 1998

 
 
Zur grünen Sache
von Volker Kempf

"Zu den Sachen selbst!" lautet ein berühmter Ausspruch des Phänomenologen Edmund Husserl. Ein weiser und gerade in diesen Tagen zu beherzigender Satz. Blickt man nämlich darauf, was die Bündnisgrünen zur "Sache selbst", sprich zu grüner Politik in die Koalitionsverhandlungen und den nun vom Parteitag abgesegneten Koalitionsvertrag eingebracht haben, muß man die "Sache selbst" mit der Lupe suchen. Das begann schon im Wahlkampf, als Jürgen Trittin gestand, daß die Grünen gerade aus der Mittelschicht ihre Wählerstimmen erhalten und man deshalb nicht an deren Urlaubsflüge gehen werde. Gesagt, getan. Die Urlaubsflieger haben grün gewählt und damit ihr Gewissen erleichtert. Dafür lassen sie sich auch gerne vorschreiben, vom Gaspedal zu gehen, das kostet nichts. Ansonsten hat sich an der Sache selbst nur verschwindend wenig geändert. Sechs Pfennig mehr pro Liter Benzin, das ist für den Mittelschichtbauch zu verkraften, ohne auf den Winterurlaub auf Mallorca verzichten zu müssen.

Die Umwelt? Ja, ginge es den grünen Strategen um diese, Trittin wäre nicht Umweltminister geworden. Er hätte sich, was Umweltverbände empfahlen, mit einem anderen, vielleicht bescheideneren Amt im Kabinett begnügt. Mit Ernst Ulrich von Weizsäcker hat die SPD ohnehin einen weit kompetenteren Umweltexperten, als ihn die Grünen vorweisen können. Warum dann also ein grüner Umweltminister? Einer der es wissen muß, der einstige DDR-Bürgerrechtler Konrad Weiß, verriet das offene Geheimnis in einem Gastkommentar für die Welt: "Jürgen Trittin zum Beispiel soll nicht deswegen Umweltminister werden, weil er etwas von der Sache versteht oder ein Herz für die Umwelt hat, sondern weil er ein Linker ist und die Linken in der Partei abgefüttert werden müssen."

Wer die Vergangenheit richtig interpretiert, versteht auch rasch, was in der Gegenwart vor sich geht: Die 68er waren zunächst an ökologischen Fragen gar nicht interessiert, sondern an der "Entwicklung der Produktivkräfte" und an der eierlegenden Woll-Milch-Sau namens Staat. Die grüne Schale ist rasch abgeschliffen. Was bleibt, ist der rote Kern, den sie mit der SPD gemeinsam hat. Ein entmachteter Stollmann und ein übermächtiger Oskar Lafontaine dürften den Bündnisgrünen gelegen kommen. Was das mit der Möglichkeit zu tun hat, auch der rote Kern der Bündnisgrünen könnte sich so weit abschleifen, daß er sich mit der Union wird vertragen können, bleibt Biedenkopfs Geheimnis. Doch wer weiß, wohin sich die Union noch entwickeln wird.


 
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